Backlist: Chris Marker: Le joli Mai (F 1962)

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Chris Marker

s. Eintrag bei Auteur.de, dem Jump Cut Lexikon der Regisseure

Backlist

Chris Marker: Le joli Mai

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Nicht weniger als ein Porträt der Stadt Paris im Mai 1962 hat Chris Marker im Sinn; er zeichnet es in Bildern, Texten und Gesprächen. Im Unterschied zu den späteren essayistischen Filmen, in denen Markers eigene Texte und die Bilder  gezielt in prekäre Verhältnisse treten, "schreibt" er in "Le joli Mai" noch zu großen Teilen mit "der Wirklichkeit", als komponierender Dokumentarist, als Arrangeur der Bilder und der Worte von Menschen, die er im Mai 1962 in Paris gesucht, gefunden, getroffen hat.

Vom noch heute weit geteilten Dokumentarfilm-Dogma möglichster Zurückhaltung des Filmers hält Marker wenig: Simone Signoret spricht Texte in der vertrauten poetisch-essayistischen Marker-Diktion, Michel Legrands großartige Musik setzt ihre eigenen Akzente, vor allem aber wird der auktoriale Zugriff Markers im Zuschnitt des Materials deutlich. Zufall und Autorenintention halten sich die Waage: die Menschen, vor die Kamera gestellt oder gesetzt, antworten auf Markers Fragen, reagieren auf die Kamera und auf seine Insistenz. Immer wieder stellt er die Frage, was das Glück sein könne, was man im Leben wollen könne, immer sind die Antworten interessant. Markers Blick ist nicht denunzierend, aber die Kamera wie der Schnitt können spöttische Kommentare abgeben: einem großsprecherischen Erfinder klettert eine Spinne über das Hemd, er merkt es nicht, die Kamera schon: sie zoomt darauf und lässt den Mann reden. Zwei arg klug daher schwätzende Berater, die über die Zukunft der Gesellschaft reden, als wären sie schon dort gewesen, werden mit dem ultimativen Marker-Kommentar konfrontiert - ohne sich natürlich wehren zu können: drei-, viermal schneidet Marker Großaufnahmen von Katzengesichtern dazwischen, Katzen, die nichts Besonderes tun, aber sehr viel intelligenter wirken als die beiden Klugscheißer. Selbstverständlich ist das nicht fair, aber hier ist es nur die Kehrseite der Liebe, die Marker anderen entgegenbringt, einer Frau mit neun Kindern, die überglücklich ist, weil sie nach langen Jahren eine Wohnung bekommen hat mit mehr als einem Zimmer, ein junges, glückliches Paar, aber er, das erfährt man erst nach einer ganzen Weile, muss demnächst in den Algerienkrieg.

Politik ist allgegenwärtig in "Le jolie Mai", über allem liegt der Algerienkrieg, liegen die inneren Unruhen Frankreichs, die die Reaktion darauf sind. Viele, denen die Kamera auf der Straße begegnet, sagen, dass sie dazu nichts zu sagen haben. Sie sagen es sehr laut. Rassismus ist ein Thema, Marker lässt einfach einen jungen, vielfach angefeindeten, Algerier zu Wort kommen. Drei Schwestern reden unerhört dummes Zeug (unter anderem) über die Rolle der Frau in der Gesellschaft, der Verzicht des Films auf einen direkten Kommentar darauf erweist sich als wirksame Form der Demonstration von Fassungslosigkeit. Nie hat man jedoch den Eindruck, es solle einem eine (politische oder sonstige) These über den Kopf gehauen werden, der Blick, den der Film und, durchaus zur Solidarität aufgefordert, der Zuschauer auf die Menschen und Situationen wirft, ist ein offener und öffnender. Am Ende folgt ein halb melancholischer, halb auf die Revolution hoffender Kommentar, wiederum gesprochen von Simone Signoret. Dessen Pathos kann man nur jemandem durchgehen lassen, der so ganz ohne Vorurteile, voller Neugier und Interesse und manchmal voller Spottlust auf die Welt schaut wie Chris Marker.

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