Jump Cut Theaterfilme
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Magazin für Film & Kritik

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Theaterfilme 1: Opening Night / Die erste Vorstellung
(Regie: John Cassavetes, USA 1977)

Von Stefanie Diekmann
 
 
Vielleicht gibt es keinen Film, in dem das Theater so ernst genommen wird wie in diesem; das gilt jedenfalls für die, die hier Theater machen. Exzessivität der Forderungen, Exzessivität der schau-spielerischen Hingabe: Man leidet Schmerzen, im Theater und um seinetwillen, man hat Zu-sammenbrüche, halluziniert, säuft sich fast zu Tode; man macht das Theater zum Schauplatz einer Krise und sucht in ihm zugleich seine Rettung; man zerbricht an ihm, man ist süchtig nach ihm, man überlebt es, wie alle ernsthaften Gefahren, bisweilen nur wie durch ein Wunder.

Gefühlsintensitäten: In Opening Night wird auf der Bühne ebenso danach gegiert wie hinter den Kulissen und außerhalb des Theaters, wobei das Außen so ausschließlich wie selten auf das Theater bezogen bleibt. Die Vorstellung, die Garderobe, das Taxi, das Restaurant, das Hotelzimmer, ein paar Gläser Whiskey, ein paar Stunden Schlaf, danach die Probe, die Pause, noch eine Probe, der Abend, die Garderobe, die Vorstellung. Schlafen, um am nächsten Tag spielen zu können, essen, um spielen zu können, Sex haben, trinken, streiten, um spielen zu können, eine Spiritistin aufsuchen, ein Gespenst vertreiben lassen - alles, damit gespielt werden kann und die Hauptdarstellerin wieder zu gebrauchen ist. Alles, buchstäblich alles, ist hier um das Theater geordnet, um die Voraufführungen in New Haven und die Premiere in New York, um eine Schauspielerin, die nicht so funktioniert, wie sie sollte, und um die Frage, ob man sich diesmal - an diesem Abend, bei dieser Premiere - auf das Schlimmste gefaßt machen muß oder ob es noch einmal gutgehen wird.

Als der Film beginnt, geht es gerade nicht so gut, weder dem Bühnenstar Myrtle Gordon (Gena Rowlands) noch der Produktion. Warum es Myrtle nicht gut geht, weiß dabei niemand so genau zu sagen, am wenigsten sie selbst. Es hat mit dem neuen Stück zu tun, so viel ist deutlich, und auch, daß dieses neue Stück unter anderem vom Altern handelt, Altern als Verlust von Attraktivität, schlimmer jedoch: Verlust von Regungen, Leidenschaften, Emotionen. All dies, sagt Myrtle, sei früher so einfach zu erschließen gewesen (erschließen, so wie man ein Reservoir erschließt) und ist jetzt verschwunden, dem Zugriff mit einem Mal entzogen. Bei Cassavetas ist das Theater ein Ort, an dem Gefühle produziert werden; aber was, wenn die Gefühle nicht zuhanden sind und die bewährten Mittel zu ihrer Erregung wirkungslos? Krise der Schauspielerin, die geben soll, was sie nicht hat, um darzustellen, wie sich das Nichthaben anfühlt. Eine undankbare Aufgabe, zumal alle davon auszu-gehen scheinen, daß sich der Zustand der Hauptfigur und der der Hauptdarstellerin in durchaus wünschenswerter Weise entsprechen.

Die Dramatikerin Alice (Joan Blondell) jedenfalls denkt das. Auch deshalb sieht Myrtle in ihr eine Feindin. "Wie alt sind Sie, Myrtle?", ist eine Frage, die im Verlauf des Films dreimal gestellt wird und bei keiner der drei Gelegenheiten beantwortet. Myrtle kooperiert nicht, weder indem sie die einge-forderten Selbstauskünfte erteilt, noch indem sie den Text spricht, der von Alice verfaßt wurde und ihr nun zur Umsetzung auf der Bühne übertragen ist. Der alte Kampf zwischen denen, die für das Theater schreiben, und denen, die Theater spielen (ein wichtiger Teil theatraler Mythologie), ist hier in vollem Gange, ein Ringen um Autorschaft, vor allem aber um die Verfügungsgewalt über eine Figur, mit der sich die Dramatikerin bereitwillig identifiziert und die Schauspielerin nicht einmal widerstrebend. Kein Bedarf an weiblicher Allianz, keine mise-en-scène eines angeblich geteilten Leidens. Statt dessen ändert Myrtle das Skript der Autorin je nach Tagesverfassung - mal punktuell, mal bis zur Unkenntlichkeit der jeweils dargestellten Szene.

Nicht jede Änderung wird dabei als solche deutlich. Markiert sind nur die, gegen die von Seiten der Dramatikerin Einspruch eingelegt wird, und die, die den Ablauf der Inszenierung so sehr durchein-anderbringen, daß es nicht mehr zu verbergen ist. Einmal verläßt Myrtle die Bühne, ohne daß dies im Skript vorgesehen wäre, einmal bleibt sie auf der Bühne liegen und steht erst nach einigem Zureden wieder auf, einmal adressiert sie ihren Kollegen als Schauspieler, einmal bittet sie einen Bühnen-arbeiter um Feuer. Andere Abweichungen, so zahlreich sie sein mögen, verschwinden in jener all-gemeinen Diffusion der Rede, die der Film Opening Night zum Prinzip erhoben hat.

Diffusion, Streuung, Austausch. Was auf der Bühne gesagt wird, infiltriert die Gespräche im Umfeld der Inszenierung, was im Umfeld (den Aufzügen, Hotelzimmern, Foyers) ausgesprochen wird, kann in den Gesprächen der Bühnenfiguren wiederkehren. Was gehört zum Skript? Man weiß es nicht. Was gehört nicht dazu? Man weiß es nicht, und ebensowenig, nach welchen Gesetzen sich geachriebener Textund spontane Rede durchdringen. Was steht (von Anfang an) geschrieben, was wird erst später aufgenommen, was ist nicht aufgenommen worden und wird trotzdem gesagt, und was ist der Status der Äußerung, die jetzt, in diesem Moment, auf der Bühne getan wird? Vom Spiel im Spiel zeigt Cassavetas gerade genug, um mit der Zeit eine gewisse Orientierung in den Abläufen der Bühnenhandlung zu schaffen - "es gibt" sagt die Dramatikerin, "den ersten Akt, den zweiten und den dritten" -, indes entsteht keine bezüglich des Skripts, von dem immer nur ein paar Zeilen bekannt sind. Ähnlich die Unklarheiten an allen Orten des off-stage: Daß man einen Satz hinter den Kulissen und unter Tränen artikuliert, bedeutet nicht, daß er nicht auch einer Bühnenfigur zugeordnet sein könnte, daß ein anderer dort fällt, wo zwei Schauspieler um die Aufrichtigkeit ihrer Gefühle streiten, schließt keineswegs aus, daß er seinen Platz im Textbuch des Stücks Second Woman hat. Müßig also, was hier geäußert wird, auf die Register geborgt / eigen oder reproduziert / originär verteilen zu wollen: Bei Cassavetas beschreibt die Zirkulation der Sätze nichts anderes als die prinzipielle Gleichrangigkeit der Situationen, in denen sie Verwendung finden.

Keine Theatralisierung der privaten Beziehungen, auch keine Verabschiedung dieser Beziehungen zugunsten eines Theaters, in dem bestimmte Regungen noch aufgefunden werden könnten. Statt dessen ein Zustand des burn-out, der im Theater wie außerhalb davon regiert, genauer: der dazu führt, daß diese beiden Sphären sich ineinander auflösen. "Was empfinden Sie, Myrtle?" - "Nichts." Man muß sich klarmachen, daß diese Antwort nicht in jedem Film über das Theater als problematisch betrachtet würde, aber für die Schauspielerin in Opening Night beschreibt sie eine Katastrophe.

 

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