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On/Off, Subjektiv/Objektiv: Zur Chandler-Verfilmung "Murder, my Sweet" (Edward Dmytryk; USA 1945)

Von Ekkehard Knörer

"Murder, my Sweet" ist ein Versuch, für das Ich, das erzählt, für die distinktive Stimme eines Erzähler-Ichs filmische Entsprechungen zu finden. (Und mehr als alles andere ist die Literatur von Raymond Chandler ja diese Stimme, die so unverkennbar ist, dass sie tausendfach nachgeahmt wurde seither.) Edward Dmytryk und der Drehbuchautor John Paxton begeben sich dieser Stimme nicht, sondern unterschieben ihr eine klare filmische Logik. Sie plausibilisieren die Voiceover-Off-Narration, indem sie sie aus der unbestimmten Zeit des Erzählers in die Diegese hineinziehen: Philip Marlowe steckt zu Beginn mit verbundenen Augen in der Klemme, in einer Befragung auf dem Polizeirevier. Die Narration des Films ist die Rückblende auf das, was zu dieser Situation geführt hat. Philip Marlowe erzählt, was geschehen ist: der Polizei und uns.

Das ist die Übertragung der an einen Ich-Erzähler gebundenen literarischen Narration in eine filmgrammatische Konvention: die Flashback-Konstruktion. Was dem literarischen Text fremd ist (das Off), ist dem Film natürlich. Was dem Film der Tendenz des Bildes zur Objektivität wegen fremd ist (ein subjektives Erzähler-Ich), ist dem literarischen Text und der Sprache natürlich.

(Immer: der Konvention nach. Denn dass der Sprach- und Sprechakt je wirklich einen Ursprung in einem Ich hätte, das intentional über ihn verfügte, ist bekanntlich sehr zweifelhaft. So zweifelhaft wie, umgekehrt, die Evidenz der Objektivität im Bild des Films. Man könnte gar versucht sein, das ganze gerade anders herum zu denken: Womöglich ist die mit strengen Regeln konventionalisierte Sprache ihrer Struktur nach "objektiver" als der Film, bei dem von Konventionen buchstäblich, von einer wirklichen Grammatik und Lexik  - also Sprache - immer nur metaphorisch die Rede sein kann.)

Dmytryk überträgt die Stimme in Filmgrammatik, indem er sie ins Off verlegt, das aber in eine Kontinuität zum On der ersten Szene gesetzt wird. Das Ich, das spricht, wandert als erzählendes aus dem Bild ins Off und kehrt zuletzt zurück. Man kann das eine Rahmung nennen, freilich ist dieser Rahmen - anders - zugleich immer auch im Bild, als Figur. Marlowe (Dick Powell) ist "Vertreter" des Subjekts, das den Rahmen gibt, als die Figur, der geschieht, wovon sie spricht, im Bild, in der Erzählung. Indem er dergestalt die Subjektivität objektiviert, wahrt der Film die Bindung an ein personal vorzustellendes Subjekt, das spricht – von einem Ort aus, der dem Film, seinen tempi und topoi, vertraut ist.

Man muss dabei natürlich die subjektive Kamera in "The Lady in the Lake" mitdenken, die immer – und nicht zu Unrecht - als den Konventionen des Films fremder Übertragungsversuch des Subjektiven des Erzählens in den Film begriffen wurde. Was sich darin zeigt, ist vor allem, dass die geläufigen Ansichten, die das Off, aus dem eine Erzähl-Stimme spricht, für unfilmisch halten, irren, jedenfalls dann, wenn es um ein Ich geht, das spricht. Unfilmisch ist vielmehr der scheinbar filmische Versuch, ein Korrelat zu finden, das aus der Grammatik des Films nicht vertraut ist. Die Kamera ist nicht das Ich, das spricht. Der Ort für dieses Ich im Film ist das Off. Der Film als Bildproduktion führt diesen Ort als in der scheinbaren Ausschließung eingeschlossenen stets mit – oder eher sollte man sagen: Das konventionelle filmische Erzählen ist konstituiert durch diesen als sein Anderes mitgeführten Ort, der im Schweigen die Bilder objektiviert. Problematisch, weil redundant, wäre dann immer nur eine objektivierende "epische" Erzählstimme aus dem Off. Denn schon und gerade im Ausbleiben dieser Stimme, im Schweigen, das eine Präsenz ist, keine Absenz, objektiviert das Off die Bilder. Und umgekehrt ist nur das Off der Ort, an dem der Schein von Subjektivität sich als Markierung eintragen lässt. Die Kamera als Ich einzusetzen, ist ein Solözismus. Und das agrammatische Sprechen in radikalisierter Kamerasubjektive macht vielleicht Experimentalfilme, aber keine dem Anschein nach saumlos decoupierte Erzähl-Illusionierung – also eben: genau keinen Hollywood-Film.

Freilich: Dmytryk sucht objektive Korrelate einer subjektiven Perspektive. Er übersetzt die Erfahrung des Ich, das spricht, ins Bild. (Kurz: Er objektiviert sie.) Sehr buchstäblich lässt er den Worten das Bild folgen, vor allem dann, wenn das Ich vom Schwinden des Bewusstseins spricht. (Die Bilder des Films verstehen sich also als Wahrnehmungskorrelat.) Dmytryk überträgt die Metapher ins Bild, er schwärzt das Sichtbare ein, füllt das Bild mit dieser Schwärze als Metapher vom Schwinden des Bewusstseins. Nicht anders verfährt er mit der Rede des Ich vom Spinngewebe der drogeninduzierten Verwirrung. Mit der Lust an primitivster Buchstäblichkeit im Metaphorisieren wird das Bild durchzogen von grauen Fäden, durch die hindurch wir aber nicht sehen, was der Vertreter des Ich, das spricht – also die von Dick Powell dargestellte Marlowe-Figur – sieht. Vielmehr sehen wir durch den Spinnenfädennebel, von dem das Ich aus dem Off spricht, gerade den Vertreter dieses Ich im Bild. Im Bild wird, der seltsam zwingenden (und bei allem scheinbaren Widersinn völlig ungezwungen wirkenden) "Logik" filmgrammatischer Konventionen folgend, die subjektive Sicht ins objektive Bild übertragen. Aus dem Off erzählt der subjektive Erzähler sich objektiv ins/im Bild. Es gibt, für Momente, auch wirkliche "Subjektiven", einmal, etwa, nach dem Erwachen, das Bild der Lampe. Oder eben die Schwärzungs-Bilder des Bewusstseins-Verlusts. Das zeigt aber erst recht: Die subjektive Einstellung ist nicht naturalisierbar, sie findet ihre konventionelle Verwendung als kurzer Hinweis, als Markierung, als Verfremdung. Das Bild will aber – und wir wollen es mit ihm – zurück ins Objektive. Es kommt - wie Marlowe, aber nicht als Marlowe - wieder zu sich.

Schon in der ersten, höchst ungewöhnlichen Einstellung allegorisiert Dmytryk sein eigenes Verfahren. Nur nach und nach und in einer Kamerafahrt figuriert sich im Weiß des Bildes etwas Weißes. Falls man bei diesem Weiß in Weiß überhaupt von Figuration sprechen kann. (Eher: Es ent-defiguriert sich etwas, ohne sogleich fassbare Figur zu werden. Es scheiden sich, ohne erst aus dem Scheiden schon Gestalt zu gewinnen, umbra und figura.) Nachträglich erfahren wir, dass diese Entstehung des Bildes, die Herausbildung einer Kontur oder eines Flecks (mehr nicht) aus dem weißen Nichts, die Gewinnung eines Objekts aus dem schieren Geschiedensein von Vorder- und Hintergrund als Beschreibung der Blindheit des Subjekts lesbar ist.

Sein Bild, die Figur aus dem Schatten, gewinnt der Film gerade einer für uns objektiv sichtbar gemachten subjektiven Blindheit ab. Wir sehen nicht das, was der sieht, der nichts sieht. (Also: "Schwärze".) Jedoch sehen wir auch nicht unmittelbar den, der nichts sieht. (Also: Marlowe mit der Augenbinde.) Bevor wir den sehen, der nichts sieht, sehen wir ein Zu-Sich-Kommen des Sehens und des Bildes als ein- und dasselbe im Film. Der film noir "Murder, my Sweet" beginnt mit einem Weißbild, das er zusätzlich und nachträglich, in einem wahrnehmungslogisch absurden Verknüpfungsakt, an die weiße Augenbinde seines Helden, die wir dann sehen wie ihn, knüpft. Der Film macht uns sehen, wo wir nichts sehen können, ja, wo es nichts zu sehen gibt. Davon schweigt das Off. Erst wenn es spricht – vielmehr: wenn das Ich aus ihm spricht –, markiert sich Subjektivität.

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