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Jasmila Zbanic: Esmas Geheimnis - Grbavica (Bosnien-Herzegowina 2006)

Von Ulrike Mattern

Im Februar war die Überraschung groß, als ein Film aus Bosnien-Herzegowina den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann. Im roten Abendkleid stand die junge Regisseurin Jasmila Zbanic auf der Bühne, nahm die Auszeichnung entgegen und nutzte diese öffentliche Plattform, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Kriegsverbrecher noch in Freiheit weilen.

Zum Filmstart von „Grbavica” ist die 1974 in Sarajevo geborene Regisseurin wieder nach Deutschland gereist. Sie berichtet über ihre Annäherung an ein aus den Schlagzeilen getilgtes Thema. 14 Jahre nach den Nachrichten über Massenvergewaltigungen an bosnischen Frauen interessiert sich keiner mehr für die Opfer dieses Krieges. „Als es passiert war, wussten alle davon. Aber heute ist es vergessen. Man kehrte es unter den Teppich. Diese Frauen sind nicht mehr angesagt”, meint die Regisseurin. Das änderte sich mit ihrem Film, und der überraschende Gewinn des Goldenen Bären potenzierte seine Kraft.

Die Regisseurin beschäftigt sich in dokumentarischen Filmen seit Jahren mit dem Alltag von Menschen in der Nachkriegszeit. Ein Kurzfilm („Birthday”) dreht sich um zwei Mädchen, eines stammt aus Bosnien, eines aus Kroatien. Die Dokumentation „Red Rubber” porträtiert bosnische Mütter, die ihre Kinder suchen. Im März dieses Jahres gründete Zbanic mit anderen die Initiative „Für die Würde der Überlebenden”, und gemeinsam reichte man eine Petition ein, die eine Kriegsopferrente für die geschädigten Frauen fordert.

Was motiviert die 32-Jährige, selbst Mutter eines Kindes, diesem einen roten Faden so intensiv zu folgen? „Ich bin von diesem Thema besessen. Denn ich beobachte, dass der Krieg für die Leute nicht vorbei ist. Er ist unsichtbar in ihren Köpfen.” Warum hat sie sich denn gerade in diesem Fall, und zwar zum ersten Mal in ihrer Karriere, für die Form der Fiktion entschieden? „Ich wollte diesen Film nicht als Dokumentation drehen. Es hätte die Frauen erneut traumatisiert, vor einer Kamera zu stehen.”

„Grbavica”, der bei uns diese Woche unter dem Titel „Esmas Geheimnis” anläuft, erzählt von der allein erziehenden Mutter Esma. Ihre Tochter Sara, ein Mädchen im Teenageralter, nimmt an, dass ihr Vater als Kriegsheld gefallen ist. Ihre Mutter kellnert nachts in einem Animierschuppen, tags schneidert sie Kleider und nimmt an den Treffen einer Frauengruppe teil. Um nicht die volle Summe für die Klassenfahrt der Tochter aufzubringen, was ihr schwer fällt, müsste Esma der Schule eine Bestätigung vorlegen, dass ihr Mann ein „Schechid” war, so die Bezeichnung für Helden des Krieges. Sara könnte mitfahren und hätte einen Beweis, den sie ihren Freunden unter die Nase reiben möchte.

Es ist bedauerlich, dass der deutsche Verleih, im Bestreben, dem Publikum einen Zungenbrecher zu ersparen, mit der Wahl des Titels ausplaudert, dass Esma ein Geheimnis hat. Der Film unterlässt solche plumpen Hinweise; er entwickelt aus sich heraus, im bedächtigen Rhythmus seiner Bildsprache die Geschichte von Esma und Sara. Grbavica ist der Stadtteil, in dem Mutter und Tochter leben, und zugleich der Ort, „der von großem, menschlichem Leid geprägt ist” (Zbanic).

„Dieser Film erinnert an das Schicksal der Frauen”, sagte Dr. Monika Hauser, die 1993 in Bosnien das Frauentherapiezentrum „Medica Zenica” gründete, bei einer Vorführung des Films am Wochenende in Berlin. Bewusstsein schaffen, erinnern und heilen – es ist ein langer Prozess, den die Frauen durchlaufen. Doch sie sind einen Schritt vorangekommen, das konnte die Regisseurin an jenem Morgen in Berlin berichten: Die Kampagne für eine Kriegsopferrente war erfolgreich.

Weitere Informationen unter: http://www.medicamondiale.org/projekte/bosnien/

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