Jump Cut Reportage

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Andreas Dresen: Willenbrock (D 2004)

Eine Kritik von Ulrike Mattern

 

Wird Literatur fürs Kino adaptiert, sind Enttäuschungen programmiert. Selten wird ein Leser, der den Plot, die handelnden Personen, die Erzählperspektive und Atmosphäre aus dem Buch kennt, von der filmischen Umsetzung so angenehm überrascht wie in dem diese Woche startenden Werk von Andreas Dresen.

Regisseur Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler verlegen für den Film „Willenbrock“ – nach dem gleichnamigen Roman von Christoph Hein – die Handlung aus der Nachwendezeit ins Jetzt. Sie reduzieren die Erzählstruktur an der einen, verdichten sie an anderer Stelle aus Gründen der Dramaturgie. Den Ort der Handlung verlegen sie von der Metropole in die Provinz: Statt in Berlin verkauft der erfolgreiche und in der Ehe zur multiplen Affäre neigende schlitzohrige Autohändler Bernd Willenbrock (Axel Prahl) seine Wagen aus zweiter Hand in Magdeburg.

Nach „Nachtgestalten“ (1999), „Die Polizistin“ (2000), „Halbe Treppe“ (2002) ist diese Produktion bereits die vierte gemeinsame Arbeit von Axel Prahl und Andreas Dresen. In Cinemascope, zum Teil unaufdringlich mit der Handkamera in Szene gesetzt, nimmt sich der Film in kühlschrankkalten, eisgrauen Bildern den Erosionsprozess im Leben eines Selfmademan vor. Dies sei „definitiv keine Ostgeschichte“, betonte Darsteller Axel Prahl in einem Interview. Aufstieg und Fall der Figur könnten allerorts spielen. Austauschbare Einkaufszentren, öde Landstriche und still gelegte Industrien sind kein Privileg Ostdeutschlands.

Bernd Willenbrock, ein Mann in den besten Jahren, ist erfolgreich, eloquent und egoistisch. Er betrügt seine Frau, geht mit einer Freundin von ihr, einer Uni-Professorin, ins Bett, und bandelt nebenbei noch mit einer Studentin an. Willenbrock ist auf dem Sprung, ständig in Bewegung und sucht die schnelle Befriedigung. Mit seinem kräftigen, leicht untersetzten Körper bahnt er sich erstaunlich flink seinen Weg. Er verkörpert den unreflektierten Karrieristen, der sein Standing im Beruf und beim anderen Geschlecht in vollen Zügen, ein bisschen dreist genießt und nicht im Traum daran denkt, dass sich das ändern könnte. Der Alltag gibt ihm Recht: Die Firma brummt, die Geliebten stellen keine Ansprüche. Die Gattin wird mit einer kleinen Boutique im Einkaufszentrum und – wie aus dem Lehrbuch für Ehebrecher – mit einem üppigen Blumenstrauß nach jedem Seitensprung ruhig gestellt.

Es wäre kein Film von Andreas Dresen, kein Film mit Axel Prahl und vielleicht auch kein Roman von Christoph Hein, wenn diese Inkarnation eines Kotzbrockens nicht durch ein brachial läuterndes Erlebnis – hier ein nächtlicher Überfall auf das Paar – von Grund auf erschüttert und aus der sicheren Umlaufbahn geschleudert würde.

Axel Prahl spielt brillant, an seiner Seite glänzen großartige Darstellerinnen wie Dagmar Manzel und Anne Ratte-Polle als Geliebte und vor allem Inka Friedrich als fragile Ehefrau. Es mangelt dem Film nicht an gut komponierten visuellen Szenen, aber zum stilbildenden Höhepunkt gehört das letzte Bild von Willenbrock und seiner Frau auf dem Firmenparkplatz, der sich in eine Schneewüste verwandelt hat. Aus der Vogelperspektive beobachtet die Kamera die beiden, die wie Eskimos im ewigen Eis stehen und sich aneinander herantasten.

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