Baz Luhrman: Moulin Rouge

(USA, Australien 2001)

Rezension von Ekkehard Knörer

Baz Luhrman ist ein Hyperkinetiker unter den Filmregisseuren: er gönnt dem Betrachter keine Sekunde der Ruhe, hält die Kamera auf stetem Trab, nein Galopp, knallt Bild- und Tonspur randvoll, bis man als Zuschauer selbst ins Zappeln gerät. In den ersten zwanzig Minuten von Moulin Rouge beschleunigt Luhrmann den Film erst mal auf 180, schneidet, blendet, fährt mit der Kamera in seinem heimelig artifiziellen Montmartre herum. Das geht so weit, dass er noch das Blatt in der Schreibmaschine und was darauf steht mit einem Reißschwenk dynamisieren muss. Dann, irgendwann, erstmals, öffnen die Darsteller, Ewan McGregor und Nicole Kidman, den Mund um zu singen, wenigstens ist nun klar, in welches Genre einen Luhrman mit so viel Heftigkeit und Schwung hineinbefördert hat: das Musical.

Für den Rest des Films wird das Tempo ein bisschen gedrosselt, es gibt Ansätze zu Narration und Dramaturgie, mehr nicht, spätestens in den Musiknummern heben Kamera und Cutter wieder ab ins Frenetische. Auch zwischendrin jedoch, in den Rezitativ-Passagen, verfällt der Film aus panischer Angst vor Stille oder Form oder einem Gedanken, der über einen Einfall hinausginge, in slapstickartige Zwangskomik, die, immerhin, mitunter, tatsächlich ziemlich komisch ist - etwa wenn vor den Augen des eifersüchtigen Geldgebers der Plot und die Figuren des treffend betitelten Musicals "Spectacular Spectacular" aus dem Zufall des Anwesenden heraus improvisiert werden. Fraglos bietet all der hemmungslos zusammengeklaute Ausstattungsplüsch und Kostümkokolores einen fortgesetzten opulenten Augenschmaus, von allem ist soviel zuviel, dass es schon wieder egal ist und man die kritischen Waffen streckt. Überwältigt vom Aufwand, nicht von Inhalt oder Form.

Moulin Rouge ist ein wahrer Schmelztiegel an Einflüssen, Anspielungen, Ideen, Herkünften. Differenzen werden rigoros platt gemacht, Musik und Tanz und Plotmomente von anderswoher werden mit mehr Gewalt als Verständnis an sich gerissen eher als angeeignet. Die Welt von 1900 und Montmartre wird so zum zeitlichen und räumlichen Nirgendwo, in dem, anything goes, Madonna und Bollywood, Kurt Cobain und Toulouse-Lautrec friedlich an der Überbietung der Postmoderne arbeiten. Die Homogenisierung des Heterogenen jedoch geschieht nicht ohne Gewalt. Dass sämtliche Musik, ihre Abstammung verschleiernd, auf gleichklingenden symphonischen Sound hin moduliert wird, mag dabei erklärlich sein als Wunsch, ein Musical aus einem Guss zu fabrizieren. Vernäht, zusammengeschweißt und aneinander geklebt wird das bunte, von hier wie dort unter Verachtung aller Kosten bezogene Material wie es sich für einen Film gehört durch den Schnitt, der hier als großer Gleichmacher fungiert.

Aber ach! Es mangelt Baz Luhrman an Feingefühl wie Chirurgen-Geschicklichkeit bei der Führung von Nadel und Faden, rabiat verfährt er nach der Devise viel hilft viel und vertraut auf die manipulative Kraft der Schnitt-Geschwindigkeit. Wie blöd und leider ohne Rhythmus-Sinn und choreografischen Verstand behandelt Luhrmans Kamera alles, was ihr vor die Linse kommt, auf gleiche Weise: jede Einstellung zielt auf größtmöglichen Effekt und verpufft nach wenigen Sekunden, es folgt die nächste, die erneut sofort verpufft. Alle Dynamik kommt von außen: als Schwenk, als Fahrt, als rascher Schnitt. Das Material und seine Behandlung, Inhalt und Form stehen so verständnislos nebeneinander, dem Inhalt wird eine alle aufkeimende innere Spannung oder Kohärenz zerhackende Form aufgezwungen. Besonderen Schaden nehmen dabei die Tanzsequenzen, in denen die Choreografien der Figuren und der Kamera grässlich aneinander vorbei auf Effektsteigerung zielen und die zugrunde liegende Absicht aller Choreografie, nämlich die Herstellung innerer Kohärenz und Harmonie (und sei es im Disharmonischen), durch solches Auseinanderlaufen schlicht konterkarieren. Nichts spricht, man nehme nur das neuere Bollywood, gegen raschen Schnitt und bewegliche Kamera, nur muss beides einen Bezug auf die Einstellungen und das Dargestellte haben. Luhrman jedoch schneidet von Halbtotalen auf Großaufnahmen und wieder zurück, dann auf irgendwelche Mitteldistanzen, lässt die Kamera zur Fahrt ansetzen, schneidet auf eine statische Einstellung zurück, führt dann nicht die Fahrt fort, sondern setzt zu einer neuen an, schneidet sogleich zurück auf die Großaufnahme undsoweiterundsofort. Er hat sich, denkt man, nichts dabei gedacht. Er weiß nicht, wozu die formalen Mittel, Grammatik und Vokabular des Films gut sind, aber es macht ihm Spaß, damit herumzufuhrwerken, bis es der Zuschauer im Kopf nicht aushält. Moulin Rouge zu betrachten ist, als höre man Musik bei voll aufgedrehten Verstärker-Peglern, unterstützt von dynamischem Bass Boost. Es gibt Leute, die das mögen und für fünf Minuten klingt es toll. Nach mehr als zwei Stunden aber klingelt einem der Tinnitus in sämtlichen Geschmacksnerven.

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