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Verfügbarkeitsmanagement: Bilder der letzten Monate

Von Ekkehard Knörer 

Das Sehen von Filmen gestaltet sich als Verfügbarkeitsmanagement: im Mangel wie im Überfluss. Ich habe die letzten Monate viel Zeit in Konstanz verbracht, einer kleinen Stadt am Bodensee, die ein Blockbuster-, ein Programm- und ein Kommunales Kino besitzt. Da ich aber das Synchronisieren von Filmen unerträglich finde, sehe ich mir dort, wenn es wirklich nichts Besseres zu tun gibt, höchstens mittelmäßige amerikanische Filme an und hebe mir die Guten auf für die DVD oder nimmermehr. Als ich nach Konstanz kam, Anfang des letzten Jahres, gab es nur mehr oder minder schäbige Videotheken, im Oktober hat die Filmgalerie 451 eine Filiale eröffnet, aber ich wollte neue Fernsehserien sehen, davon gab es nicht genug; immerhin ist "Dead Like Me" großartig, unterspielt komisch, etwa, wenn sie sich zur Besprechung treffen, die Grim Reapers (Totenabholer, könnte man sagen) im deutschen Lokal mit den ins Surreale sich wendenden Klischeedeutschismen. Leider gibt es nur zwei Staffeln der Serie und nur die erste in der Filmgalerie. Seltener als einmal die Woche, ja, so selten, dass ich die mutmaßliche Regel in der Regelmäßigkeit noch nicht entdeckt habe, gibt es im CineStar auch untertitelte Filme, neulich Joe Wrights Jane-Austen-Verfilmung "Pride & Prejudice", die einer bestimmten Idee von kinematographischer Virtuosität treuer ist als Jane Austen, aber wer wollte etwas dagegen haben.

Außerdem habe ich "Serenity" gesehen, von dem ich mir in Wahrheit doch einiges erwartete, aber ich war dann enttäuscht. Kein schlechter, schon gar kein dummer Film, konsequent durchaus in der Lust an Fernsehästhetik und Zweidimensionalität. Nur finde ich, dass alles, was Joss Whedon macht, "Buffy" eben auch, etwas ist für intelligente 15-Jährige, anspielungsreich mit hübsch gefrickelten Oberflächen, clever und alle naheliegenden Fallen meidend; mehr aber nicht. Ich muss sagen, dass sich dieser Eindruck, den ich hatte, in den ganzen Interviews mit Whedon, aber auch beim Audiokommentar zu "Buffy", den ich mir ein paar Folgen der ersten Staffel lang angehört habe, sehr bestätigt hat. Im Programmkino war ich zuletzt gar nicht und habe dort im Frühjahr einen Film gesehen, der mich richtig erschreckt hat, so unerträglich war er, Wong Kar-Weis "2046". Den Sommer über hatte ich in Konstanz keinen Fernseher und habe DVDs, von denen ich viele für 4 Euro 99 bei Drogerie Müller erwarb, dem mit Abstand besten DVD-Dealer der Stadt, auf meinem Laptop gesehen, in einem Haus, das im Mittelalter einmal als Bordell diente. Das Haus steht neben dem Woolworth, der seine zuvor für allerlei Geräte-Zukäufe genutzte Elektro-Abteilung zum Herbst hin verkleinerte und dessen Vordereingang auf die Marktstätte hinausgeht, an der sich der Müller findet. Im späten Herbst hat auch der Karstadt in Konstanz seine Elektroabteilung mehr oder weniger aufgelöst. Der beste Media-Markt aller Zeiten liegt außerhalb und ist verdammt schlecht sortiert.

Im Herbst war trotzdem alles besser, weil ich umgezogen bin und einen Fernseher hatte und mir einen DVD-Player besorgte und weil in fußläufiger Entfernung über die Rheinbrücke hinüber eine Filiale der Filmgalerie 451 aufmachte und ich mich ohnehin mit reichlich DVDs von Berlin her munitioniert hatte, die ich nun unter reguläreren Umständen sehen konnte. Freilich kam mein Billig-Player nicht zurande zum einen mit der Farbe weiß am oberen Rand des Bildes, der dann, bei Auftreten von Weiß, immer nach links wegkippte und bei noch mehr Weiß zerriss es das Bild, als schlüge der Blitz ein. Ein Problem waren manchmal auch Untertitel, die sich mit einem Rucken im Bild aus- und wieder eingeschaltet haben, ich erinnere mich, dass ich mich bei "Dead Like Me" viel ärgern musste, weil es im sehr lustigen Vorspann ganz viel Weiß gibt und dann ruckte es so lange (ich schalte gerne die englischen Untertitel zu), bis ich mir einen neuen Player besorgte, den alten aber behielt, weil er sich problemlos regionfree schalten ließ, der neue aber nicht. Ich habe viele Filme gesehen dieses Jahr, aber aus irgendwelchen Gründen kam mir 2005 so lang vor, dass das gefühlsmäßig alles schon 2004 ist. Zu Müller und der Filmgalerie kam im Herbst, als ich umgezogen war, noch das Kabelfernsehen, das die Sender der Schweiz und Österreichs einschließt. Plötzlich war ich von der Auswahl doch wieder erschlagen. Dafür hat mein Laptop ein Bildschirm-Problem, so dass ich beim Zugfahren jetzt keine Filme mehr sehe, sondern wieder Bücher lese. Rückfälle, Fortschritte, da ist keine eindeutige Tendenz auszumachen.

In Berlin gilt es, den Überfluss zu managen, mit dem Videodrom um die eine Ecke und der phänomenalen öffentlichen Bibiliothek (AGB) um die nächste. Bevor ich nach Konstanz aufbrach, wollte ich im Videodrom "Firefly" ausleihen, aber da war ziemlich lange nicht ranzukommen. So habe ich also "Serenity" gesehen, den Film, der auf der Serie beruht, die nach nur vierzehn Folgen wieder eingestellt wurde, und zwar von Rupert Murdochs bekanntlich höchst reaktionärem Fox-Konzern, eingestellt nicht so sehr, liest man, übergroßer Erfolglosigkeit wegen, sondern weil sie politisch unliebsam war. Nachdem ich nun "Serenity" gesehen habe, habe ich aber keine Lust mehr auf "Firefly". Bei Fox muss ich natürlich gleich an "24" denken, die vierte Staffel, die erst ziemlich enttäuschte, schon weil es da eine psychisch kranke und alle Action nur ärgerlich retardierende Tochter gab, der man sofort den Tod wünschte (es dauert ein wenig, aber der Wunsch wird erfüllt). Zur Mitte der Staffel werden die Zügel aber gestrafft und manch vertraute Figur von einst wieder eingeführt – und sage keiner, er habe sich das nicht gewünscht; zumal Jack Bauers Tochter ausdrücklich nicht darunter ist – und das alles treibt auf ein Finale zu, das zu den stärksten Momenten der ganzen Serie gehört. Leider endete das Jahr mit der Nachricht, das John Spencer gestorben ist, oberster Präsidentenberater und zuletzt Vizepräsidentschaftskandidat in der klügsten US-Serie überhaupt "The West Wing". Fernsehserienfiguren können einem ans Herz wachsen, habe ich da festgestellt, wie Romanfiguren oder Weblogautoren.

Ich war Weihnachten wieder in Berlin und wir gehen seit Jahren, falls wir nicht zu spät dran sind mit Kartenbesorgen, in die Heilige Preview Nacht, in der das Filmtheater am Friedrichshain in seinen fünf Sälen eine Überraschungs-Auswahl demnächst anlaufender Filme zeigt – was natürlich heißt, dass man essen muss, was auf den Tisch kommt - und dazu Speisen reicht, mit einem seit Jahren auch wenig veränderten Buffet, das wohltuender Weise nicht von Catering-Profis hergestellt scheint. Von den Weihnachtsverweigerern sind die Hälfte mindestens, scheint mir, Lesben. Dieses Jahr fehlte die Nachtschiene, so dass man nur drei Filme sehen konnte, nicht vier wie bisher. Wir haben uns dagegen entschieden, Woody Allens "Match Point" zu sehen, weil er synchronisiert lief. Dafür hatten wir "The Constant Gardener", in dem Fernando Meirelles mit John LeCarré und Afrika das macht, was er in "City of God" schon mit Brasilien und den Favelas gemacht hat. Es ist im Grunde ganz grauenhaft, man kann sich den Film aber fast trotzdem ansehen, John Le Carrés, aber auch Rachel Weisz' wegen. Eine rundum schöne Sache, ein Kunststück an durch keinerlei Sentimentalität vernebelter Menschenfreundlichkeit ist Andreas Dresens "Sommer vorm Balkon" nach Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase. Zwischendurch gab es unter anderem kleine Quiche-Törtchen mit Käse und Rosinen. Ich weiß ja nicht. Der dritte Film, den wir sahen, war das Johnny-Cash-Biopic "Walk the Line", geradezu klassizistisch inszeniert und offenkundig wild darauf, die üblichen Topoi des Biopic mit Schwung anzugehen, aber nicht zu transzendieren. Ein Muss nur für Reese-Witherspoon-Fans. (Wie mich.)

Blieb Silvester, wir waren auf Rügen. In Binz, einem Ostseebad ohne Kino. Wir hätten also nicht einmal "King Kong" sehen können, ein zweites Mal, aber es war schon beim ersten Mal arg öde gewesen. Tele 5, der Sender, der weder in Berlin über digitales Antennen- noch in Konstanz über Kabel zu empfangen ist, brachte den ganzen Tag Musikfilme . Ich war erstaunt, den Sender tatsächlich am Fernseher bei uns im Appartement anzutreffen, auch noch auf Tastenplatz fünf - während RTL auf Platz 15 lag - und am Abend ergab sich die Gelegenheit, mit "Saturday Night Fever" und "Staying Alive" wenigstens eine echte Bildungslückenzu schließen. Das Silvester-Programm ist ja immer so furchtbar, mit Karl Moik und Comedy , was ohnehin auf dasselbe hinausläuft, da waren wir sehr dankbar für die Musikfilme. "Saturday Night Fever" ist nicht ganz uninteressant, weil er seine Tanz- und Liebes-Story aus dem italo-amerikanischen Milieu Brooklyns heraus zu zeichnen versucht. Nicht dass es gelingt, aber gerade die Schlichtheit besitzt einigen Charme. Interessanterweise ist "Staying Alive" dann einer der schlechtesten Filme, die ich je gesehen habe, aber er ist auf ganz lustige Weise schlecht. Jedenfalls am Silvesterabend. Die Stelle, an der der Drehbuch-Koautor (und Regisseur) Sylvester Stallone – man nimmt gleich an, dass er es war – einen "geistreichen" Dialog zweier sich Verliebender in einen stichomythischen Wortwechsel münden lässt, in dem am Ende von einer Gehirnoperation die Rede ist, ist schon rasend komisch. In "Saturday Night Fever" hängt ein "Rocky"-Plakat an der Wand, Travoltas Muskeln sind aber schlaff. In "Staying Alive" ist John Travolta ein Muskelpaket. Die Broadway-Inszenierung "Satan's Alley", mit der der Film endet, ist wahrhaft die Krönung des Werks.

Am nächsten Abend habe ich dann das erste Mal in meinem Leben "Doktor Schiwago" gesehen, von David Lean. Pauline Kael, die viel dummes Zeug geschrieben hat, schrieb über David Lean – ich zitiere wiederum aus der Kritik von Roger Ebert, der ihr zustimmt, obwohl er den Film mag: His "method is basically primitive, admired by the same sort of people who are delighted when a stage set has running water or a painted horse looks real enough to ride." Das ist nun schlicht ahnungslos. Tatsächlich ist "Doktor Schiwago" ein Genuss. Der Geräusche wegen, der Kadrierung wegen. Bild für Bild weiß Lean, was er tut. (Man sollte natürlich keine Einsichten über die Revolution erwarten.) Nur die Synchronstimme von Julie Christie, die möchte man erschießen.

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