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Hiroshi Shimizu: Ein Modellathlet – Hanagata senshu (Japan 1937)

Von Stephane Boeuf

Gewaltsam fängt der Film an: mit dem brutalen Wachrütteln seines Helden, der mit Widerwillen unter Fußtritten den Schlaf verlassen muss und, bevor er sich in die Menge der sportlichen Mannschaft mischt, noch dies sagt: „dabei war ich im Traum ganz nah daran, etwas zu erreichen.“ Von diesem etwas, von seinem Traum, werden wir nichts erfahren. Doch diese Andeutung einer anderen Handlung genügt, um den Traum als wahren hors-champ des Films zu bezeichnen, als den Grund gegen den sich die Welt des Films abzeichnet. Und der Film wird gerade dieses Erwachen noch einmal durchspielen: erneut den Bewegungsdrang des Lebens gegen das Mäandern der Nacht siegen lassen.

Die Welt, zu der der Held erwacht, ist befremdend: nicht so sehr fernöstliche Exotik als das Militarisierte einer sportlichen Mannschaft und ihrer erzwungenen Kohäsion – ein Studententrupp auf Manöver. Sie legen täglich lange Strecken zurück, singen viel. Der Film besteht aus diesem langen Voranschreiten (er möchte gewissermaßen eine einzige lange Kamerafahrt sein) und den Widerständen, auf die diese Bewegung stößt.

In Gestalt einer Frau kommt der Held mit einer ihn verstörenden Welt in Berührung, die dem sportlichen Ideal so fremd zu sein scheint wie der vergessene Traum, eine Welt, die den Athleten in ihr nächtliches Mäandern zu sich ziehen wird – als Rückkehr des frühzeitig abgebrochenen Traums. Denn der Film beruht auf eine Hypothese, die man bei André Breton formuliert finden kann: „Wer sagt mir, dass der Winkel, unter dem diese Idee, die ihn berührt, sich zeigt, dass das, was er am Auge dieser Frau liebt, nicht genau das ist, was ihn mit seinem Traum verbindet, was ihn an Gegebenheiten ankettet, die er durch seine eigene Schuld verloren hat?“

Der Held trifft also auf eine Frau, genauer gesagt eine Frau mit Kind, denn bei Shimizu scheint immer ein Kind schon da sein zu müssen, um eine Beziehung zwischen Mann und Frau möglich zu machen. Die Frau ist eine Vagabundin, das Kind ist krank, und es bleibt unentscheidbar, was den Athleten mehr zu ihnen zieht.

Zwei Rhythmen des Gehens treffen aufeinander: das Marschieren und das Vagabundieren. In einer langen Nacht wird der Konflikt zwischen ihnen eskalieren, der Konflikt zwischen den Sehnsüchten des Helden und seinen Pflichten, zwischen der Frau und dem Studententrupp, bis letzterer ihn erneut wachrüttelt, bevor er etwas erreicht hätte, so dass am folgenden Tag das Problem ungelöst hinter sich gelassen wird.

Doch, verstärkt noch beim heutigen Zuschauer durch die Fremdheit dieses Trupps kindlicher Jünglinge, bleibt dieser ungelöst zurückrlassene Konflikt wie ein dissonanter Schlussakkord als offene Frage: Ist der Enthusiasmus des Vorwärtsschreitens reine Bejahung des Lebens, oder reißt er von sich selber ab, von der Unbestimmtheit und dem Zweifel an einer künstliche Bewegung? Ist das zielstrebige Marschieren des Tages etwas anderes als die Flucht vor den unerreichten unerreichbaren Zielen der Nacht? Aber ist diese Flucht nicht das Leben selber, da kein Traum zu Ende geträumt werden kann?

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