| "Der zynische Körper" lässt sich als Spielfilm betrachten:
		    es gibt identifizierbare Figuren, es gibt eine Handlung, eine Konstellation
		    wenigstens, die sich im Laufe des Films verändert. Ein Kreis von Freunden,
		    jeder von ihnen als mit sich identisch markiert nicht durch psychologisch
		    abgesteckten Charakter, sondern durch eine Tätigkeit: Liza, die Fotografien,
		    John, der Architekt, Fred, der Zeichner, Carl, der Autor, Bela, die
		    Übersetzerin und Sammlerin Freudscher Fehlleistungen, Roy, der Lektor.
		    Letzterer ist so etwas wie das Zentrum des Films: ihm, schlafend, aus dem
		    Bett fallend, dann Kaffee kochend, gelten die ersten Bilder. Roy wird sterben,
		    von seinem Tod ist die Rede, sein Sterben wird zu sehen sein. Just an Roys
		    Tod aber zerschellt der Versuch, eine chronolgoische Abfolge zu rekonstruieren.
		    Seine hinterlassenen Notizbücher, in denen der Film, in denen seine
		    Freunde blättern, sind der basso continuo, Roys Leben und Tod aber sind
		    nicht eindeutig auf der Zeitlinie, die sich aus der Logik eines Vor und Nach
		    ergeben müsste, einzutragen. Einzig der Epilog im Himmel verheißt
		    - absurderweise - endgültige Orientierung über das Insert "8 Monate
		    später".
		     
		    Andere Logik: Schwarz und Weiß. Alle Innenaufnahmen leuchten
		    in klarer, satter Farbe, verdichten sich zu Beinahe-Stills in verkanteter
		    Perspektive, voller sich der schließlichen Entschlüsselung
		    entziehender Bild-Informationen. Interieurs, etwa ein Restaurant mit Kuchen-
		    bzw. Lebensmitteltheke hinter Glas, verweisen auf nichts als auf sich selbst,
		    ihre bizarre Schönheit, die der Zerschlagung harrt. Das Glas der Theke
		    wird zerstört, die Speisen werden mit schwarzer Farbe übergossen.
		    Alle Außenaufnahmen - mit, soweit ich sehe, einer Ausnahme - sind
		    schwarzweiß. Auch hier die stete Schräglage der von Emigholz
		    geführten Kamera (in den Credits heißte es: Bildfotografie), die
		    Effekte aber sind andere, nicht - wenngleich rätselhafte - Klarheit,
		    sondern oftmals das Beinahe-Ineinander von Vorder- und Hintergründen.
		    Architekturfotografie, Kölner Dom, Gaudís Sagrada Familia und
		    während im Off ein Text zur Ideologie der Ununterscheidbarkeit von Struktur
		    und Verzierung gesprochen wird, reproduziert der Film in seiner Verweigerung
		    des architekturtouristischen Blicks genau diese Vermischung, löst die
		    Struktur auf im Ornament aus Schwarz und Weiß, oder umgekehrt: kehrt
		    die Struktur des Baus in Richtung Bild, löscht die Schwerkraft, löscht
		    den Sinn des Baus, will Fotografie.
		     
		    Weitere Logik, metafiktional: Rob, die Figur, die der Schriftsteller
		    Carl erfindet, im Spiel, das Ernst wird, mit Fred, bekommt Auftritte und
		    Bilder, die von denen der Realität, die der Film bis zum Ende stets
		    am Rande der Absurdität behauptet, nicht zu unterscheiden sind. Rob,
		    gar als Doppelfigur, greift ein ins Leben der Figuren, die ihn erdacht haben.
		    Der Film macht daraus keine Pointe, scheint auf den Bezug auf allfällige
		    metafiction-Diskurse verzichten zu wollen. Dies ist nur eine weitere Schicht,
		    ein weiterer Zug im Spiel mit den Konventionen von Geschichten. Dazu kommen,
		    in jedem Bild, in jeder Einstellung (das filmische wie das fotografische
		    Begriffs-Register, in den Innenraum-tableaux-vivants eher noch das der Malerei,
		    scheinen angemessen), eine Dialogspur, die zwischen Gespräch und Essayismus
		    oszilliert, und eine Mise-en-Scène, die mit großer
		    Selbstverständlichkeit allen Abbild-Realismus unterläuft und filmische
		    wie fotografische Bildklischees aller Art vermeidet, gar zu einer Schönheit
		    findet, die umso mehr erstaunt, als sie einem wie die ganz eigene,
		    idiosynkratische Erfindung dieses Films vorkommt.
		     
		      
		     
		    Heinz Emigholz: Der zynische Körper (BRD 1986-90)
		    Mit Klaus Behnken, Eckhard Rhode, Wolfgang Müller, Kle deCamp,
		    Carola Regnier, John Erdman, Bernd Broaderup, Klaus Dufke, André
		    Lützen, René Schönenberger u.a. Ton: Alfred Obrisch, Stephan
		    Konken. Musik: Nikolaus Utermöhlen, Innsbruch, ich muss dich lassen
		    von Heinrich Issac. Art Direction: ueli Etter. Licht: Axel Schäffler.
		    Koordination: Frieder Schlaich, Andreas Senn. Filmcomputing: Klaus Dufke.
		    Schnitt: Renate Merck. Regie, Buch, Bildfotografie: Heinz Emigholz. Hamburg,
		    Berlin, Köln, Paris, Barcelona, Pyrenäen. 35 mm Tonfilm in Farbe
		    & s/w. Uraufführung: Internationales Forum des jungen Films, Berlin
		    1991  |