Jump Cut Theaterfilme
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Magazin für Film & Kritik

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Theaterfilme 7: Sein oder Nichtsein (Ernst Lubitsch, USA 1942)
 
Von Stefanie Diekmann
  
 

 
Dies ist ein Film der Auftritte, vieler Auftritte, von denen zwei aus der Luft erfolgen und alle anderen konventionell, das heißt: durch Türen. Bühnentüren, Toilettentüren, Wohnungstüren, Türen ins Schlafzimmer und Türen in den Zuschauerraum, Türen mit Ordonnanzen davor, Türen, hinter denen ein totes Double wartet, gepolsterte Türen, vergitterte Türen, bewachte, belagerte und solche, über denen man noch schnell das Schild ausgewechselt hat. Mehr als einmal fliegt eine Tür unerwartet auf, ein andermal ist sie verschlossen, was (beinahe) eine Katastrophe bedeutet, denn der unbehinderte Wechsel zwischen zwei Räumen, zwei Seiten, zwei Welten ist ein sine qua non dieser Geschichte: das, was sie in Gang hält, aber auch das, was Rettung verspricht, Auswege, die immer von einem Zimmer in das angrenzende führen.

Türen also, Türen überall, im Theater wie außerhalb, und weil sie auch außerhalb so zahlreich sind und für ganz unterschiedliche Auftritte genutzt werden, beginnt die klassische Topographie von Theater und Umfeld, Bühne und Hinterbühne, Szene und Kulisse, von Zuschauerraum, Foyer, Garderobe, Bühneneingang, etc. sehr bald sich aufzulösen, genauer: sie wird von einer Bewegung erfaßt, in der jeder Raum ohne große Vorbereitung zum Auftrittsort werden kann und alle Räume ihre Funktion verändern, je nachdem, wie es die Situation gerade erfordert. Auftritte, Rückzüge, Vorstöße: die Welt dringt ins Theater ein, das Theater probt den Ausfall nach draußen, all dies vor der Kulisse der soeben erfolgten Okkupation Warschaus, die in einer der ersten Szenen auf der Bühne vorweggenommen wurde.

Hitler kommt durch die Tür, Bronski geht durch die Tür; durch eine Tür im Zuschauerraum wird der Schauspieler das Theater verlassen, um in einer Straßenszene die Wirkung seiner Maskerade zu überprüfen, und wie in einer Gegenbewegung tritt später auf demselben Weg der Ministerialbeamte ein, der dem Ensemble die Absetzung des eben einstudierten Stücks verkündet. Was auf der einen Seite geschieht, bereitet sich auf der anderen vor, was auf der einen vorgeht, läßt die Welt jenseits der Tür nicht unberührt, und welche von beiden der anderen jeweils voraus ist, kann kaum eindeutig entschieden werden. Es gilt art imitates life: die Uniformen, Abzeichen, Befehle, mit denen das Theater arbeitet, sind der Wirklichkeit des Terrors entlehnt, aber es gilt auch life imitates art, denn bisweilen antizipiert man im Register des theatralen Inszenierungen, was sich nur zu bald in Wirklichkeit ereignen wird. Erst kommt Hitler durch Kulissentür, dann erscheint er mit seinem Troß in Warschau; erst lockt man den infamen Professor Siletski unter dem Vorwand einer Terminverschiebung aus dem Hotel, dann tritt diese Verschiebung tatsächlich ein; erst lacht der Schauspieler Tura in der Verkleidung als Gestapochef Ehrhardt über ein Bonmot, um ein paar Sekunden Zeit zu gewinnen, wenig später wird der echte Gestapochef dasselbe Bonmot mit Bgeisterung kommentieren.

Die Darsteller, die hier zwischen den Welten agieren, kennen die Gewohnheiten derer, die sie nachahmen, noch ehe sie ihnen begegnet sind. Eine Replik, ein Dialog werden zum ersten Mal auf der Bühne vorgebracht und dann ein paar weitere Male andernorts, fast als hätte diese Geschichte nur eine begrenzte Menge Text zu ihrer Verfügung oder als sei sie geschrieben, um eine Handvoll Sentenzen zirkulieren zu lassen, quer durch eine Reihe von Situationen, von denen kaum eine unverfänglich ist und manche so konstruiert, daß nicht zu sehen ist, wie ihnen mit heiler Haut zu entkommen wäre.

Zirkulation, Umlauf. Auch: Wiederverwertung, Recycling, Repetition. Alles, fast alles, wird hier mehr-fach zum Einsatz kommen, die Uniformen, die für eine abgesetzte Inszenierung genäht wurden, ebenso wie das Kleid der Hauptdarstellerin, für das Stück eigentlich zu schön, aber für ein Rendez-vous mit den Vertretern der Besatzungsmacht bestens zu gebrauchen. Nicht anders die Verwendung der Sprache: Grünberg, der jüdische Schauspieler, spricht seinen Shylock-Monolog dreimal und mit jedem Mal ist seine Situation verzweifelter geworden, dreimal wird derselbe Hitler-Witz erzählt, zweimal ein Gestapo-Offizier mit seinem Spitznamen bekannt gemacht, dreimal die Frage nach dem hervorragenden Schauspieler Jozef Tura gestellt, viermal die Zeile "Sein oder Nichtsein" als Codewort zwischen zwei Verliebten gebraucht, drei- oder viermal erklärt, eine Replik oder eine Handlung sei ganz gewiß geeignet, "einen Lacher" zu geben.

Repetitiv auch die Ereignisse. Peinlichkeiten wiederholen sich, zum Beispiel, wenn Ravic, erster Charakterspieler, auf die Idee verfällt, seinen Auftritt etwas auszudehnen, oder wenn der Gestapomann Ehrhardt gegen die Regeln des NS-politisch Korrekten verstößt, ohne dies auch nur im geringsten zu beabsichtigen. (Auch das geschieht viermal; beim vierten Mal entscheidet er schließlich, seinem Hang zur Wiederholung gewaltsam ein Ende zu setzen.) Die Begegnung zwischen Spion und Gestapo-Offizier findet zweimal statt, und beide Male ist einer von beiden falsch; zweimal wird ein falscher Bart abgerissen, dreimal ein falscher angeklebt, zweimal ein Treffen am Flugplatz vereinbart, dreimal in letzter Minute umdisponiert, dreimal verläßt ein Zuschauer gleich nach Beginn des Hamlet-Monologs den Saal, und es ist dieser letzte Abgang, mit dem die Geschichte an ihr vorläufiges Ende kommen wird, der zugleich den Auftakt zu etwas Neuem darstellt.

Wiederholung, schrieb Frieda Grafe, sei bei Lubitsch "nicht zwanghafter Mechanismus, sondern graziöse Drehung". Der Theaterfilm, der Sein oder Nichtsein ist, vollführt von solchen Drehungen im Abschied noch eine letzte.

 


 

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