| Der erste Eindruck beim Sehen: Langeweile. Erstaunlich eigentlich, wenn
		    man bedenkt, dass Moore doch vor allem dafür bekannt ist, "unterhaltsame
		    Film" zu drehen, die dem Zuschauer zudem noch was mit auf den Weg geben.
		    Doch Fahrenheit 9/11, längst zum Skandalfilm mit investigativen Tendenzen
		    stilisiert, entwickelt nicht etwa die allerorts attestierte "neue
		    Ernsthaftigkeit", mit der Moore sein Sujet - in diesem Falle
		    ausschließlich: George W. Bush - aufarbeitet, nein, er verwechselt
		    ernste Miene und seriöse Recherche schlicht mit: Langeweile. Mit einigen
		    Spitzen ins eher debil Humoristische, zugegeben, doch bleibt von der schier
		    nicht enden wollenden Flut an verpixelten Internet-Streams, aufgezoomten
		    Dokumenten, die so authentisch wie falsch sein könnten, Interviewfetzen
		    mit Menschen, die sonst wer sein, die sonst was, im Kontext des ganzen
		    Gesprächs betrachtet, gesagt haben könnten, in der ungeheuren Menge
		    an Verschwörungstheoriepartikeln, die Moore in den Raum pustet, nie
		    aber konsequent auflöst oder gar sinnstiftend zum Bild verwebt, letzten
		    Endes nur ein bleiernes Filmerlebnis in Erinnerung, das zum einen den zwar
		    ebenfalls abenteuerlich argumentierenden, doch zumindest
		    schelmisch-unterhaltsamen Moore aus
		    Bowling for
		    Columbine zurückwünschen, zum anderen ernsthafte Zweifel
		    an dem ganzen Medienzirkus rund um Fahrenheit aufkommen lässt. Dude,
		    where's the beef in all of this?
		     
		    Moore gehr nicht mehr ganz so manipulativ vor, heißt es. Der Dampfhammer
		    sei der Argumentationslinie gewichen. Ganz im Gegenteil. Einnehmend,
		    einschmeichelnd bietet er seine Thesen dar, evoziert mit leichter Hand
		    Empörung, übergeht aber geflissentlich die Punkte, an denen skeptische
		    Nachfrage nur stören würde. Bestes Beispiel: Die zum Skandalon
		    aufgebauschten legendären "7 Minuten" des 11. Septembers, die Bush weiter
		    im Klassenzimmer einer Grundschule verbrachte, wiewohl ihm sein Berater schon
		    geflüstert hatte, was in New York gerade vonstatten ging. Die Uhrzeit
		    wird eingeblendet, Bushs Gesicht im Zoom, versteinerte Unsicherheit füllt
		    das Bild, Häme und Spott auf der Tonspur, von Moore im sicheren Tonstudio
		    und mit einiger zeitlicher Distanz zum 11.September eingesprochen. Was sich
		    Bush jetzt wohl denke. Ob er wohl häufiger zur Arbeit hätte gehen
		    sollen. Ob er die Terrorwarnungen hätte ernst nehmen sollen. Und warum
		    macht er nichts, warum bleibt er da sitzen. Fast fällt man drauf rein
		    und will "Haderlump" schreien, ist bereit, Bush des Hochverrats zu bezichtigen.
		    Prangermethoden! Was hätte Bush tun sollen? Aus dem Klassenzimmer
		    stürmen - und dann? Irgendwas in das nächstbeste Mikro blöken?
		    Irgendwem den Krieg erklären? Umgehend ab nach New York, quer durchs
		    ganze Land, vor dem WTC Menschen auffangen? Wem wäre damit gedient?
		    Bush macht, was sinnvoll ist, was einem plumpen, zur Hysterie neigenden
		    Propagandisten indes nicht einleuchten kann: Er wartet weitere Informationen
		    ab, der Tatsache sich wohl bewusst, dass aufgeschrecktes Herumeiern niemandem
		    nützt. Eine Szene, in der man Hass zu entwickeln in der Lage ist. Nicht
		    Hass auf Bush, Hass auf Moore, dass er einen nötigt, einen Holzkopf
		    wie Bush gegen ihn zu verteidigen.
		     
		    So geht der Film weiter: Argumentationen, die zunächst einleuchtend
		    scheinen, bei genauem Hinsehen aber, selbst aufgrund der oft scheinbar
		    erdrückenden Faktenlage, nie so skandalös sind, wie Moore sie uns
		    verkaufen will. Argumentationen, die vielleicht heutzutage und mit kritischer
		    Distanz Sinn ergeben, aber damals - wir sprechen hier hauptsächlich
		    von den Tagen unmittelbar nach dem 11. September -, in diesem Chaos, schlicht
		    nicht Gültigkeit besessen haben müssen. Argumentationen, die immer
		    dann zugunsten der nächsten verlassen werden, wenn der Zuschauer beginnen
		    könnte, sich Fragen zu stellen. Argumentationen, die letzten Endes so
		    verpixelt sind, wie das meiste an footage, das in einer Ästhetik
		    präsentiert wird, die zuvorderst vom eigenen Ursprung und dem der meisten
		    Thesen des Films kündet: dem Internet. Moore wird nicht müde, eine
		    Verschwörungstheorie nach der nächsten aus dem Zylinder zu ziehen,
		    die das Web mit seinen weitverzweigten, nicht selten spinnerten
		    Diskussionsforen zum Thema zu bieten hat. Alles schon mal irgendwo aufgeschnappt,
		    alles irgendwie egal.
		     
		    Das schmerzt vor allem deshalb, weil einiges mal auf den Tisch zu bringen
		    wichtig wäre. Die Umstände der vermutlich wirklich ergaunerten
		    Präsidentschaft beispielweise, deren Rekapitulation den Beginn des Films
		    und leider auch schon dessen Höhepunkt bildet, hinter dem das dürre
		    Tal der Lethargie droht. Doch statt Analyse bloße Anfeindungen: Fox
		    habe als erstes, trotz anderslautender Meldungen anderer Sender zuvor, Bushs
		    Sieg in Florida und somit dessen föderalen Wahlsieg verkündet -
		    alle Sender seien diesem Beispiel dann im Minutentakt gefolgt. Und dort bei
		    Fox hocke Bushs Halbbruder am zentralen Posten. Ein Schelm, wer Böses
		    dabei denkt. Dass sich Wahlprognosen ändern können, davon hat Moore
		    offenbar noch nichts gehört. Oder aber er hofft darauf, dass diese Frage
		    dem Zuschauer nicht kommt, wenn er ihm als nächstes um die Ohren haut,
		    dass Schwarze bei der Wahl - wie, das bleibt Moore als Antwort schuldig -
		    benachteiligt gewesen seien. Das zieht immer! Selbstverständlich aber
		    auch kein Wort darüber, dass vielleicht sogar die - im Sinne des Films
		    und seiner Argument, nicht unbedingt im Sinne Moores - vollkommen sinnlose,
		    strategisch hirnverbrannte Kandidatur Naders das Zünglein an der Waage
		    bildete und die Wahl zugunsten Bush entschied. Der Name Nader fällt
		    kein einziges Mal während des Films. Moore hatte Nader im Wahlkampf
		    unterstützt.
		     
		    Des weiteren ödet Moore mit wahren Frechheiten sein Publikum an. Bushs
		    Rede an die Nation zu Beginn des Golfkriegs unterlegt er mit Bildern aus
		    einem Irak, in dem Hochzeiten gefeiert, Ballspiele von lachenden Kindern
		    gespielt und überall an jeder Ecke in Cafés gesessen wird. Man
		    möchte Saddam Hussein fast schon in die Arme nehmen, so sehr ist Moore
		    darum bemüht, ihn als knuddeligen Onkel und sein Land als vielleicht
		    etwas zu heiß temperiertes, ansonsten aber lässigstes der Welt
		    zu zeichnen. Kein Wort von der finanziellen Unterstützung von
		    Selbstmordattentätern in Israel. Kein Wort von den Hunderttausenden
		    von Menschen, die Hussein verschleppt und getötet hat. Kein Wort vom
		    Genozid an der kurdischen Bevölkerung im Norden des Landes. Kein Wort
		    von Scudraketen auf Israel. Moore verkennt Realitäten mit System und
		    kann nur hoffen, ein Publikum zu finden, dass ihm diese krausen Propagandabrocken
		    dankbar abnimmt.
		     
		    Auch seine Strategie der Individualisierung findet wieder Anwendung. Immerhin
		    gut eine Handvoll Menschen hat er auftun können, die ihm bereitwillig
		    die Tränen und Zusammenbrüche liefern, die er braucht, um sich
		    der unanfechtbaren guten Seite sicher zu sein. Soldatenmütter, rüstige
		    liberale Seniorinnen, Überlebende des 11. Septembers, Friedensgruppen
		    im Rentenalter - alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird
		    gnadenlos beim Rotz-und-Wasser-Vergießen abgefilmt. Reinste Exploitation,
		    Degradierung von Gefühlen zur Meterware. Ein Unmensch, wer hier noch
		    Argumente ins Feld führen will.
		     
		    Der Film endet pathetisch. Mit George Orwell und einer Paraphrase aufdessen
		    1984. Ein Loblied auf die Truppen, auf die Jungs im Irak. Ob sie uns
		    noch vertrauen könnten, diese Söhne unseres Landes. Beinahe hört
		    man Rambos Schlusswort aus seinem zweiten Film, als er sich zum Rächer
		    aller Veteranen aufschwingt. Wie auch schon bei seinem zumindest tendenziell
		    rassistischen Bild von den Saudis, überholt Moore Bush hier mit wehenden
		    Fahnen auf der rechten Spur. Das immerhin hat er mit seinen nur vermeintlich
		    linken Anhängern hierzulande, die seine Filme für ganz eigene Zwecke
		    verwerten, gemein.
		     
		    Ein wahres Trauerspiel, einen solchen Film hat ein Mann wie Bush nicht verdient.
		     
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