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Michael Haneke: Caché (F 2005)

Kritik von Ekkehard Knörer 

Nicht im Bild ist das Rätsel, das Bild selbst ist das Rätsel. Eine Einstellung, starr, es tauchen Buchstaben auf, der Vorspann, nüchtern, der Text ins Bild geschrieben, das zum Hintergrund wird. Zu sehen ist eine Straße, begrenzt von Häuserwänden, zu sehen sind parkende Autos, im Zentrum des Bildes ein Hauseingang, eine Frau verlässt das Haus. Stimmen sind zu hören, ein Schnitt, ein Mann verlässt das Haus und sieht sich um. Dann wieder dieselbe Einstellung, für ein paar Momente, die sich, ein plötzlicher Bruch, in Bewegung setzt: ein starres Bild im Vorspulmodus.

Das Bild, als das Michael Hanekes "Caché" zu Beginn sich präsentiert, ist ein zunächst nicht ausgewiesenes Zitat. Es stürzt in sich zusammen in dem Moment, in dem der Mann, die Frau, das Ehepaar den Vorspulknopf bedienen. Dieser Zusammenbruch wird sich später im Film als Verunsicherungseffekt wiederholen. Das Beobachtungs-Bild, das Haneke präsentiert, bevor er in den Normalmodus filmischen Erzählens zurückspringt, hat keinen Autor. Es ist ein manifestes Bild aus dem Verborgenen, dem sich unversehens ein zweites Bild hinzugesellt, ein latentes Bild aus dem Unbewussten: ein Junge, der aus dem Mund blutet. Michael Haneke beginnt seinen Film mit einer Bildverwirrung, einem Einbruch des wahren Bildes ins falsche Leben, von dem sich die Familie, die im Zentrum von "Caché" steht, nicht mehr erholen wird.

Georges  Laurent ist, als ihn die Bilder ereilen, ein erfolgreicher Mann. Im Fernsehen leitet er eine Literaturgesprächssendung, die Wände zu Hause voller Bücher (und Videos), kultivierte Freunde zu Besuch, beste Pariser Gesellschaft. Die Bilder, die ihn einholen, als anonym zugesandte Videokassetten, sind lesbar als objektivierte Zeugnisse eines schlechten Gewissens. Als Kind hat Georges Majid, einen Jungen arabischer Herkunft, heimtückisch aus seiner Familie gedrängt. Das Blut auf den Kinderbildern, die die zugespielten Videokassetten begleiten, markiert die Rückkehr des Verdrängten. Die leeren Bilder, in denen es kein Rätsel gibt, werden zum Auslöser für Bilder, die verborgen waren, aber nicht vergessen.

Anders als bei David Lynch, zu dessen "Lost Highway" der Beginn einen offenkundigen Bezug herstellt, ist der Horror bei Haneke nicht namenlos. "Caché" ist eine moralische Experimentalanordnung und eine mögliche Übersetzung der Beobachtungsbilder lautet: "Gott sieht alles". Und Gott, das Gewissen, als Autor der zugespielten Bilder, führt Georges zu einer Bewährungsprobe, zur Konfrontation mit seinem Opfer von einst. Gott gewährt eine zweite Chance und Georges versagt erneut. Die Kinder-Bilder werden wahr, zum Menetekel, das sich erfüllt. Als die Leiche im Keller - so eine mögliche Lesart des Films - ein zweites Mal auftaucht, muss Georges Laurent sie ein zweites Mal töten.

Hanekes Moralismus war von Sadismus noch nie weit entfernt. Hier transponiert er ihn in eine sehr effektvolle und in der Genre-Aneignung auch originelle Kriminalgeschichte, in deren Auflösung kein Heil liegt. In dem Maß jedoch, in dem die Experimentalanordnung diesmal - wie die wiederum starre Schlusseinstellung - auf mehrere Lektüren hin offen bleibt und damit jede Eindeutigkeit verweigert, ist "Caché" Hanekes bisher subtilster Film.

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