Souzhou River

China 2000
Regie: Lou Ye

Rezension von Ekkehard Knörer

Während der ersten Szenen des Films, eines Dialogs um ewige Liebe, bleibt die Leinwand schwarz. Dann aber stürzen die Bilder umso hektischer auf uns ein: verwackelte, gezoomte, gebleichte, im Stakkato geschnittene Aufnahmen vom Leben am Fluss, der der zentrale Schauplatz, auch, aber ganz unaufdringlich, die zentrale Metapher des Films sein wird: Schicksale entscheiden sich im Fluss, am Fluss durch Shanghai. Diese Bilder, vom Fluss, von Shanghai, blicken auf unvertraute Weise in die Welt: es ist nicht der jeden und keinen repräsentierende Blick der Kamera, er ist gebunden an ein Ich, das erzählt, das wir nie zu Gesicht bekommen, das diese Kamera ist.

Dieses Ich wird so auf doppelte Weise zum Erzähler: als Kamerablick (das Experiment wird streng durchgehalten wie einst bei The Lady in the Lake) aber auch als Autor einer Binnengeschichte. An der Stelle, an der der Saum der Narration für diese Binnenerzählung aufgetrennt wird, lässt der Erzähler Spielraum: hier und an mehreren Wendepunkten der folgenden Geschichte von der absoluten Liebe, die nur im Tod enden kann, öffnet er kurzzeitig Fenster als Aussichten in den Kontingenzcharakter des Erzählten. Es könnte so geschehen sein oder auch nicht. Eine wahre Geschichte oder auch nicht. Dieses spielerisch eingesetzte Motiv von der (ausgestellten) spontanen Verfertigung der Fiktion beim Erzählen macht deutlich, dass Lou Ye nicht umsonst Chris Marker als eines seiner Vorbilder nennt.

Dieses Einlassen von Kontingenzbewusstsein ist eine heikle Sache, ein weiterer Schritt und man ist im kunterbunten Ödland der Beliebigkeit. Lou Ye weiß darum und verdichtet seine Fiktion zum Ausgleich für die offenen Ränder im Inneren vielfältig: durch Motivwiederholungen, ja, durch den Zirkelschluss der Narration, die am Ende zum Anfang zurückkehrt, Souzhou riverrun. Durch die Verdopplung eines Gesichts, dadurch Verrätselung der Zusammenhänge. Umso dringlicher wünscht man, sie zu begreifen. Die Rahmen- und die Binnenerzählung werden zusammengeführt: fließen, wie zwei Flüsse, zu einem ineinander. Die beiden Liebesgeschichten überkreuzen sich, spiegeln sich, kommentieren sich zuletzt auch noch ironisch. Mit der letzten Wendung, den lakonischen Worten des Ich-Erzählers, rückt der Film die Absolutheit der romantischen Liebe zwischen Mardar und Moudan überraschend in ein neues Licht: distanziert sich, weist ihnen einen Platz im rein Fiktionalen an. Um sie so umso unangefochtener in diesem Raum der Suspension geradezu emblematisch doch bewahren zu können: als Mythos.

Daran ist nichts bedenklich, denn es ist eine sehr schöne und lakonisch genug erzählte Geschichte vom Motorradkurier und vom Mädchen Moudan als Frachtgut, das so unerwartet zu lieben anfängt und wiedergeliebt wird. Die Kamera ist auch in der Binnenerzählung, wo sie nicht subjektiv ist, am Christopher Doyle/Wong Kar-Weischen Handkamerastil geschult. Ist immer in Bewegung, rückt dicht an Gesichter und Gegenstände, verweigert Überblicke, schneidet an, verzichtet auf elegante Ausleuchtung und präzise Kadrierung. Anders als die artverwandte Dogma-Schule setzt Souzhou River auf Musik: ein Liebes-Leitmotiv, streicherlastig, und viele weitere Nebenmotive, laut, deutlich, extradiegetisch: große Liebe, große Gefühle, pathetische Musik, konterkariert, eben, von der Wackelkamera. So fügen sich das Pathos, auf das der Film bewusst artifiziell zielt, und die Doku-Lakonik reizvoll zusammen. Das ist nicht mehr neu, funktioniert aber überzeugend, unterstützt die Sogwirkung, die der Film über seine ganze Strecke entfaltet.

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