Jump Cut Theaterfilme
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Magazin für Film & Kritik

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Theaterfilme 10: Mein Essen mit André (Louis Malle, USA 1981)
 
Von Stefanie Diekmann
  
 

 
Der letzte Satz - der, mit dem sich der Erzähler aus dem Film verabschiedet - lautet: „Und dann habe ich ihr alles über mein Essen mit André erzählt.“ Was er ihr (seiner Freundin) erzählt hat, sagt er nicht, jedoch erzählt es ein wenig über Louis Malles Film Mein Essen mit André, dass auch die Zuschauer nicht wirklich zu sagen wissen, was es sein könnte.

Wird er ihr erzählen, was André erzählt hat? (Eine ganze Menge.) Wird er ihr erzählen, was er selbst dazu sagte? (Nicht viel.) Was er sich dazu gedacht hat? (Man sieht es ihm nicht an.) Was sie gegessen haben? (Sie achten beide nicht darauf.) Wie es zu dem Essen kam? (Er macht dazu ein paar Anmerkungen, während er sich auf dem Weg zu seiner Verabredung befindet.) Was er von der ganzen Veranstaltung (Essen, Reden) hält, und wozu sie seiner Meinung nach gut gewesen ist? Man weiß es nicht, aber man könnte versucht sein, danach zu fragen, denn in diesem Film, der zeigt, wie einer spricht und einer zuhört, ist es eher der zweite, für den man sich zu interessieren beginnt; der zweite und die Frage, ob und warum dem, was da erzählt wird, überhaupt viel Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Immerhin nimmt das Erzählen hier Zeit in Anspruch. Viel Zeit, das heißt: etwa 110 Minuten, von denen vielleicht zehn für die einleitenden und abschließenden Anmerkungen des Zuhörers Wallace (Wallace Shawn) reserviert sind, der sich an einem kalten Tag im New York der frühen 80er aufgemacht hat, um André (André Gregory) in einem Restaurant der oberen Preisklasse zum Abendessen zu treffen. 110 Minuten mit Wallace, dem Bühnenautor und Schauspieler, der hin und wieder eine Frage stellt, und mit André, dem Theatermacher, der redet, redet, redet, über Grotowski-Workshops und den Versuch, mit einem japanischen Mönch ein Theaterprojekt zu erarbeiten, über ein seltsames Happening zu Halloween, über Aussteigerkolonien in Schottland, über Reisen auf drei oder vier Kontinenten, über Bekanntschaften, spirituelle Energien, Weinkrämpfe, seine Ehe, seine Kinder, seine Wohnung in New York, das Leben, die Kunst, das Theater. Dazwischen werden Bestellungen aufgenommen, Gerichte serviert, Teller abgeräumt, wird Espresso getrunken und eine Rechnung bezahlt. Kameraeinstellungen wechseln einander ab, Gesichter werden in die Großaufnahme gezoomt, Augen aufgerissen, Augenbrauen zusammengezogen, Handbewegungen vollführt, bis man sich am Ende voneinander verabschiedet und André erklärt, es sei schön, endlich wieder einmal miteinander gesprochen zu haben. Tatsächlich passiert hier alles Mögliche: ausreichend viel, um einem bestimmten Bedarf an Handlung, Gesten, Mimik und Bewegungen Genüge zu tun. Minimalismus sieht anders aus, und Reduktion bedeutet nicht notwendig, mit gewissen Konventionen filmischen Erzählens zu brechen.

Ein Spielfilm, fast wie andere, sein Plot der Ablauf einer asymmetrisch organisierten Begegnung. Einer spricht und einer nickt; einer hat Geld, der andere nicht, und einer wählt aus der französischen Speisekarte aus, die dem anderen erst übersetzt werden muss. Es sind Dinge wie diese, die an Mein Essen mit André auffallen, ohne dass ganz klar wird, ob und wie weit sie nach Auffassung des Regisseurs und seiner Autoren / Darsteller wichtig zu nehmen sind. Der, der das Essen bezahlen wird, ist auch der, der das Wort führt; natürlich macht das einen Unterschied, aber was sind die Implikationen? Andere Auffälligkeiten: Fast alle Geschichten des gesprächigen André handeln vom Schweigen, von Schweigsamkeit, Stille oder, wie in jener Erzählung vom wundersamen Theaterworkshop, der mehr oder weniger bewussten Ausschaltung verbaler Kommunikation. Nicht sprechen, nicht sprechen können, still sein, still sein müssen oder wollen ist konstitutiver Bestandteil der Szenarien, um die die Rede kreist, mal obsessiv, mal beiläufig, ohne dass diese Relation je explizit thematisiert würde.

In seinen Reden um Unmittelbarkeit wird André immer wieder beim Theater ankommen: dem Theater, das er kennen gelernt hat, um sich zwischenzeitlich von ihm zu verabschieden, und dem Theater, zu dem er vielleicht zurückkehren möchte, da er sich immer noch etwas davon verspricht. Theater, sagt André, scheine ihm bisweilen überflüssig, da doch das Leben Theater genug sei: alles markiert, alles verstellt, jeder einzelne ein Gefangener seiner Masken und alle zusammen rettungslos an die Gesetze des Rollenspiels verloren. (Man erstaunt etwas über solche Erklärungen, wie überhaupt über manche Ideen, die in Mein Essen mit André vorgetragen werden, emphatisch, ernsthaft, ohne den geringsten Hinweis darauf, dass diesen beiden Akteure sowie dem, was ihnen in den Mund gelegt wird, anders als mit Sympathie begegnet werden sollte.) Scheinhaftigkeit also, das Theater nurmehr deren Zuspitzung; auf der anderen Seite indes all jene Geschichten, in denen Theaterarbeit fast wie eine Chance auf Erlösung erscheint und Befreiung aus den Zusammenhängen der Verstellung einzig innerhalb des Theaters möglich. Unter anderem, nicht zuletzt, pflegt Malles Film auch den Diskurs von Präsenz versus Repräsentation, Spontaneität versus Skript, Vollzug versus Nachahmung: Gegensatzpaare, die in der Geschichte der Theatertheorien ihren festen Platz haben und hier noch einmal in Gebrauch genommen worden sind.

In der Geschichte der Theaterfilme stellt Mein Essen mit André eine Ausnahme dar, insofern er das Theater nicht in seinen unmittelbaren Produktionszusammenhängen präsentiert; keine Ausnahme, insofern die Frage nach der Beziehung zwischen allem, was Theater heißt, und allem, was sich außerhalb davon befindet, auch die lange Rede am Restauranttisch beherrscht. Das Theater ist diesem Film Kontext und Milieu, es ist Gegenstand des Gesprächs, seine Vergangenheit (Andrés Erinnerungen) und seine Zukunft (Andrés Hoffnung). Zwölf Jahre später, in den Proben zu Vanya on 42nd Street (USA: 1994), wird die Begegnung zwischen Theaterregisseur und Theaterautor/-schauspieler ihre Fortsetzung finden.

 


 

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