| Liebe in Zeiten des Hasses 
		    Silent Waters beginnt als schöner Film. Er spielt 1979 in Pakistan:
		    Der junge Saleem, der nach dem Tod seines Vaters von seiner Mutter Ayesha
		    allein erzogen wird, ist verliebt in Zubeida. Sie neckt ihn und zeigt sich
		    selbstbestimmt: Nach Islamabad will sie, studieren und Saleem soll mitkommen.
		    Im kleinen Ort Charkhi ist nämlich die einzige Perspektive für
		    Saleem: Bauer werden. Als jedoch eines Tages zwei muslimische Agitatoren
		    nach Charkhi kommen, ändert sich das. Viele junge Männer
		    schließen sich ihnen und ihrer Forderungen nach einem Gottesstaat an.
		    Sie fordern, dass der bislang gemäßigt praktizierte Islam endlich
		    radikal ausgeführt wird. Dazu gehört, dass sich die Frauen
		    verhüllen und dass die Jahr für Jahr aus dem Nachbarland Indien
		    zu ihren heiligen Stätten in Charkhi pilgernden Sikh ihren (Un)Glauben
		    nicht mehr öffentlich praktizieren dürfen. Saleem schließt
		    sich den Eiferern an, nachdem ihn ein Freund gegen die Emanzipationsbestrebungen
		    Zubeidas aufgestachelt hat. Zuerst erschöpft sich der Radikalismus der
		    jungen Leute darin, Reden zu halten und zu hören. Doch als überall
		    im Land die Anstrengungen für eine Revolution laufen, verändert
		    sich auch das Leben in Charkhi. Diese Veränderung gipelt schließlich
		    in Unterdürckung und Gewalt, als die Sikh in den Ort kommen und Saleems
		    Mutter Ayesha von ihrer "ungläubigen" Vergangenheit eingeholt wird.
		     
		    Silent Waters ist eine französisch-deutsch-pakistanische Koproduktion
		    und der erste pakistanische Spielfilm von einer Frau. Die Regisseurin Sabiha
		    Sumar hatte ursprünglich einen Dokumentation über die
		    Frauenverschleppungen im Jahr 1947, als sich Pakistan vom indischen Subkontinent
		    abtrennte, im Sinn. Zeitzeugen, die zudem offen vor der Kamera über
		    die Morde, Vergewaltigungen und Verschleppungen im Namen der (männlichen)
		    Ehre berichten wollten, waren jedoch nicht zu finden. So entschloss sich
		    Sumar einen Spielfilm zu drehen, der im Kern von der wahren Geschichte handelt
		    und dessen Hauptfigur Ayesha auf der Vergangenheit einer Zeitzeugin beruht.
		     
		    Der Film beginnt in Harmonie. Die Lebensfreude, Freundlichkeit und
		    Unbeschwertheit der Existenz in Charkhi erweckt den Eindruck, dass es ewig
		    so weiter gehen könnte. Dass es aber nicht ewig so weiter gehen kann,
		    suggerieren jedoch bald die immer wieder eingeblendeten Traumbilder Ayeshas
		    aus ihrer Kindheit im Jahr 1947, die zwei fliehende Frauen und einen Brunnen
		    zeigen. Dieser Brunnen, am Rande Charkhis ist es, in dem die meisten Frauen
		    des Ortes gezwungen wurden, sich selbst zu ertränken, damit sie den
		    muslimischen Besatzern nicht in die Hände fallen und die Familie entehren.
		    Einzig Ayesha ist nicht gesprungen, wurde von einem Moslem gerettet, geheiratet
		    und hütet seitdem ihr Geheimnis.
		     
		    Der Film schildert die Radikalität und die Katastrophe die die Islamisierung
		    Pakistans für die Menschen, vor allem für die Frauen, bedeutete,
		    schonungslos und mit allen Konsequenzen. Im Namen des Glaubens werden Menschen
		    bedroht, verletzt und verjagt. Die Art und Weise, mit der die islamistischen
		    Agitatoren ihren Hass in Charkhi verbreiten, beschwören Bilder und
		    Erinnerungen an die kommunistischen Kulturrevolutionen und die Nazifizierung
		    Deutschlands herauf. Von Fremdenhass über Nationalismus, Chauvinismus
		    bis hin zur Aufstachelung der Kinder gegen ihre Eltern warten die muslimischen
		    Missionare mit allen Mitteln auf. Ziel soll der Gottesstaat sein; Opfer sind
		    vor allem die Frauen.
		     
		    Dass von dieser Politisierung des Alltagslebens (und dass die Gründung
		    des Gottesstaates ein politisches und kein religiöses Vorhaben ist,
		    daran lässt der Film keine Zweifel) sämtliche Bereiche der sozialen
		    Wirklichkeit betroffen sind, beschreibt Silent Waters eindringlich. Er
		    erzählt seine Geschichte auf vier Ebenen: von der des Staates über
		    die des Ortes und die der Familie bis hin zur Liebesgeschichte zwischen Saleem
		    und Zubeida, die natürlich keine Zukunft hat. Stille Wasser sind tief
		    - Silent Waters endet als schrecklicher Film.
		     
		    Silent Waters
		     
		    (Khamosh Pani, Pakistan 2003)
		     
		    Buch & Regie: Sabiha Sumar
		     
		    Kamera: Ralph Netzer; Musik: Madan Gopal Singh & Arshad Mahmud; Schnitt:
		    Bettina Böhler
		     
		    Darsteller: Kirron Kher, Aamir Malik, Arshad Mahmud, Salma Shahid u. a.
		     
		    Verleih: academy films
		     
		    Länge: 99 min.
		     
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