NO PLACE LIKE HOME - femme totale

.

Jump Cut Filmkritik
__________________
Magazin für Film & Kritik:
Rezensionen und News.

Impressum



.

Videos bei Amazon
Videos & DVDs bei Amazon

NO PLACE LIKE HOME - femme totale


Website Femme Totale
 

Schwesterseiten

Auteur.de - Lexikon der Regisseure
Comix-Corner - die Comic-Website
Crime-Corner - die Krimi-Website
Literatur-Corner - die Seite für Literaturkritik
.

Archiv

Filmkritik
Filmbuchkritik
Filmklassiker
Alle alten Kritiken in der Übersicht
.

Interaktiv

Forum
Diskutieren Sie über Filme und/oder unsere Kritiken!

Mail
Was immer Ihnen an uns passt oder nicht passt.

.

femme totale, abschlussbericht
V
on Ulrike Mattern

 [Image]
zum Vorbericht
zum Bericht vom ersten Tag

Den Anschein von Sommer verbreitet nur das Festivalplakat zur „femme totale“ in Dortmund. Ansonsten pfeift der Wind über den Bahnhofsvorplatz und unter die Mäntel, wenn man zwischen Festivalzentrum Dietrich-Keuning-Haus, CineStar, Camera und Petri-Kirche hin- und herläuft.

Von einer, die auszog, um die „Magie der Worte zu spüren“. Die Schweizer Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach bereiste in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts Afghanistan. Die deutsche Schauspielerin Jeannette Hain - von „femme totale“ zur Reihe „Weder glatt noch gefällig“ geladen - las gestern Abend in der Petri-Kirche aus dem Roman „Alle Wege sind offen“. Schwarzenbach schwärmt von den Pässen am Hindukusch, von Gebirgsketten und Hügeln. Wunderschöne, poetische Passagen, die Jeannette Hain mit ihrer angenehmen Stimme vorträgt.

Davor und danach: Filme aus dem alten Afghanistan, von einem Land, das für uns, die wir die Stereotypen aus der Fernsehberichterstattung der letzten Jahre kennen, völlig unbekannt ist. „La Fiancée“ ist ein ethnographischer Dokumentarfilm über die Hochzeitsvorbereitungen für ein 15-jähriges afghanisches Mädchen. Sie soll einen älteren Mann heiraten und macht sich über ihr Schicksal keine Illusionen. Nie wieder wird sie es so gut haben wie in ihrer unbeschwerten Kindheit in der eigenen Familie.

„Nomades Afghanes“, ein Stummfilm aus den 30ern, von der Schweizerin Ella Maillart dokumentiert ihre Expedition mit Annemarie Schwarzenbach nach Afghanistan: Landschaft, Menschen und Kultur. Acht Filme liefen in der Länderreihe Afghanistan, um Poesie, Musik und Fotografie im Rahmenprogramm ergänzt. Ein Rückblick auf die gute alte Zeit, der ihre Schattenseiten nicht verleugnete, aber gleichzeitig eine neue Perspektive auf die Heimat von Millionen von Menschen eröffnete.

Zurück in die unbeschwerte Zeit der 70er-Jahre führte die Dokumentation „Ein Traum von Kabul“ von der 1964 geborenen Regisseurin Wilma Kiener. Auf dem Weg nach Indien oder Nepal stoppten die „Blumenkinder“ in Afghanistan, um billig Hasch zu kaufen und für einige Zeit gut zu leben. Mit glänzenden Augen sitzen die Ex-Hippies in ihren im orientalischen Stil eingerichteten Wohnzimmern vor der Kamera von Dieter Matzka und berichten von einem Land, in dem nicht Milch und Honig, sondern Drogen flossen. Dass das Land am Hindukusch nur bedingt ein Märchenland „somewhere over the rainbow“ war, zeigt Bildmaterial aus jener Zeit: ein Aussteiger mit Gelbsucht weint, weil er ohne Geld für den Rückflug nicht überlebt, die Obduktion der Leiche eines Drogentoten, Kreuze, auf denen die ausländischen Namen der Traveller und ihre kurze Lebenszeit eingeritzt sind, die Aufnahme einer 19-Jährigen, die in einem Steinfeld die Heroinnadel aufzieht und sich einen Schuss setzt. Ein Bildtext informiert, dass sie zwei Monate später in Indien starb. Der Regisseur Johannes Schaaf fuhr in den 70ern nach Afghanistan, um für einen öffentlich-rechtlichen Sender einen Film über deutsche Aussteiger in Afghanistan zu drehen. Noch heute merkt man ihm seine wütende Desillusionierung an, als er nach zahllosen Interviews feststellte, dass es den Flower-Power-Mädchen und -Jungs nicht um eine alternative Lebensform, sondern um den günstigen Drogenerwerb und ein billiges Leben ging.

Auf großen Publikumszuspruch stieß der erste Film von und über afghanische Kamerafrauen. Zwei von ihnen, Shekiba Adil und Merhia Aziz, stellten ihre Dokumentation „Afghanistan Unveiled - Afghanistan entschleiert“ vor. 18 und 19 Jahre alt sind die zierlichen Frauen, die in Kabul im Juli 2002 bei einem kurzen Lehrgang an der Kamera ausgebildet wurden. Im Anschluss daran sofort der Sprung ins kalte Wasser: Sie fuhren mit anderen Kamerafrauen und einem zweiten Filmteam, u.a. Brigitte Brault und Florent Milesi, acht Wochen durch das Land.

Auf ihrer Reise befragen sie afghanische Frauen nach ihrem Leben, dokumentieren die bittere Armut und den quälenden Schmerz über den Verlust von Familienangehörigen. Sie sehen, dass jenseits von Kabul die Frauen weiterhin aus Furcht die Burka tragen und das Haus selten verlassen. Von gleichen Rechten für Frauen und Männer ist auf dem Land keine Rede mehr. Das zweite Filmteam richtete die Kameras auf die nachforschenden und drehenden jungen afghanischen Frauen und beobachtete ihren persönlichen Umgang mit der Situation ihrer Heimat.

In den Interviews können die frisch gebackenen Journalistinnen die Tränen über Schilderungen des Grauens oftmals nicht zurückhalten. Die Kamera schützt sie nicht vor Emotionen, vor Mitgefühl und dem Mitleiden. Aber es gibt auch Szenen von Leichtigkeit und Stärke: das unbeschwerte Spielen mit Steinen am Wasser, die Euphorie über den ersten Ausritt, der ihnen Respekt erweisende Tanz und Gesang der Männer eines Dorfes. Selbstbewusst reflektieren die weiblichen Pioniere hinter der Kamera ihren neuen Beruf, der ihnen die Möglichkeit eröffnet, das erste Mal allein zu reisen und die Geschichte der Frauen ihres Landes aller Welt zu erzählen. Nach der Vorstellung, der Applaus wollte gar nicht enden, sah man den beiden jungen Kamerafrauen den Stolz über das Erreichte an.

Die Möglichkeit, mit der Filmkamera Distanz zu wahren und Erfahrungen zu transferieren, stärkte auch Caterina Klusemann. In einem katholischen Vier-Personen-Haushalt in Lucca/Italien mit ihrer Großmutter, Mutter und Schwester aufgewachsen, gab es in den biographischen Fakten zur Familie Lücken und Ungereimtheiten. Die Regisseurin forschte nach und begann - geschützt durch die Kamera - ihrer Großmutter Fragen zu stellen. „Ima“ (hebräisch für Mutter) dokumentiert in vielen Szenen ihr anfängliches Scheitern. Die energische alte Dame wehrt die hartnäckige Enkeltochter ab und fordert, in Ruhe gelassen zu werden. Immer wieder fällt die Schlafzimmer ins Schloss. Dazwischen Dispute und vergleichbare Wiederholungen von Verweigerung wie schon in einem anderen Film dieser Reihe: „Our Burmese Days“. Eines Abends bleibt die Tür geöffnet. Die Großmutter übergibt der Enkelin ein Päckchen mit Dokumenten und Fotos aus ihrer Vergangenheit. Sie ist Jüdin, rettete sich und ihrer Tochter mit falschen Papieren das Leben.

Von der verlorenen, wieder gefundenen und nicht annehmbaren Identität handelt „Daughter from Danang“, von Gail Dolgin und Franco Vincente. Heidi, als Tochter einer Vietnamesin und eines Soldaten der US-Army in Vietnam geboren, gelangte im Rahmen der Aktion „Babylift“ in die USA und wurde von einer allein erziehenden Mutter adoptiert. Die damalige Regierung wollte mit dieser Aktion Sympathien für den Krieg gewinnen, die Vietnamesinnen gaben ihre Kinder weg, da man ihnen sagte, es sei besser für sie und zeitlich befristet. Sowohl die leibliche Mutter als auch die Tochter begannen im Fall von Hiep, in den USA zu Heidi geworden, nacheinander zu suchen. Über eine Agentur fanden sie sich. Heidi, inzwischen selbst verheiratet und Mutter zweier Kinder, besuchte ihre leibliche Mutter und Familie in Vietnam. Nach der ersten Freude, den Tränen und dem Gefühl engster Verbundenheit, tritt die Differenz der Kulturen zutage. Heidi gerät außer sich, als die Familie sie bittet, die Mutter fortan zu unterstützen. Was für die Vietnamesen ein Teil ihrer Familienkultur ist, wird für die Amerikanerin zum Desaster. Sie reist ab. Zwei Jahre später hat sie immer noch keinen Kontakt mehr zu ihrer leiblichen Familie, relativiert die Ablehnung aber mit dem Satz, dass die Tür zwar zu, aber nicht abgeschlossen sei.

Wo die einen mit Lautstärke den Schmerz abtöten oder den radikalen Bruch mit der Vergangenheit wählen, verfallen andere in Sprachlosigkeit. „You are deaf, blind and mute as an immigrant“, formuliert die Regisseurin Jane Wong, um die Ausgeschlossenheit von Einwanderern aufgrund von Sprach- und Kulturbarrieren zu charakterisieren. Sie porträtiert in „Dim Sum - A little bit of heart“ drei Frauen, wovon eine ihre Mutter ist. Für die in erster Generation als Tochter chinesischer Immigranten in Liverpool geborene Jane Wong ist der Wechsel zwischen den Kulturen mit geringen Mühen verbunden. Für ihre Mutter und deren Freundinnen gerät schon der Kauf einer Zimmerpflanze zum Abenteuer. Obwohl die drei Chinesinnen aus verschiedenen Generationen stammen, verbindet sie das Gefühl des Fremdseins in England. „They have their little fortresses“, beschreibt Jane Wong den Versuch der drei Frauen, Vertrautes im Fremden zu positionieren und zeigt ihre Mutter beim Karaoke-Singen oder bei einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen: der Essenszubereitung.

„Die Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne verwirrte mich“, schrieb Annemarie Schwarzenbach in ihrem Reiseroman „Alle Wege sind offen“. Mit einem besseren Zitat, aus dem Zusammenhang gerissen, lässt sich nicht enden.

zur Jump Cut Startseite

zum Diskussionsforum

.

Suche


powered by crawl-it
.

Newsletter

Anmelden zum Jump Cut Newsletter mit wöchentlichen News und Updates

Powered by KBX7

.

Jump Cut Partner

DVDs & Videos
Suchbegriffe:



In Partnerschaft mit Amazon.de

.

Internet Movie Database


Filmtitel Person
Powered by www.IMDb.com