Der Gerichtsfilm ist das Metagenre des Kinos schlechthin, ein Ort der Inszenierung von Insze-
nierung, an dem Darstellung von Beginn an verdoppelt ist. Das Erzählen, wie es im Hollywood-
Kino (in Fortsetzung der lange abgetanen Theaterbühne als moralischer Anstalt) funktioniert,
ist im Gerichtssaal konfrontiert mit den Mitteln herkömmlicher Gemütserregung. Die Jury, stumm
und an den Rand gedrängt, vertritt (oder repräsentiert) den Zuschauer und Ethos und Pathos der
rhetorischen Tradition feiern ihre transparent gewordene (und eben auch formelhafte, in Lehr-
büchern verbreitete) Wiederkehr als Rührung des Betrachters und Identifikation mit einem Helden.

Die meisten Gerichtsfilme bleiben unter ihrem so bezeichneten Niveau, von den albernen Grisham-
Verfolgungsjagden ganz zu schweigen. Der Gerichtsfilm ist als Genre komplex und löst die mora-
lische Behandlung ethischer Fragen, wie sie der Western regressiv zelebriert, durch die rechtliche
Auseinandersetzung ab. Vieles kann dabei ins Genre eingespeist werden (wie eben auch ins
Rechtssystem), gesellschaftliche Themen aller Art, auch Fragen nach der Zulänglichkeit des
Rechtssystems - und dies alles mit dem immer lauernden Potential der medialen (rhetorischen)
Selbstreflexion. Während die Mehrzahl der Western daran scheitert, daß sie das Niveau des
Genres nicht zu überbieten vermag, liegt das Versagen vieler Gerichtsfilme darin, daß sie den
Komplexitätsgrad des Genres gar nicht erreichen.

Dieser Vorwurf läßt sich Steve Zaillians Regiedebüt 'Zivilprozeß' nicht machen. Der Film nutzt die
Topoi und Möglichkeiten seines Genres auf eine erstaunlich gründliche, ja gewissenhafte Weise.
Von besonderem Interesse ist ihm das Verhältnis von Gerechtigkeit und Abgeltung durch Geld als
Schadensersatz. Freilich steht die Absurdität der Bilanz von Beginn an fest, da auf der Opfer/
Schadensseite Tote zu beklagen sind, durch fahrlässig vergiftetes Trinkwasser. Geradezu obsessiv
werden immer wieder, und immer wieder anders, Rechnungen aufgemacht, oder genauer: was
als Suche nach Gerechtigkeit, dann als Suche nach Recht, beginnt, transformiert sich unaufhalt-
sam in Geldfragen. Die immensen und unfaßbaren Schadensersatzsummen, die in us-amerikani-
schen Zivilprozessen oft aufgebracht werden, die von der Klägerseite hier auch eingefordert
werden, lassen sich so als Überwindung schnöden Bilanzierens durch Annäherung ans Unvor-
stellbare lesen, und zwar mit Hilfe dieses Films, der den Vergleich als Niederlage der Gerechtigkeit
beschreibt und diese These bis zum bitteren Ende eines credo quia absurdum durchexerziert.

Der Film inszeniert sich, seine Geschichte und seine Figuren (schon an der Namensgebung erkenn-
bar: Jan Schlichtman als Name des Helden, an dem folglich nichts Strahlendes ist) als Allegorie,
als morality play, das auf Psychologisierung ebenso verzichtet wie die Ausstattung seiner Protago-
nisten mit irgendwelchen privaten Geschichten, die nichts zur Sache tun. Die Figuren enden haar-
scharf am Rande der Geschichte, die erzählt wird, und das ist wohltuend, klug und effizient. Eben-
so effizient und listig undurchschaubar ist der leitmotivische Einsatz des Wassers als leeren Zentrums
des Films wie des Prozesses. Über dieses inszenatorische Pokerface hinaus beeindruckt die
ironische Leichtigkeit, aber auch die unerbittliche, wenngleich humorvolle, Konsequenz, mit der die
Fabel von Aufstieg und Fall des kleinen, möchtegerngroßen Helden, an dem sich John Travolta als
großer Schauspieler bewährt, erzählt ist. Eine Reihe weiterer großartiger Darsteller, allen voran
Robert Duvall als nicht unsympathischer Zyniker, machen den Film zu einem in seiner Gründlich-
keit manchmal vielleicht etwas betulichen, aber letztlich kaum beeinträchtigten Vergnügen.

zur Startseite

seit dem 28.4.1999