Scream und der Slasher-Film. Essay von Jean Moritz Müller

.

Jump Cut Filmkritik
__________________
Magazin für Film & Kritik:
Rezensionen und News.

Impressum



.

Videos bei Amazon
Videos & DVDs bei Amazon

Scream und der Slasher-Film. Essay von Jean Moritz Müller

 

Schwesterseiten

Auteur.de - Lexikon der Regisseure
Comix-Corner - die Comic-Website
Crime-Corner - die Krimi-Website
Literatur-Corner - die Seite für Literaturkritik
.

Archiv

Filmkritik
Filmbuchkritik
Filmklassiker
Alle alten Kritiken in der Übersicht
.

Interaktiv

Forum
Diskutieren Sie über Filme und/oder unsere Kritiken!

Mail
Was immer Ihnen an uns passt oder nicht passt.

.

Authentizität und Materialimmanenz

Wie lässt sich ein totes Genre neu erfinden ohne dabei definierte Grenzen zu überschreiten?
Essay von Jean Moritz Müller

 

Der klassische Slasher-Film ist ein Genre, für das seit seiner Geburtsstunde mit Halloween (John Carpenter, 1978) sowohl auf formaler wie inhaltlicher Ebene ein methodischer Konsens existiert. In kaum einer anderen Gattung des B-Pictures finden sich über Jahrzehnte hinweg dieselben Versatzstücke ohne grundsätzliche Variationen.

Zwar muss man einräumen, dass unter seinen renommiertesten Vertretern auch eine gewisse dichterische Freiheit (sofern sich dieser Terminus auch im Hinblick auf die septième art und erst recht den Slasher-Film als weithin verkanntes Horror-Subgenre gebrauchen lässt) im Umgang mit der Slasher-Konzeption besteht (so grenzt sich Wes Craven in seinem Vexierspiel mit den Schnittstellen von Traum und Wirklichkeit in A Nightmare On Elm Street in jedem Fall sehr deutlich von Carpenters und Cunninghams1 Vorgaben ab), dennoch ist die Kontinuität der Motive und filmischen Stilmittel in höchstem Maße auffällig und nahezu impertinent.

Diese Feststellung lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass gerade in der ständigen Wiederholung des längst Bekannten ein gewisser Reiz liegt. (Rückschlüsse über die Zielgruppe bzw. Fangemeinde bzw. deren recht bescheidene Rezeptionsästhetik lasse ich jetzt mal außer acht, wenngleich sie bei einem Genre, das sich in den Jahren vor seiner Wiedergeburt weitgehend mit Videoproduktionen über Wasser hielt, durchaus berechtigt sind.)

In diesem Sinne ist Scream keine Ausnahme und ebenso impertinent-banal wie die Tradition, die Wes Craven 1997 fortsetzte. Revolution und Reminiszenz! war der Tenor populärer Filmzeitschriften und ihrer oberflächlichen Auseinandersetzung mit der Selbstreflexivität als konstitutivem Gestaltungsmerkmal des Films. Mit letzterem es Craven gelingt seinen Film neben dem üblichen Handlungsschema in Meta-Ebenen anzulegen und in einer filmischen Geste nahezu unverschämter Selbstgefälligkeit den längst überfälligen Diskurs über die formalen und inhaltlichen Gesetzmäßigkeiten des Genres zu lancieren - um diese letzten Endes auf der Handlungsebene wiederum zu verifizieren.

Wenn Randy beim wiederholten Genuss des Halloween -Finales Jamie Lee Curtis mit den Worten „Look behind you!“ vor Michaels drohendem Angriff warnt, während sich der maskierte Killer ihm selbst von hinten nähert und er dabei außerdem von Gale und Kenny im Ü-Wagen vor dem Haus in der Quasi-Live-Übertragung beobachtet wird, die beide dem Randy auf der Mattscheibe panisch „Behind you!“ zurufen, so offenbart sich das selbstreflexive Moment des Films hier formal in der Parallelführung der Handlungsstränge, die auf der Grundlage des Films-im-Film Halloween medial übereinandergeschichtet jeweils als kommentierende Meta-Ebenen des Geschehens fungieren und somit das der filmischen Konzeption von Scream inhärente selbstironische Potential zur vollen Geltung bringen. Formal kann diese Szene sicher als narrativer Schlüssel betrachtet werden.

Den eigentlichen Diskurs bestimmt jedoch das Finale, denn hier wird der Slasher-Film als Kommentar seiner selbst in dem wahnwitzigen verbalen/physischen Kampf zwischen Sydney, Billy und Stew ad absurdum geführt. Die Art und Weise, wie Craven inhaltliche und formale Ebene der Selbstreflexion verschränkt, zeigt sich noch einmal überdeutlich in der Auseinandersetzung der Protagonisten mit dem Medium (Slasher-)Film:

Billy kommentiert seine Gewaltakte, indem er auf die Taten filmhistorischer Serienkiller-Persönlichkeiten hinweist. Gemeinsam mit Stew inszeniert er Sydneys (natürlich vereitelte) Ermordung als Film-Finale. Als Sydney nach deren Motiv fragt, führt Billy den Verlust seiner Mutter an, die seine Familie verließ, weil Sydneys Mutter mit seinem Vater schlief, nennt also eine ödipale Konfliktsituation als Beweggrund für sein Morden und bestätigt damit indirekt den puritanischen Geist eines jeden Slasher-Killers, das Postulat der heiligen Familie als (lächerliches) Motiv für ein killing for killing’s sake2, widerlegt hingegen Stews rhetorische Frage nach dem angeblich nicht vorhandenen Motiv Norman Bates’, der jedoch als Archetyp des Serienkillers im Film durch seine Morden „versucht [...] die symbiotische Bindung über den Tod [der Mutter] hinaus aufrechtzuerhalten und seine Mutter zu neuem Leben zu erwecken.“3 Damit hat Billy zwar dieselben archetypischen psychischen Dispositionen, doch scheint er bei seinen Taten von Stews Hedonismus mitgerissen und beweist damit die Unzulänglichkeit psychoanalytischer Erklärungsmuster für ein derartiges psychotisch-sadistisches Verhalten, potenziert durch den Konsum von Slasher-Filmen („Films don’t make psychos, they just make psychos more creative!“).

Mit letztgenanntem Zitat liefert Craven seinen Beitrag zur moralischen Debatte um filmische Gewalt und zieht die ganze Diskussion um die Psychologie der Täter schlussendlich ins Lächerliche, als er Sydney und die Killer die Rollen tauschen lässt, und Stew über Sydneys (deren verzerrte Stimme nun über das Telefon als das eigentliche Kommunikationsmedium der Killer erklingt) Triumph - das baldige Eintreffen der (im Slasher-Film grundsätzlich machtlosen) Polizei - verzweifelt: „But my parents will never forgive me!“

Dennoch wird der Zuschauer den Eindruck nicht los, Stews Ende verweise auf einen Kausalzusammenhang zwischen seiner Rolle als zitatfreudigem Serienmörder und dem filmischen Material, von dem er sich für seine Taten inspirieren lässt. Wenn Sydney ihn mit dem laufenden Fernseher (der den finalen Kampf von Halloween zeigt) erschlägt, dann scheint es, als werde Stew am Ende von dem vernichtet, was die Genese seiner psychotischen Persönlichkeit entscheidend mitbeeinflusst hat - die Inhalte all der Filme, die Billy und er zitieren. Sein Tod ist die letale mediale Rückkopplung, die Sydney - ganz „slasherkonform“ - zum siegreichen final girl macht und damit noch einmal die konsequente Regelkonformität von Scream bestätigt, denn gerade sie ist es, die den Film im Kontext eines postmodernen Kinos, das mit dem Dogma der inszenierten Identität spielt, authentisch macht.

Hier interessiert die psychologische Dimension eines solchen pathologischen Narzissmus, wie ihn die Killer in Scream verkörpern, tatsächlich nicht mehr. Vielmehr geht es um sie als Vertreter einer Generation von Filmcharakteren, deren Identität sich in der affirmativen Wiederholung längst stereotyper Gesten bildet. Das Rollenklischee wird zur Voraussetzung authentischer Persönlichkeit. Pulp Fiction als initialzündendes filmisches Postulat einer solchen Charakterzeichnung findet in Scream für die Gattung des Slasher-Movie sein kongeniales Äquivalent.

Inwiefern Scream damit eine real existierende, kollektivpsychische Tendenz aufgreift, die sich in dem narzisstischen Bedürfnis widerspiegelt, in der „medienvermittelte[n] Inszenierung des Authentischen [...] Identität [zu erfahren]“4 sei zunächst dahingestellt.

In diesem Rahmen ist Wes Cravens Verdienst entscheidend: Er hat den Slasher-Film ins Kino der Postmoderne transponiert ohne ihm die genretypische Gestalt zu nehmen.

Fußnoten:

1 Sean S. Cunningham, Regisseur des kommerziell sehr erfolgreichen Friday, the 13th (1980)

2 Mark Whitehead, Slasher Movies, Pocket Essentials Verlag, Herts 2000.

3 Thoma David im Nachwort zu Robert Bloch, Psycho, Reclam Verlag, Stuttgart 2000.

4 Martin Altmeyer, „Big Brother“ und andere Inszenierungen von postmoderner Identität, V&R Verlag, Göttingen 2000.

zur Jump Cut Startseite

.

Suche


powered by crawl-it
.

Newsletter

Anmelden zum Jump Cut Newsletter mit wöchentlichen News und Updates

Powered by KBX7

.

Jump Cut Partner

DVDs & Videos
Suchbegriffe:



In Partnerschaft mit Amazon.de

.

Internet Movie Database


Filmtitel Person
Powered by www.IMDb.com