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Ashutosh Gowariker: Swades: We the People (Indien 2005)

Von Ekkehard Knörer 

Vor vier Jahren feierte der zuvor nur mit eher mediokren Werken aufgefallene Regisseur Ashutosh Gowariker einen beispiellosen Erfolg: Sein beinahe vierstündiger Film "Lagaan" riss nicht nur das Publikum beim Festival von Locarno zu Begeisterungsstürmen hin, er war auch der erste Bollywood-Film seit Jahrzehnten, der für den Oscar nominiert wurde. In Deutschland war "Lagaan" der wohl erste indische Kommerzfilm überhaupt, der regulär in deutschen Kinos zu sehen war und steht damit am Beginn jener Welle von Bollywood-Erfolgen, die in die inzwischen verblüffend nahe an den indischen Uraufführungen gelegene Ausstrahlung von indischen Blockbustern wie "In guten wie in schlechten Tagen" (Kabhie Kushi Kabhie Gham) oder "Indian Love Story" (Kal Ho Naa Ho) ausgerechnet auf dem Trash-Sender RTL 2 mündete – und wiederum DVD-Verkäufe in wirklich sensationeller Höhe zur Folge hatte. ("In guten wie in schlechten Tagen" etwa hat inzwischen mehr als 200.000 Käufer in Deutschland gefunden.)

Gowariker freilich hat, das wird nun beim – von RTL 2 vielleicht etwas voreilig schon gebuchten - "Lagaan"-Nachfolger "Swades" endgültig deutlich, anderes im Sinn als mit bewährten Erfolgsrezepten slicke Blockbuster zu produzieren, die ihre konservative Botschaft in Tanz, Klischee, Sentimentalität, Weichspülgesang und allgemeines Wohlgefallen auflösen. Nach dem Historienmelodram "Lagaan", das vom unwahrscheinlichen Sieg eines kleinen indischen Dorfes gegen die britische Besatzungsmacht ausgerechnet im (damals!) urbritischen Cricket-Sport erzählte, wagt sich Gowariker nun in die unmittelbare indische Gegenwart. Wie viele der Erfolgsfilme der letzten Jahre stellt er einen NRI – einen non-resident Indian, also einen Inder im Ausland – ins Zentrum, den NASA-Projektmanager Mohan Bhargava (Shah Rukh Khan). Er schielt dabei aber nicht so sehr auf das zahlungskräftige Auslandspublikum – und nur auf den erste Blick ähnelt die Struktur des Films der seiner Vorgänger. Während diese nämlich in der Konfrontation von indischer Tradition und westlichem Fortschritt auf sentimentalen Chauvinismus hinausliefen, setzt "Swades" auf ein von Wissenschaft und Aufklärung gesteuertes Graswurzel-Empowerment. Es zeugt von Gowarikers Mut und Entschlossenheit, dass er das höchst explizit mit einer Absage an ein in Indien weit verbreitetes kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen verbindet.

Um seine lange vernachlässigte alte Amme und Ersatzmutter Kaveriamma (Kishori Ballal) nach Amerika zu holen, macht Mohan Bhargava sich auf in die alte Heimat und landet in Charanpur, einem Dorf in der tiefsten Provinz des Bundesstaates Uttar Pradesh. Selbstverständlich ist es ein allegorisches Dorf, in dem sich die nach wie vor recht erbärmlichen Zustände im ländlichen Indien widergespiegelt finden. Das offziell längst abgeschaffte Kastenwesen ist noch immer intakt, die Analphabetenrate ist hoch und Armut weit verbreitet. Strom ist vorhanden, aber das Netz bricht immerzu zusammen, so auch während einer Kinovorführung auf dem zentralen Dorfplatz, die einer der Höhepunkte des Films ist. Mit dem abrupten Abbruch des Filmklassikers umreißt Gowariker sein ambivalentes eigenen Verhältnis zum eskapistischen Bollywood- Entertainment. Der Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan reißt kurzerhand die Leinwand nieder, die die höheren von den niederen Kasten trennt (die Angehörigen der niederen Kasten müssen den Film spiegelverkehrt auf der Leinwand-Rückseite sehen) und erteilt der anwesenden Dorfbevölkerung nun seinerseits mit den Mitteln des eskapistischen Entertainments eine Lektion. Im choreografierten, aber niemals zum Ornament der Masse verfestigten Tanz finden die Kinder der unterschiedlichen Kasten zusammen und Mohan Bhargava richtet den Blick zum Himmel, um mit einem Sternengleichnis die Bedeutung von Zusammenhalt und Zusammenarbeit zu verdeutlichen.

Die Szene ist wie der ganze Film skandiert durch A.R. Rahmans Score, der in der Vielseitigkeit und Subtilität der Ausdrucksmittel zu seinen allerbesten gehört. Im Plot wie in den Gesang- und Tanzsequenzen setzt "Swades" dabei durchweg auf ein souveränes Understatement, mit dessen Hilfe die melodramatischen Bollywood-Formeln ein gutes Stück in Richtung Realismus bewegt werden. "Swades" ist gewiss ein Feelgood-Movie, aber eines der zurückhaltenden Art. So darf die Liebesgeschichte nicht fehlen, aber auch sie ist mit einiger Komplexität entwickelt. Unerfüllbar scheint die Liebe zwischen Mohan und der Dorfschullehrerin Gita (Gayatri Joshi mit einem bezaubernden Spielfilmdebüt) aus ganz objektiven Gründen: Er will und muss zurück nach Amerika, sie will vor Ort tätig sein. Sie ist es, die Mohan ihre Liebe gesteht und sie ist es, die die Bedingungen bestimmt, unter denen sie ihn heiraten würde. Eine Lösung findet sich nicht als Happy-End aus heiterem Himmel und wenn "Swades" zuletzt auf ein entschiedenes Bekenntnis zur indischen Heimat hinausläuft, dann hat das mit Chauvinismus nicht das mindeste zu tun. Es sind diese noblen Züge, die Gowarikers Hang zum ästhetisch und dramaturgisch nicht ganz durchgearbeiteten Traktat zwar nicht vergessen machen, aber doch verzeihen lassen. "Lagaan" war ein hinreißendes Märchen, "Swades" ist seiner nicht ganz unähnlichen Struktur zum Trotz eine sehr viel nüchternere Angelegenheit. Aber gerade daraus, aus seinem Verzicht auf Überwältigungsabsichten und aus dem Ernst, mit dem seine Macher bei der Sache sind, bezieht er seinen nicht unbeträchtlichen Charme.

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