Theater: Mark Ravenhill: Shoppen und Ficken

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Mark Ravenhill: Shoppen und Ficken

(Theater Magdeburg, Premiere Dezember 2000)

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Von Karina Kunze

Faszination des Abstoßenden Es war ein Abend, an dessen Ende Darsteller und Zuschauer tief durchatmeten. Eine Herausforderung, die an die Nieren ging, lag hinter ihnen. Realistisch, mutig und vor allem schonungslos ehrlich ist das, was das Team des Theaters der Landeshauptstadt um Regisseur Helmut Palitsch am Samstag zur Premiere brachte.

"Shoppen & Ficken", das sind die Werte, um die sich das Leben von Lulu, Marc, Gary und Robbie rankt. Eigentlich jedoch stecken in diesen beiden Vokabeln die Sehnsüchte aller Menschen: die Suche nach Liebe, Beschütztwerden, Freiheit und Glück. Um diesen Sehnsüchten ein kleines Stück näher zu kommen, kennen die Figuren von Autor Mark Ravenhill nur zwei Wege: "Shoppen & Ficken". Doch was bei oberflächlichem Blick hart, krass und extrem erscheinen mag, offenbart eine tiefere Wirklichkeit Wie weit prostituiert sich jeder Einzelne, um seine Ziele zu erreichen? Wie weit geht er, um seine Sehnsüchte zu befriedigen? Fragen, die jeder irgendwann für sich beantworten muss, egal, ob er Junkie, Stricher oder "braver Bürger" ist.

Und obwohl der Zuschauer das eine oder andere Mal den Kloß im Hals wegschlucken muss oder lieber die Augen verschließen will, ist er doch fasziniert vom Geschehen auf der Bühne. Die Faszination des Abstoßenden! Während jedoch im TV weg gezappt wird, weil man die Bilder von missbrauchten Kindern oder von Bomben zerfetzten Leichen in irgendeinem Teil der Welt nicht sehen will, gibt es im Theatersaal kein Entrinnen vor dem Gezeigten. Das oft praktizierte "Was ich nicht sehe, ist auch nicht wahr" greift nicht mehr. Das ist das eigentlich Schockierende an "Shoppen & Ficken", nicht der viel umstrittene Titel. Die Bühnengestaltung von Birgit Stoessel verstärkt den Realitätsbezug. Agiert wird nicht von einem theatralischen Podium herab, sondern auf gleicher Ebene mit dem Zuschauer ­ gleichsam direkt nebenan, vor jedermanns Augen. Hinter der Bühne gibt die geöffnete Fensterfront den Blick auf den Breiten Weg frei. Die Stadt fließt ins Geschehen hinein und das Geschehen fließt in die Stadt hinaus. Nur einmal wird die Welt ausgesperrt, der Blick verschlossen ­ wenn der Stricher Gary die anderen Figuren und das Publikum mitnimmt in die finstersten Abgründe seiner Seele. Genau so finster ist in diesem Moment der Saal, nur der Schein einer Taschenlampe gibt schemenhaft die Perversion des Augenblickes preis. Dazwischen immer wieder kurze Momente greller Erleuchtung, die am Ende dem Dunkel jedoch unterliegt. Die ganze Wucht der Wirkung teilt sich über das großartige Schauspielensemble mit. Der lange Beifall am Schluss war der Respekt vor dieser Leistung von Sibylla Rasmussen, Karl-Heinz Girnau, Thomas Fritz Jung, Heiko Pinkowski und Christian Kleinert. Alle leben die Rollen mit ihrer ganzen seelischen und körperlichen Nacktheit, die die Botschaft des Stückes ausmacht. Dazu gehört nicht nur schauspielerisches Können, sondern auch eine große Portion Mut, die eigenen Vorbehalte, Schamgrenzen und Lebensgewohnheiten dem Extrem der Rollen unterzuordnen. Am Ende bleibt tiefes Durchatmen. Doch wem es gelingt, sich voll und ganz auf dieses Stück einzulassen, dem gelingt es auch, das Leben darin wieder zu finden.

Der Text erschien zuerst im Elbe Report vom 13.12.2000

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