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Hiroshi Sugimoto: Retrospektive (Neue Nationalgalerie, Berlin, Sommer 2008)

 

Von Ekkehard Knörer 

Hiroshi Sugimoto ist der große Piktorialist unter den Fotografen der Gegenwart. Er nähert sich der Wirklichkeit nicht in dokumentarischer, sondern stets in distanzierender Absicht. Er macht aus ihr mit dem Fotoapparat ein Gemälde. Man sieht es, auf der Ebene des Oberflächlichen, in einem Film, der in einem Seitenraum der Ausstellung läuft. Die Bilder, im Atelier als monumentaler Abzug aufgehängt, werden im nachhinein mit Pinsel und Farbe retuschiert. Was als Korn auf den Film gerät und auf dem Bild ein schwarzer Fleck ist, weil sich kein Licht fing: muss weg. Wird erst von Assistentinnen und Assistenten (früher hat er es selber getan) weiß übermalt, dann durch genaueste Farbanpassung vom Pinsel ins rechte Licht gesetzt. Sugimotos Idee von Perfektion geht über das, was sich fotografisch zeigt, immer hinaus und zielt auf die Versiegelung einer Leinwand. Alles ist Lack, alles ist Komposition, alles ist sorgfältigstes Aufbewahren und penibles Festhalten diffundierenden Lichts. Die Fotografie ist für Sugimoto vor allem Fixierbad und produziert im Prozess des Fixierens etwas, das sich wesentlich von dem, was vor der Linse war, ablöst.

So hat Sugimoto berühmte Gebäude fotografiert, in zerstörerischer Absicht. Die Fotografie zeigt, was bei der Distanzeinstellung auf doppelte Unendlichkeit bleibt. Sie transformiert die Konkretion in etwas Unscharfes, das aber noch oder gerade in dieser Unschärfe seine wahre Gestalt und seine Unzerstörbarkeit zeigt. Das World Trade Center, ein Wohnhaus von Le Corbusier, eine Fabrik von Walter Gropius: Sie überleben die Attacke der Unendlichkeitsfotografie, indem sie in unscharfer Form werden, was sie nicht sind. Anders gesagt: Sugimoto produziert und präpariert Leichen. Er bewahrt seine Gegenstände auf für die Ewigkeit, aber als Einbalsamierte. Zwischen bloßer Verdopplung und abgründig-paradoxer Mise-en-abime gerät in seinen Geniestreichen die Struktur der Repräsentation in ein unauflösbares Kreiseln: so in den Fotografien von Naturgeschichts-Dioramen; den Bildern von Wachsfiguren. Indem Sugimoto das Einbalsamierte durch seine Fotografie ein weiteres Mal balsamiert, gewinnt es eine tote Lebendigkeit, die es so nur bei Sugimoto erlangen kann.


Die Wahrheit über die Fotografie und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit ist das gerade nicht. Sugimoto stellt, was sein Recht ist, in diesen Serien die Fotografie auf den Kopf. Sie hält bei ihm nicht das Vergangene als Vergängliches fest. Vielmehr löst er mit der Liebe des Einbalsamierers zur Leiche den Gegenstand aus dem Leben und bahrt ihn in seidenummantelten Särgen. Die Seide fürs Auge ist die subtil nuancierte Schwarz- und Weiß- und Grautondiffusion. Wir stehen dann vor dem Abzug wie vor dem Sarg und sagen: ganz wie im Leben. Nur setzt der Verlebendigungseffekt diese Ablösung, Absonderung und das Hineinpacken in die Seidenschatulle voraus. Schimmernde Seide. Hochfeine Pinsel. Großartig anzusehender Tod.

Und doch. Sugimotos Bildern ist qua Medium möglich, was der Malerei im Leben nicht möglich wäre. Sie zehren in letzter Instanz von der Fotografie, die sie fliehen. Es bleibt, noch in der Meer-Horizont-Serie zur Malerei der Minimalabstand eines Bezugs zum Realen, eines Bezeugens von Dagewesenem. Es west ein Rest Leben noch in der balsamierten Lebendigkeit, sonst wären Sugimotos Fotografien schlicht: tot. Er kriegt sie aber nicht tot, das ist mein Eindruck. Etwas in ihnen verbündet sich mit dem Medium gegen das, was Sugimoto mit ihm anstellt.


Der Lebensfunke der Fotografie ist begrifflich und auf dem Abzug jedoch schwer entbergbar. Sugimoto leistet, so weit es ihm möglich ist, ganze Arbeit. Es könnte ja scheinen, als hätte Sugimoto mit seinen Langzeitfilmbildbelichtungen noch das Kino gekillt, alles, was Filmbild ist (Kontur, Bewegung, montierte Lichtdifferenz) ausradiert und wegretuschiert. Oder: Indem er das fotografische Bild auf die Ankunft der Gemäldehaftigkeit wie auf eine transzendente Wahrheit warten lässt, bringt er beide gegen das Kino in Stellung. Die Oberfläche der Leinwand versiegelt sich und das Produkt dieser Dauerversieglung versiegelt Sugimoto ein weiteres Mal.

Und noch mal: Und doch. Man (ich) kann (will) nicht anders als sich (mir) das Störende, das Dazwischenfunkende, das Körnchen des Realen oder ein reales Körnchen immer dazuzudenken. Die Perfektion muss doch täuschen. Das Gemälde ist Trick. Was man bei Sugimoto sieht, sind durch noch soviel Kunst nicht restlos totzukriegende Leichen. Das sieht man nicht, aber man kann es wissen. Es ist den Bildern nicht eingeschrieben, es ist nur der mediale Rest. Wer an die Fotografie glaubt, wird hoffen dürfen, dass sie noch die piktorialistische Verachtung, die Sugimoto ihr auf so überwältigende Weise entgegenbringt, überlebt.

Bilder:

oben: Polar Bear, 1976
Silbergelatineabzug/ Gelatin silver print
119,4 x 149,2cm
Privatsammlung/ Private collection
© Hiroshi Sugimoto, 2008

unten: Ohio Theatre, Ohio 1980
Silbergelatineabzug/ Gelatin silver print
119,4 x 149,2cm
Privatsammlung/ Private collection
© Hiroshi Sugimoto, 2008

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