Rezensionen: James Dickey: Flucht zum weissen Meer (To the White Sea)

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James Dickey
James Dickey
James Dickey (1923-1997) ist in den USA zuerst als Lyriker bekannt geworden. Nach langen schwierigen Jahren, in denen er sich, regelmäßig Gedichtbände veröffentlichend, mit Universitätsjobs, Stipendien, Preisgeldern und der Arbeit in einer Werbeagentur durchschlug, wurde er mit seinem Roman "Deliverance" (bald darauf als Film mit Burt Reynolds ein Riesenerfolg) reich und berühmt. Er schildert hier die Kanufahrt von vier zivilisationsmüden Amerikanern, die sich zu einem Alptraum aus Bedrohung und Mord entwickelt. Mit keinem seiner folgenden Werke, Lyrik und zwei weitere Romane, hat er an diesen Erfolg anschließen können.

REZENSION

James Dickey: Flucht zum weißen Meer

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"To the White Sea", Dickeys dritter und letzter Roman, ist ein in mancher Hinsicht autobiografisches Buch. Der Held ist im zweiten Weltkrieg als Bordschütze in einem amerikanischen Flugzeug im Kriegseinsatz über Japan - Dickey war in Korea. Was dann aber folgt, ist Fiktion. Sergeant Muldrow wird abgeschossen und versucht, sich von der Insel Honshu nach Hokkaido durchzuschlagen. Muldrow ist in Alaska aufgewachsen und erhofft sich in Schnee und Kälte des Gebirges auf Hokkaido eine neue Heimat. Mit diesem Ziel stets fest im Blick folgt der Roman einer der klassischen Fabeln des Abenteuerroman: der einsame (männliche) Held in feindlicher Umgebung, zurückgeworfen auf die Fertigkeiten des Jägers und Sammlers, über die Felder ziehend, auf möglichste Unauffälligkeit bedacht.

Schnell zeigt sich Muldrows unbedingter Überlebenswille, seine Skrupellosigkeit. Um an passende Kleidung zu kommen, tötet er ohne jede Hemmung, ganz konzentriert nur auf die möglichst effiziente Tötungsmethode. Spätestens hier wird einem klar, dass man mit diesem Ich-Erzähler seine Schwierigkeiten haben wird. Er ist alles andere als der strahlende Held der simpleren Abenteuerromane, die Kosten seines Überlebens sind hoch, immer wieder fordert das Weiterkommen nicht zu rechtfertigenden Blutzoll. Moralische Erwägungen stellt Muldrow gar nicht erst an.

Er ist ein Jäger par excellence, ein Künstler des Anschleichens, des Verbergens und des Tötens, Tier in vieler Hinsicht eher als Mensch: "Mein Gehör ist ebensogut wie das jedes anderen Zweibeiners und das der meisten Vierbeiner. Ich würde mir zutrauen, es mit fast jedem Tier aufzunehmen." In Träumen und Erinnerungen wird das heimatliche Alaska heraufbeschworen, kaum von Menschen bevölkert, der Held imaginiert sich als Tier unter Tieren, die Jagdtechnik des Fischermarders, die Mimikry des Schneehasen sind der Gegenstand von Bewunderung und zunehmender Identifikation. Es kommt zu bizarren Begegnungen mit Menschen, die sich oft zu Kämpfen auf Leben und Tod entwickeln. Aber stets überlebt Muldrow, er setzt seine Reise ins Herz der Finsternis fort, nur dass die Finsternis in diesem Fall eine Seelenlandschaft aus Eis und Schnee ist.

Die Struktur des Romans ist die der altmodischsten Abenteuergeschichte, wie sie sich seit den Aventiuren des Mittelalters kaum verändert hat: In regelmäßigen Abständen hat der Held seine Kämpfe zu bestehen - und wie auch bereits in den mittelalterlichen Varianten (Parzival etwa) geht es immer deutlicher um die spirituelle Erlösung des Helden. Hier hat der Weltkriegsrealismus des Romans seine stets erneuerte Grenze: Keines der Ereignisse ist als solches völlig unwahrscheinlich. Und doch geht das Geschehen in der Schilderung der Tatsachen nicht auf. Zuletzt wird Sergeant Muldrow das Land der letzten Dinge aus Schnee und Eis erreicht haben, wie schon bei Poes Arthur Gordon Pym wird die äußerste Grenze des Wirklichen überschritten, die Grenze, an der auch die Sprache ihr Ende findet: "Wenn du mich hörst, dann sag einfach, es war eine Stimme im Wind: eine Stimme ohne Stimme, eine lautlose Stimme."

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