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Ross McElwee Bright Leaves (USA 2003)

Kritik von Michael Baute

  

Der Film ist da und gerechtfertigt durch die Behauptung, eine Recherche zu sein und das Bedürfnis zu befriedigen, ihm eine "transfusion of southerness" zu verpassen. Er muss deswegen zurück nach North Carolina. So Ross McElwee zu Beginn im Tabakfeld, ein Pflanzenblatt in der Hand haltend. Do not mistake that for a madeleine, das Tabakblatt ist mehr als nur der Impuls des Films. Ross McElwee bewegt sich physisch entlang einer Geschichte der Kultur des Tabak (und der der Medizin, die die körperlichen Folgen des Tabakkonsum behandelt) in die Südstaaten. Buch: Ross McElwee. Kamera: Ross McElwee. Ton: Ross McElwee. Schnitt: Ross McElwee.

In SHERMAN'S MARCH, dem Film, der mit Ross McElwee als Protagonist und Autor die Wanderung des Südstaatengeneral als tragikomische Metapher von Südstaaten Exzentrik nachvollzog, sah man noch die bizarre Konstruktion, die McElwee sich dafür gebastelt hatte, der Filmemacher als One-Man-Band und Junggesellenmaschine. Hinzu kommt seither dieser verquere und Melancholie nur als Behauptung und Rutsche für Stimmungen stehen lassende Humor, der diese anachronistische Autarkiebehauptung gegen Einwände schützt: ganz sacht ist der und besorgt darum, nicht mißverstanden zu werden. Am zu erzählenden kapitalistischen Widerspruch ausgerichtet, dass der Tabak (die bright leaves, die den milden Geschmack der Zigaretten ergeben), der die Menschen abhängig macht und durch Krankheiten zerstört, zugleich solch eine reiche Kultur erzeugt hat. McElwees Methode: Sich permanent, nachdem ein Teil der Geschichte erzählt zu sein scheint, ins Wort zu fallen, um den Rest der Geschichte vom Stottern abzuhalten; jedes einfallende große Aber als kleines und dann zu erzählen.

Die Verzweigungen der Situation "ich" als Erzählverfahren, ein andauerndes Weitermachen - Suchen, Finden, Abstoßen, Integrieren, und vor allen Dingen: Weitermachen. Mäandern, als sei es die natürlichste aller Ausdrucksformen.

Zu Bildern des Heranwachsens seines Sohn, Super-8 und Videoaufnahmen von vergangenen Familienfeiern, die Filmsammlung des Cousin, Gary Cooper als Tabakbaron in Michael Curtizs Bright Leaf (USA 1950), das spezielle Idiom einer Tabakauktion, die neoklassizistischen Anwesen der Tabakbarone, der McElwee Park, Duke University, eine bizarre Unterhaltung mit einem grotesken Filmtheoretiker, das Tabakmuseum, die automatische Zigarettenstopfmaschine, die Behandlung Krebskranker, ein Blick in die reflektierende Scheibe eines Schaufensters, das Grab des Urgroßvater, eine Familiengeschichte im Konjunktiv, "making special effects without having a special effects department", die verhinderte Rauchentwöhnung eines befreundeten Paars und ein Hund, der das Selbstporträt des Autors als Versonnenen verhindert, indem er bellend und beißend hineinprescht in das absichtsvoll leergehaltene Bild durch das McElwee, der die Kamera auf ein Stativ gestellt hatte, wandeln wollte.

*

McElwee sich vorzustellen als kinematographischen Kaminfeuer-Erzähler, den Onkel, den zu besuchen man sich freut, den verlassen zu können man aber eben so froh ist. Denn auch gibt es das Erdrückende dieser allumfassenden Freundlichkeit, mit der zu allem und jedem Belangvolles gesagt wird, die "alte Humanität". Wie er, als sei es noch natürlich, immer von sich auszugehen scheint, als vielfach bedingter Sprecher allerdings, geformt von einer mit jeder neuen Artikulation sich verfeinernden Wahrnehmung, die historischen mit Möglichkeitssinn koppelt. Dessen pathetisches Projekt: die Tradierung von Artikulation. Sich vorzustellen das Treffen Kluge/McElwee - deren spezieller Konservatismus (Leni Peickert als Geschichtslehrerin auf der Suche nach neuen Perspektiven auf das mangelhafte Ausgangsmaterial "Geschichte").

     
 

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