Claude Chabrol: Die Blume des Bösen  (F 2003)

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Claude Chabrol: Die Blume des Bösen  (F 2003)
Kritik v
on Ekkehard Knörer

 

Claude Chabrols neuer Film dreht sich um die ältesten Dinge der Welt: Vatermord und Inzest, Ehebruch und ein paar andere Schweinereien. Alles bestens bekannt, wenn nicht aus der griechischen Tragödie, dann aus den Filmen von Claude Chabrol. Zur Tragödie freilich reicht es bei Chabrol nicht, das gibt das Milieu nicht her, in dem er sich, hier wie fast immer, bewegt: das französische Bürgertum. Die Schauplätze, auf denen die "Blume des Bösen" (keine tiefere Beziehung zu Baudelaire, versichert Chabrol auf der Pressekonferenz, nur ein schöner Titel) blüht, sind das große Landhaus der Familie Charpin-Vasseur, ein Dorf, dessen Bürgermeisterin Ann Charpin-Vasseur (Nathalie Baye) werden will, eine Apotheke, die Gerard Vasseur, dem Vater gehört, ein kleiner Feriensitz am Meer, in dem Michele, Annes Tochter, und Francois, Gerards Sohn, zum ersten Mal miteinander schlafen. Francois, damit beginnt der Film (nach einem kurzen Prolog), ist soeben von einem dreijährigen US-Aufenthalt zurückgekehrt, durch den er dem erstickenden Milieu entkommen wollte. Vergeblich, das zeigt sich sofort.

Sie sind keine Geschwister, Michele und Francois, sondern Cousin und Cousine (wenngleich, nun, zu viel darf man nicht verraten...), aber sie verfallen, ohne es recht zu wissen, jenem Wiederholungszwang, der das Geschehen in "La Fleur du Mal" regiert. Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Leiche, die Kamera zieht sich in einer kontinuierlichen Einstellung langsam über die Treppe des Landhauses zurück; die Handlung kann beginnen. Am Ende wird über dieselbe Treppe eine Leiche hinauf transportiert, auf dieselbe Weise drapiert, wie im Anfangsbild zu sehen. Jedoch: es ist nicht derselbe Tote. Die Tragödie, von der wir als vergangener hören, wiederholt sich als Farce, die wir als gegenwärtige sehen. Es wäre nicht übertrieben, wollte man behaupten, Chabrol habe hier seine Geschichtsphilosophie des Bürgertums verfilmt. "Zeit vergeht nicht", sagt er im Programmheft, "sie ist eine immerwährende Gegenwart." Eine Gegenwart, die die Verbrechen der Vergangenheit wiederholt, ohne es zu wissen. Heuchler waren wir, alle miteinander, von Anbeginn der Zeiten, meint Francois einmal, Heuchelei ist ein anderes Wort für Zivilisation. Ironisch treibt die Geschichte ihr Spiel mit den Menschen.

Die zentrale Figur ist Tante Line (Suzanne Flon), die Tante von Ann, sie soll, heißt es, am Ende des Zweiten Weltkriegs ihren Vater ermordet haben, weil er mit den Nazis kollaborierte und weil er seinen Sohn töten ließ, der sich der Resistance angeschlossen hatte. Tante Line ist der Angelpunkt, an dem Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen. Sie kann, als sie die zweite Leiche sieht, die der ersten so sehr gleicht, nur lachen. Ein Nietzscheanisches Gelächter, in dem der Sinn der Geschichte, die Hoffnung auf einen Fortschritt, auf Veränderung überhaupt, verlacht wird. Tante Line wird von ihrer Familie als Heilige verehrt. Auch der Betrachter schließt sie sofort ins Herz. Erfährt man am Ende, was eigentlich geschah, was sie getan hat, sollte einem eigentlich Hören und Sehen vergehen. Aber die Sympathie bleibt ungebrochen. Mit Tante Line, könnte man sagen, hat Chabrol seiner subversiven Sicht der Dinge eine Verkörperung gegeben, mit ihr gewinnt die Verwirrung der moralischen Maßstäbe eine verehrungswürdige Gestalt.

Im Ton ist "La Fleur du Mal" von denkwürdiger Zurückhaltung. Mit manchmal provozierender Geduld entfaltet Chabrol sein Panorama des Bürgertums, die Grundierung der Vorgänge ist ein schwarzer Humor, der in der Darstellung des Absurden gelegentlich beträchtliche Komik entwickelt. Für Chabrol gilt, was er für die Verwicklungen des Bürgertums behauptet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne, immer dieselben alten Geschichten. Die jüngste Version, "La Fleur du Mal", aber gehört zu den überzeugenden unter Chabrols Variationen des einen Themas. Die Reize des Films liegen nicht immer an seiner Oberfläche, die Ironie der Geschichte spielt sich eher hinter dem Rücken der Beteiligten ab als davor. Dies aber zu zeigen, maliziös wie in seinen besten Werken, ist Chabrol hier gelungen.

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