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Preston Sturges: The Lady Eve (USA 1941)

Von Ekkehard Knörer 

"Are Snakes Necessary?" lautet der intrigierende Titel des Buchs, das der Amazonasfahrer, an jeder Form von Bier komplett desinteressierte Ale-Erbe und Schlangenexperte Charles Pike - von allen Instanzen unkommentiert – liest, während ihn die weibliche Welt im Salon des Schiffs umzingelt und umzüngelt. Wenn nicht nötig, dann doch immerhin unvermeidlich, könnte man sagen. Sturges staffiert den Vordergrund mit allen Paradiesrequisiten. Im Vorspann schlängelt die Schlange um den Baum, bald fällt dem Helden ein Apfel auf den Kopf und anders als der alte Adam erlebt er mehr als nur einen Fall.

Es gibt keinen (unmittelbaren) Kommentar zur Frage, die der Titel des Buches stellt, aber es gibt einen privilegierten Blick auf den Mann. Einen Meta-Blick: Jean Harrington blickt in den Handspiegel. Sie kommentiert, was geschieht, diese Dissoziation zwischen Bild/Geschehen und (weiblichem) Kommentar macht der Film mit, der den Spiegel rahmt, ins Leinwandbild hinein. Ihre, Evas Stimme wird seine Stimme; eine Synchronisation, deren Rahmung, die einen Schnitt zieht, der das Meta macht, ausgestellt wird. Synchronisation, die aber niemals fugenlos Synchronizität wird und werden kann. Der  Vorsprung der sophistication ist jene Art struktureller Vorsprung, die man nicht zurücknehmen kann, ein Vor-Sprung auch, der mit den Mitteln des gesunden Menschenverstands nicht mehr zu kitten ist. Jean Harrington ist, könnte man sagen, von Anfang an die Beobachterin zweiter Ordnung: Sie sieht noch das Sehen und kann so die Fäden des Geschehens in den Händen behalten. Es ist dann nicht einfach um sie geschehen, vielmehr stellt sie das fest als matter-of-fact, ganz als beobachte sie eine andere. Sie tritt, in dem Moment, in dem sie ihre Liebe konstatiert, selbst in den Spiegel, in das Bild im Spiegel, das der Film weiterführt, auch wenn er den Rahmen zum Schein streicht. Diese Setzung des Rahmens, der das Meta macht, ist - als eben der beschriebene Vorsprung - nicht einfach wieder zu streichen. (Dies ist die Ähnlichkeit zur romantischen Ironie, wie sie Friedrich Schlegel in "Über die Unverständlichkeit" beschrieben hat. Es geht nur weiter zur Ironie der Ironie. Und so immer weiter, ins Unendliche.)

So ist Jean, die – vielleicht bis zur Identifizierbarkeit - der Position des Films jedenfalls sehr viel näher ist als Charles, immer schon mit sich selbst im Gespräch (wie der Film, könnte man sagen, durchweg ein Selbstgespräch ist, ein Meta-Film). Jean ist mit sich dabei durchaus im Einvernehmen, es gibt keine Züge der Schizophrenie, aber eine andere, eine zweite ist sie durchweg. Die Welt sieht sie im Spiegel und es ist kein Trick. Und umgekehrt: Der Verzicht auf den Betrug, zu dem die Liebe führt, ist kein Rückfall in Naivität, sondern Perfektion des Spiels über die Bande: Noch den mit allen Wassern gewaschenen Vater führt sie an der Nase herum, um dem über alle Maße naiven Pike den Überlebensspielraum zu eröffnen, in dem seine Liebe für sie möglich bleibt. Der entscheidende Entwurf dieses Films ist, in dieser Figur, vielleicht genau dieser: Eine durchgehaltene Dopplung der Ebenen, die nie zur Spaltung führt oder zu gespaltener Zunge. Jean, könnte man auch sagen, ist keine Schlange. Vor der wirklichen Schlange, die so auf merkwürdige Weise, zum Symbol ausgerechnet des Literalen wird (der Gefahr geradezu des Literalen), schrickt sie entsetzt zurück, im Wachen wie im Traum. (Der Film setzt zwischen beidem also keine entscheidende Differenz.)

Pike freilich ist ein hoffnungsloser Literalist. Er glaubt dem Text zum Bild. Er lässt sich von der Objektivität der Fotografie überwältigen, die die Geliebte als Verbrecherin zeigt. Nein: Er lässt sich vom Text auf der Rückseite des Bildes die Interpretation des Bildes vorschreiben. Er identifiziert umstandslos die Frau mit ihrer Vergangenheit. Als Literalist, der immer nur an eindeutige Bedeutungen, die eine Wahrheit glauben kann, fällt er – wiederum, immerzu fällt er – von der Liebe in tiefes Misstrauen, ganz unfähig zur Balance der einen Wahrheit (sie ist eine Betrügerin) mit der anderen (sie liebt mich). Sie ist nun enttäuscht – als müsste sie nicht wissen, dass genau das, was sie fordert, die Balance der Wahrheiten, das Aushalten der Dopplung, ihm schlechterdings und konstitutiv unmöglich ist.

Jean kehrt wieder als Eva. Die Frage, auf die dann der ganze Film hinausläuft (und das von Stanley Cavell beschriebene Genre der "Comedy of Remarriage" als ganzes), wäre also: "Is repetition necessary?" Und wozu. Um Versöhnung, um Vergeben herbeizuführen, so Cavells Vorschlag. Glaubt man dem Film – aber womöglich geht man da den eigenen frommen Wünschen auf den Leim – so braucht es gleich zwei Wiederholungen. Die erste Wiederholung ist die blanke Rache. Jean ist als Lady Eve ganz sie selbst: schon wieder gedoppelt, schon wieder und durchweg die Situationsmächtige und Charles, der seinen Augen nicht traut, fällt und fällt. Dennoch ist die Art seines Verkennens nun eine andere. Die Geschichte von Zwillingsschwestern, die man ihm aufbindet, glaubt er halb und halb. Er traut dem Augenschein und traut ihm nicht. Er wiederholt seinen Traum von der gemeinsamen Vergangenheit, diesmal aber nicht mit dem Pathos des ersten Mals, sondern als vom Pferd kommentierte Farce. Charles, der natürlich noch immer nicht – nun aber anders nicht - weiß wie ihm geschieht, wird ausgezogen aufs letzte Hemd. Auch wenn, so muss es scheinen, darunter immer nur wieder der alte Adam erscheint, findet eine Art Exorzismus statt. Er ist nicht recht dingfest zu machen. Aufklärung ist das nicht. Zur selbst verschuldeten kommt nun die, with a vengeance, fremd verschuldete Unmündigkeit. Aber zur literalistisch-negativen Gegenfigur Muggsy (das negative Prinzip, das Prinzip des Negativen für Cavell) tritt nun der Vater, der nicht fällt, sondern herabsteigt auf Flügeln des Gesangs. Er ist ungezogenes Kind eher als Vater. Mit ihm, denkt man, eröffnet der Film noch einmal einen neuen Spielraum. Mit ihm kann sich Eve – über den Kopf von Charles hinweg – atmosphärisch verständigen. Der Exorzismus, um den es geht, ist also denkbar unanständig, im Zug setzt er sich fort als Aufzählung von Affären der ewigen Eva. Da kann der alte Adam nur die Koffer packen.

"Is repetition necessary?" Und hilft sie? Verschärft nicht jede Wiederholung nur die Struktur der Ironie? (Ausgeschlossen bleibt jedenfalls ein Tigerspring zurück in die Naivität; das kann dann nur eine durch und durch falsche Naivität sein, eine fundamentalistische Naivität.) Es geht, in der dritten Runde, alles sehr schnell. Daraus folgt die nächste Frage: "Is velocity necessary?" Gewiss ist die Frage sehr berechtigt, sie führt auch zurück zum tradierten Namen des Genres, "screwball", der den angeschnittenen Ball bezeichnet, auf den man nicht rechtzeitig, jedenfalls nur mit Schwierigkeiten reagieren kann. Kann sich in der exorzistischen Übereilung, im rasanten Stolpern über Dinge, über die noch nie jemand gestolpert ist, doch wieder etwas einstellen wie Synchronizität? Eine Parekbase aus der Zeit, die etwas wie eine gleiche Zeit zwischen den einander nicht (mehr)/noch nicht (wieder)/immer (noch) Liebenden herstellt? Versöhnung, Vergebung finden statt. Nominell. Noch immer geschieht freilich alles über Charles' Kopf hinweg, der Blick Jeans in den Spiegel, die Synchronisation ihres Blicks, ihres Kommentars und ihres Handelns im Meta bleibt bestehen. Und da Charles nicht weiß und erfährt, was er vergibt, kann im Ernst von Vergebung doch nicht die Rede sein. Aber, anders gefragt (und es ist keine leere Frage): Wissen wir je so genau, was wir vergeben, wenn wir (dem anderen) vergeben? Ist der Wille nicht (fast) genug? Ist Versöhnung nicht doch auch Vergessen? Geht es dann vielleicht darum, zu vergessen, was wir nicht gewusst haben? Ein Einverständnis mit dem, von dem wir doch immerhin wissen (oder ahnen), dass wir es lieber nicht wissen wollen? Der Skeptiker, der die Wahrheit kennt ("positively the same dame") hat das letzte Wort, aber zu sagen hat das nichts. Das Paar entzieht sich unserem – und nun können wir auch sagen: ihrem, Jeans, Blick – vergibt sich, ergibt sich einem asymmetrischen Vergeben, über seinen Kopf, über ihr besseres Wissen hinweg. Es ginge also in dieser Komödie der Wiederverheiratung nicht um ein Erkennen, nicht um einen herrschaftsfreien Diskurs, der Liebe ermöglichte. Sondern? Um den Akt des Vergebens und Vergessens? (Denken wir an "Eternal Sunshine of the Spotless Mind".) Aber das ist keine Lösung. Oder doch?

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