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Karim Asif: Mughal-e-Azam (Indien 1961)

Kritik von Ekkehard Knörer 

Erst spricht, über mittelalterliche Dächer ragend, Indien. Die allegorisch donnernde Art, mit der hier die Geschichte als Erzählung einer Legende auftritt, hat kein fundamentum in re der Chroniken, aber das tut nur soviel zur Sache, dass es schon passt. Die Legende freilich vom großen Mogul und Anarkali, der Frau, die nicht Königin werden darf, die gibt es – und Karim Asif, der sie in diesem alle finanziellen Dimensionen sprengenden Film ein weiteres Mal mit dem Gestus des Definitiven erzählt, er hat das Ende verändert, man wird nicht sagen können zum Besseren. Da mag Indien zuletzt noch so dröhnend als Fürsprecher des Legendenfrevels auftreten. Ein rechtes Melodram geht so nicht aus.

Etwas ungelenk, weil von der eigentlichen Geschichte, auf die er sich dann bald doch konzentriert, ein wenig ablenkend, beginnt mit der Vorgeschichte um den Kronprinzen Salim der Film. Dann aber stürzt er sich ins Abenteuer eines Kinos der Fülle, das man so radikal umgesetzt kaum ein zweites Mal zu sehen bekommt. Die Enge des Raums – von wenigen Schlachten abgesehen, die jedoch auch auf eher eng kadrierten und so heftig dynamisierten Feldern stattfinden – drängt das Volle noch voller zusammen. Alles ist Ornat und Ornat wird so Substanz. Das findet seinen Höhepunkt in der atemberaubend verspiegelten ursprünglichen Farbszene zum Ende des ersten Teils – und seinen Widerspruch in der Massenszenerie von Salims Hinrichtung, mitsamt dem wuchtig-traurigen "Zindabad, Zindabad"-Song. Hier drängt die Fülle ins Epische, sonst aber ins Innere einer verbotenen Liebe, deren Inneres aber in aller Konsequenz nach außen gewendet wird.

Lesbar, spürbar, sichtbar macht Karim Asif diese Liebe in Großaufnahmen, vor allem von Madhubalas Gesicht, die man zu den großartigsten Affektbildern der Filmgeschichte zählen darf. Die Leinwand wird Gesicht, das Gesicht wird Leinwand, und wenn Salim dies Gesicht zart mit einer Feder streichelnd berührt, dann berührt der Film streichelnd und doch auch überwältigend das Herz des Betrachters. Ein überwältigendes Streicheln: Affekt in der Fülle. Sonst überwiegt in der Überwältigungsrhetorik des Films die Sprache der Pracht. Das Glitzern der Diamanten, das Streuen der Perlen, Säulen, Gärten, Wasser, Vorhänge, das Licht. Abrupt, vom Sturz aus der Fülle in die Fülle, die Übergänge, als sammelte sich über den Brüchen, die die melodramatischen Aufwallungen verbinden, stets neue Kraft.

Fülle keineswegs nur im Bild. An Metaphern und Wortspielen und glitzernden rhetorischen Argumenten um Blüten und Dornen und an mehr als Fragmenten einer poetischen Sprache der Liebe reich sind die Dialoge, die sich zum eigenen Strom formen, blitzende Sprach- und Gedankenmusik, die mit den Strömen der Musik und des Gesanges immer wieder zusammenfließt. Das Strömen endet nie, in "Mughal-e-Azam", irgendetwas strömt immer und in dieser Häufung der Fülle kommt man mit dem Gefühl oft kaum nach. Im Ansturm der Bilder und Worte und Klänge wird das Herz so windelweich geprügelt, dass es wie betäubt sich nach Ruhe sehnt. Allein, es gibt keinen leeren frame in diesem Film, noch das flüsternde Kitzeln des Gesichts mit der Feder rauscht wie Meeresbrandung übers Gemüt.

Die zur Farbe weniger re- als instaurierte Fassung, die ich gesehen habe, erschöpft gewiss noch einmal mehr. Der vielfach beschriebene Effekt des Falls in den Rausch der Farbe in Anarkalis Spiegeltanz vor der Pause bleibt naturgemäß aus. Beim Schichten von Brocken auf Brocken gerät die Geschichte der Liebe, die Geschichte des einen, nur menschlichen Körpers, der zwischen den zwei Körpern des Königs, des Kronprinzen und der Mutter zerrieben wird, rasch aus der Balance. Unter der manifesten Wucht seiner Inszenierung bricht der Plot immer wieder in sich zusammen, vergisst sich im Wettstreit des Liebesgesangs, im Donnern des Vaters, im Blitzen der Diamanten. "Mughal-e-Azam" zerfällt und richtet sich wieder auf, splittert auf in funkelnde Einzelteile und tönerne Wucht, strömt und erstarrt, verliert sich in der Fülle des Stillstands, gewinnt dann wieder Kraft und Gewalt aus dem Gesicht von Madhubala oder dem kurzen Innehalten der Musik. Dieser Film ist ein heiliges Monster. Nicht das, was man ein Meisterwerk nennt, aber ein Ding wie kein anderes.

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