Festival Filmfest Lünen 16. - 19.11. 2000

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Festival

Bericht vom Filmfest Lünen
(16. - 19.11. 2000)
Teil 2: Die Filme

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von Christoph Elles

Federleicht erzählt „Jetzt oder nie“ von drei alten Damen, die sich vor dem Tod noch den Traum einer gemeinsamen Kreuzfahrt erfüllen wollen. Als ihr Gespartes geraubt wird, beschließen die Golden Girls, mit einem Banküberfall das benötigte Geld zu beschaffen. Trotz der drei wunderbaren Hauptdarstellerinnen und einiger wirklich komischer Szenen kann der Film nicht ganz überzeugen: Es scheint, als habe Büchel einer absurden Idee stets den Vorzug vor einer psychologischen Vertiefung seiner Charaktere gegeben. Gerade die Nebenrollen - eine Schwester im Altenheim, die Tochter einer der alten Damen oder die zwei ermittelnden Polizisten - laufen als bloße Karikaturen durchs Bild.

Eine tiefere Auseinandersetzung mit Tod und Sterben und zugleich den besten Film des Festivals konnte man mit Brigitte Müllers bittersüßer Freundschafts-Geschichte „Der Himmel kann warten“ sehen, interessanterweise der amerikanischste Film des Kinofestes. Man muss lange zurückdenken, mindestens bis Caroline Links „Jenseits des Stille“ (1997), um sich eines deutschen Films zu erinnern, der so unverhohlen konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste auf die ganz großen Gefühle setzt. Erzählt wird von den beiden Nachwuchs-Komikern Alex und Paul, Stand-up-Comedian und Clown, die an einem Talent-Wettbewerb teilnehmen. Während der Vorbereitung erfährt Alex, dass er unheilbar Krebs hat. Als letzten Freundschaftsdienst macht er für Paul in Los Angeles einen legendären Comedy-Lehrer ausfindig. Mit Recht bemängeln viele Kritiker die übertriebene Sentimentalität des Werks, insbesondere gilt das für eine Trauerszene am offenen Grab. Doch die Emotionen sind an anderer Stelle so wahrhaftig, die kleinen Gesten so groß, die Dialoge bei aller Bedeutungsschwere so treffend und aufwühlend, dass ich mich dem Film nicht entziehen konnte. Die Mischung aus hinreißend makaberem Galgenhumor und todtrauriger Lebenswut hat mich schlicht überwältigt, was nicht zuletzt den beiden Hauptdarstellern Frank Giering und Steffen Wink zu verdanken ist.

Den krassen Gegensatz dazu lieferte Matthias Glasners hippe Großstadt-Fantasie „Fandango“, die seit fast zwei Jahren auf einen Starttermin wartet, ständig verschoben und umgeschnitten wurde. Seit der Berlinale wurden nochmals 20 Minuten gekürzt, was Glasner nicht gerade glücklich zu machen scheint. Dennoch kann man vermuten, dass es seinem Film eher gut getan hat. Denn gerade, wenn man glaubt, an der MTV-Coolness der Form und der postmodernen Lässigkeit des Inhalts zu ersticken, sind die 98 kurzweiligen Minuten schon vorbei. „Fandango“ ist ein atemloser Trip - nicht mehr und nicht weniger, was bei der mit Moritz Bleibtreu, Nicolette Krebitz, Richy Müller und Corinna Harfouch hochkarätigen Besetzung schon fast schade ist.

Deutlich ruhiger und tiefgründiger geht es in Dito Tsintsadzes lakonischer Komödie „Lost Killers“ zu. Der georgische Regisseur erzählt von einer Gruppe illegaler Ausländer, die sich in Mannheim mehr schlecht als recht durchschlagen. Der Kroate Branko und der Georgier Merab versuchen sich vergeblich als Auftragskiller, der Haitianer Carlos verkauft eine seiner Nieren, um mit seiner Freundin, der vietnamesischen Hure Lan, nach Australien gehen zu können. Wer eine weitere coole Klamotte um unfähige Killer und skurrile Nachtgestalten erwartet, wird enttäuscht. „Lost Killers“ plätschert ganz unaufgeregt dahin und verkauft seine kleinen Wunder und großen Katastrophen als gar nicht wundersame Normalität. Tsintsadze vollbringt das Kunststück, im schwierigen Milieu seines Films kein Mal den falschen Ton zu treffen und jeden seiner Antihelden bis zuletzt zu respektieren.

Um jenen Realismus bemüht, den „Lost Killers“ aus seinem zugegeben schrägen Blickwinkel nie aus den Augen verliert, scheitert Esther Gronenborns mutiger Thriller „Alaska.de“ an Überfrachtung. Wenn beim Mord im rauen, grauen Hochhaus-Viertel ein Biologie-Buch in die Blutlache fällt, ist das Maß erträglicher Metaphorik deutlich überschritten. Wenn die so natürlich agierenden jugendlichen Darsteller mit Zeitlupen der Spannung wegen zu Gangstern stilisiert werden, erdrückt die Form den Inhalt. Die Idee zu „Alaska.de“, einem Tatort-Krimi in MTV-Ästhetik, kam Gronenborn beim Dreh eines Musikvideos. Nun, das sieht man.

Einige der Einfälle für „Sumo Bruno“ stammen vielleicht aus britischen Komödien der letzten Jahre. Der Aufstieg des Underdogs zum gefeierten Helden, der Ausbruch der einfachen Leute ins Licht des Erfolgs, rufen Erinnerungen an „Ganz oder gar nicht“, „Little Voice“ oder „Lang lebe Ned Devine“ wach. Statt eines Striplokals oder Lottogewinns geht es in Lenard Fritz Krawinkels Film um die Sumo-WM, die erstmals im sächsischen Riesa stattfindet. Die Lachnummer des Dorfes, der vier Zentner schwere Bruno Nestroy (Hakan Orbeyi), wird von seinem Kumpel Kalle (Oliver Korittke) überredet, am Sumo-Kampf der Giganten teilzunehmen. Dank seines japanischen Samurai-Lehrers und der Zuneigung einer schönen Frau (Julia Richter) entwickelt der antriebsschwache Bruno ungeahnte Kräfte. Auch wenn die Dialoge manches Mal daneben hauen, ist Krawinkel ein schönes Märchen gelungen, das durch seinen schweren Hauptdarsteller manchmal fast tragisches Gewicht bekommt.

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