Jacques Rivette: Céline und Julie fahren Boot

(F 1974)

Rezension von Ekkehard Knörer

Meist begann es so. So beginnt der Film. Damit, dass Julie auf der Bank im Park sitzt, ein Buch über Magie liest, Celine vorbeieilt, etwas fallen lässt und es beginnt eine Verfolgung, die eine Verführung ist, eine spielerische Jagd hoch nach Montmartre, eine langsame Annäherung dann der beiden Frauen. Aber, am nächsten Tag - das Insert, bevor der nächste Filmtag anbricht. Alles pure Setzung. Das Kennenlernen vollzieht sich wie ein ritualisiertes Spiel, am Ende wird sich der Kreis schließen, Celine sitzt auf der Bank, Julie hastet vorbei.

Magie: die Herstellung von Zusammenhängen da, wo keine sind. Der Eingriff ins Naturgegebene mit Mitteln, die nicht die der Natur sind. Alles an Celine und Julie fahren Boot ist Magie, in diesem sehr buchstäblichen Sinn. Julie, die Bibliothekarin, übt sich in der Vorhersagekunst. Celine führt auf der Bühne die falschen Tricks vor, die richtige Zauberei spart sie sich für das Leben. Die existentialistische Magie der beiden: sie erfinden sich, in komplizenhafter Konfabulation, immer wieder neu, tauschen ihre Identitäten und verdrehen allen den Kopf. Celine, als Julie verkleidet, verführt Gilou, Julies Verlobten, zu einem bizarren und bezaubernden Entkleidungstanz mitten im Park, der auch eine allmähliche Entkleidung der Worte vorführt, zitathaft romantisches Vokabular Stück für Stück aufs Ficken runterbricht. Am Ende steht Gilou ohne Hose da und Julie, die Celine war, ist davon.

Aber, am nächsten Tag - beginnen sich die vielen Geschichten von Celine und Julie zu fokussieren. Celine erzählt eine Räuberpistole von einem mysteriösen Haus, man sieht, wie sie die Geschichte vor Julies Augen erfindet. Die Magie der Fiktion: etwas erzeugen, da, wo nichts war. Also, magische Logik der Fiktion dieses Films, existiert dieses Haus. Konkretestes Sinnbild all der Hintergrundverschwörungen und Mysterien, die Rivettes Filme zu organisieren pflegen. Obwohl es in die Irre führt, von Organisation zu reden: es sind eher (meist vertrackte) Angebote der Sinnstiftung, Antäuschungen von Hand und Fuß, wo eigentlich das Prinzip der Improvisation herrscht, der unendlichen Möglichkeiten jeden Augenblicks, des Eintretens des Unerwartetsten. Die Logiken von Rivettes Filmen sind, wie die des Traums, strikt intern, parasitär natürlich an Zeichen und Erwartungen der Realität, aber nur weil es anders nicht geht. Eigentlich wird die Wirklichkeit neu erfunden, von Moment zu Moment, aus dem Konkretesten der Bilder von Paris, der Improvisationen der Darstellerinnen.

Es liegt nahe, das mysteriöse Haus, das beide immer wieder aufsuchen, als Kino zu deuten. Allein, es gibt keine Allegorien in Rivettes Filmen. Kann sie nicht geben, da Allegorie immer bedeutet: das Durchsichtigwerden des Stofflichen auf das Gemeinte, das Aufgehen der Bestandteile der Bedeutung im Übertragenen. Rivette dagegen ist verliebt in den Eigensinn des Stofflichen, des Bildes, das zeigt, was es zeigt, an dem alles zum Anlass für unvorhergesehene Abzweigungen von der vielleicht angesteuerten Bedeutung werden kann. Zu der es dann kein Zurück mehr gibt. Der scheiternde Frenhofer Balzacs - den Giorgio Agamben als Terroristen der Bedeutung, als Stoffverächter par excellence liest - wird in Die schöne Querulantin zum Triumph der alle einmalige Festschreibung der Bedeutung verachtenden Filmkunst Rivettes. Der Körper Emanuelle Béarts wird von der Kamera den Zurichtungen Frenhofers entzogen, wird zum Unzurichtbaren schlechthin. Wenn das Haus, in dem in geradezu terroristischer Repetition immer wieder das gleiche geschieht, Sinnbild des Kinos wäre, dann nicht des Kinos von Jacques Rivette.

Der Film, den die beiden, süßigkeitenlutschend, in seltsamer Nachträglichkeit sehen, mal gebannt und mal gelangweilt, zuletzt mit den Mitteln eigenwilliger Magie zurückbeschworen, ist zuletzt: ein Whodunit. Ein archetypischer Krimi, dessen Elemente sich auf den zentralen Punkt der Tat und vor allem der Täterin hin strukturieren. Die Strenge dieser (gänzlich unmagischen) Form der Geschichtenerzählung wird, bei Rivette, Bild. Statt der bewegten und neugierigen Handkamera der Szenen um Celine und Julie, dem Verzicht auf inszenierende Festlegung der Bilder der Stadt, der Wohnung, all der Räume, die die beiden sonst heimsuchen, gibt es hier: statische Einstellungen, erstickenden Dekor, ihre Texte aufsagende Schauspieler. Es ist kein Wunder, dass die beiden das nicht ertragen können und sich als subversive Elemente in diese Geschichte einschleusen. Ihre Rettungsaktion besteht in der Entführung des Mädchens, aber das ist sozusagen nur der Vorwand für die gründliche Zerstörung der Filminszenierung, die im Moment des Eindringens bereits als solche deutlich wird: an den grünlichen Gesichtsmasken der Darsteller, die diese sogleich als die Zombies eines vorgegebenen Drehbuchs ersichtlich werden lassen, die sie sind. Als angeschickerte Parasiten an der fremden Fiktion werden Celine und Julie zu Agentinnen des Rivette-Films im Anti-Rivette-Film. Sie leisten gründliche Arbeit und geben den ganzen Plunder der Lächerlichkeit preis. Triumphal aber sind diese Szenen nicht durch die schlichte Erfüllung dieser Deutung, sondern durch das Insistieren auf dem immer wieder komischen Eigensinn der Objekte. Filmsprachlich wird daraus, natürlich: Slapstick, die sinnzerstörende Freude am Bildwerden der Tücke des Objekts. Damit haben Celine und Julie ihre Mission erfüllt, können, das Kind im Schlepptau, zurück in ihre magische Wirklichkeit, wo dann das Spiel von vorne beginnt.

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