Theater: Richard Foreman: Now that Communism Is Dead My Life Feels Empty

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Richard Foreman
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Das Stück wird auf den Wiener Festwochen Mai 2001 gespielt werden.

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Ontological-Hysteric Theater

Kritik des Stücks in der New York Times (in deutscher Übersetzung)

THEATER

Richard Foreman: Now That Communism Is Dead My Life Feels Empty

(Ontological-hysteric Theater, St. Mark's Church, New York, Februar 2001)

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Am Eingang zum Bühnenraum steht ein älterer Herr mit Glatze, eine Tüte in der Hand, er wirkt etwas unsicher und die verbliebenen Haare stehen in die Luft, als hätte man ihn gerade unter Strom gesetzt. Oder als hätte er den Tag damit verbracht, sie sich zu raufen über der Lösung einer besonders schweren Aufgabe. Später, unmittelbar vor Beginn der Vorstellung, wird der ältere Herr, von dem man sich vorstellen könnte, dass er stottert wie Einar Schleef, vor das Publikum treten und darum bitten, die Handys auszuschalten. Er stottert nicht. Es ist Richard Foreman, lebende Legende des Avantgarde-Theaters, Gründer des Ontological-Hysteric-Theater, Autor, Regisseur und Bühnenbildner in einem von "Now that communism is dead, my life feels empty".

Der Bühnenraum ist winzig, das Hinterzimmer der St. Mark's Church im East Village in Manhattan, vielleicht hundert eng zusammengedrängte Besucher, die in der vordersten Reihe können die Hand ausstrecken und die durchsichtigen, aber mit unleserlicher Schrift bekrakelten Glasscheiben berühren, die den Zuschauerraum von der Bühne trennen. Trennen und auch wieder nicht trennen: mehrere Scheiben, dazu von links nach rechts und oben und unten verlaufende Schnüre, zwischen den Scheiben aber etwa einen Meter breite Räume, die den direkten Blick auf die Bühne erlauben. In diesen Zwischenraum aber wird auch einer der Schauspieler mehrmals treten und hinausblicken ins Publikum. Das war eines der Markenzeichen der frühen Stücke und Inszenierungen von Richard Foreman, Darsteller, die einzelne Zuschauer fixieren, nicht involvieren wie es Art der von Grotowski beeinflussten Theatergruppen war, aber mit ihren Blicken quälen. Keine Foremen-Aufführung in den sechziger Jahren, in der nicht die Hälfte des Publikums den Raum verließ. Heute bleiben alle. Der Blick ins Publikum ist nur noch Zitat.

Auf der Bühne, die vage Klassenzimmer-Assoziationen weckt, mit ebenfalls unleserlich vollgekritzelten Tafeln, aber auch vollgemüllt ist, wie bei Foreman üblich, mit von der Decke hängenden Gegenständen, Bildern an der Wand, deren Bedeutung rätselhaft bleibt, auf dieser Bühne erscheinen zwei Figuren, Fred und Freddie, beide leicht clownesk und ein wenig wie aus einem strengen Beckett-Stück ins hysterische Theater Richard Foremans gespült. Fred ist groß, langmähnig, seine Brust ist mächtig, weil mit einem Kissen ausgestopft und er presst wie unter Qualen die Worte aus sich heraus, in einer Sprechweise, die in extremem Maße stilisiert klingt (gegen Ende schleicht sich ein heftiger russischer Akzent in seine Rede). Sein Gegenüber ist Freddie, ebenfalls langmähnig, aber mit hängenden Schultern und einem Akzent, der so breit und cool ist, dass die kleine Bühne ihn kaum fassen kann. Freddies Nase ist rot angemalt, was mit dem Kommunismus zu tun haben könnte, von dem immer mal wieder die Rede ist, rote Fahnen werden gelegentlich durchs Bild getragen.

Fred und Freddie schlagen sich und vertragen sich und sprechen über sehr ernste Dinge, wie, dass das Leben leer und sinnlos geworden ist. Fred hat eine dunkle Schachtel, in der er seinen Hund spazieren trägt, sagt er. Er hütet ihn eifersüchtig und man bekommt ihn lange nicht zu sehen. Als man ihn sieht, ist er ein Stoffhund, ein toter Stoffhund. Wenn man englisch DOG umdreht, wird natürlich GOD daraus. Da kann man nun lange darüber rätseln, Gott ist tot, klar, aber zugleich ist auch der Hund tot, worüber Fred sehr traurig ist. Später wird der große Hund auf die Bühne kommen, der aussieht, wie man sich vielleicht das zentrale Götzenbild irgendwelcher Stammesrituale vorstellt. Der große Hund verschwindet wieder, noch später werden Hühner auf Stangen über die Bühne getragen, COCKS OF PEACE heißt es. Der Zeigefinger Gottes fährt herab, das ist noch später, fast gegen Ende, bis zuletzt eine Glaskugel mit Babypuppen in ihrem Inneren enthüllt wird. Neben den zwei Darstellern gibt es übrigens noch verschleierte Wesen, fünf Frauen und ein Mann, die um Fred und Freddie herumwuseln, sich gruppieren, die beiden auch mal fesseln und wieder befreien, die Requisiten reinbringen und wieder raustragen. Eine Anspielung auf den antiken Chor, vielleicht, einen sprachlos gewordenen. Man sieht schon: es passiert viel und was es bedeuten könnte, ist nicht so klar.

Wo der Sinn so offenkundig nicht vordringlich ist, hält man sich am besten an die Form. Mit dem üblichen Illusionstheater hat man es hier, soviel versteht sich von selbst, nicht zu tun, dessen Elemente sind dissoziiert: es gibt Schauspieler, aber sie sprechen ihre Texte auf immer dieselbe Weise, egal, was sie nun sagen, egal, wie sehr ihre Worte von Leid sprechen und Leere. Immerhin fallen sie gelegentlich wie tot zu Boden, stehen aber wieder auf, tanzen (ungelenk). Bewegung ist ein wichtiges Element dieses Theaters, Choreografien, sich ständige ändernde Konstellationen zwischen den Hauptfiguren, den verschleierten Wesen und auch den Requisiten. Dazu kommt die Musik, vom Band eingespielt und angespielt, repetitiv, selbst ein Akteur, der Handlungen auslöst oder begleitet, dann immer wieder abrupt abbricht. Diese Musikeinsätze sind es, die der Inszenierung ihren ganz eigenen Rhythmus verleihen, Zäsuren setzen, leitmotivisch wiederkehren, sich mit bestimmten Abläufen oder auch nur einzelnen Worten assoziieren. Ebenfalls vom Band, ebenfalls zäsurierend, unterbrechend und oft die jeweilige Bühnensituation auflösend, zersprengend: ein Geräusch, als würde eine Kiste mit Flaschen scheppernd zu Boden geworfen, ohrenbetäubend laut. Dazu eine Stimme aus dem Off, aus dem Nichts, die Sätze sagt wie "I have lost control" oder "I don't know what I will say next". Beim Auftritt dieser Stimme, deren Auftrittsweise sie zur Stimme Gottes macht, eines reichlich ratlosen Gottes, steht das Bühnengeschehen still, man lauscht. Bewirken werden die Worte dieser Stimme nichts.

Richard Foremans Theater hat kein Zentrum, weder die Texte noch die Darsteller noch die Bühne noch die Handlung noch die Geräusche regieren hier. Alle Elemente herkömmlicher Darstellung auf der Bühne sind vorhanden, aber auseinandergenommen, um neu, eigenwillig und überraschend, wieder zusammengesetzt zu werden. Die Stücke bannen den Zuschauer nicht, die Texte stellen nur sehr widerwillig, wenn überhaupt, eine Einheit über durchgehenden Sinn her. Und doch fällt dieses Theater nicht auseinander, stellt seine Einheit aus sich selbst wieder her, natürlich auch durch das, was inzwischen Richard Foremans ganz eigene Handschrift ist. Man weiß als Zuschauer nie, was einen als nächstes erwartet. Man weiß nur: es ist das Unerwartete. Und aus diesen Überraschungen, die dennoch innerhalb der zuvor geschaffenen Kontexte bleiben, nicht beliebig werden, ziehen Richard Foremans Stücke eine Wirkung, die nicht die unwichtigste ist: ihre bezwingende Komik. Nicht dass man immer wüsste, warum man lacht. Aber man lacht.

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