Rezensionen: Kurt Vonnegut: Zeitbeben

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REZENSION

Kurt Vonnegut: Zeitbeben

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Zeitbeben ist ein aus der Asche eines nicht vollendeten Science-Fiction-Romans erstandener Roman. Dessen Grundeinfall ging so: am 13. Februar 2001 kommt es aufgrund einer kurzen Unschlüssigkeit des Universums, ob es sich weiter ausdehnen soll, zum Zeitbeben. Die ganze Welt verrutscht um zehn Jahre, und zwar zurück. Alle müssen zehn lange Jahre lang all das noch einmal durchmachen (bei vollem Bewusstsein), was sie schon einmal durchgemacht haben. Ein klaustrophobischer Einfall (so jedenfalls präsentiert es der Autor - gegen Nietzsches bejahende Vision von der Wiederkehr des Ewiggleichen), der sich Vonnegut einfach nicht zum Roman runden wollte; Bruchstücke sind nun in Timequake übernommen. Das alles hat seine Richtigkeit. Denn einerseits ist Vonneguts Weltbild zutiefst pessimistisch, immer wieder verkündet er sein Credo: dies ist eine Welt, in die ich ungefragt hineingeboren wurde. Und wenn man mich gefragt hätte: ich hätte keinen guten Grund gesehen, ja zu sagen. Andererseits aber kann die Vonnegut-Lektüre riesigen Spaß machen, und in den komischen, oft sehr komischen, Momenten seiner Bücher zerstreut sich die Düsternis in ein Vergnügen, das nicht Widerlegung, aber doch Stillstellung des Pessimismus ist.

Timequake, der Roman, der auf den Trümmern eines Romans errichtet ist, ist auch eine Art Autobiografie des Autors, zudem erklärtermaßen sein letztes Buch. Es handelt sich nicht zuletzt deshalb um einen würdigen Abschluss eines umfangreichen, oft (Sirens of Titan, Slaughterhouse Five) brillanten, Werks, weil es Tugenden wie Laster Kurt Vonneguts noch einmal in aller Pracht sichtbar werden lässt. Zuerst die Laster, damit wir das hinter uns haben. Vonnegut - nicht umsonst mit Heinrich Böll (einst) und Günter Grass (bis heute) gut befreundet - ist ein unverbesserlicher, penetranter, gänzlich unsubtiler Moralist. Er ist ein Mann mit einer Botschaft, die darauf hinausläuft, dass wir, da wir nun einmal in dem Schlamassel namens Leben stecken, doch wenigstens nett zueinander sein könnten. Das führt zu einem militanten Humanismus, der jene Großzahl von Menschen hasst, die anderen Leid zufügen. Diese - im Grunde sehr sympathische, keine Frage - Botschaft bekommt man wieder und wieder eingehämmert. Leider ist sie auch schon früh als Sprachrohr (und Karikatur) des Autors gewordene Figur in seine Romane hineingewandert. Kilgore Trout, der weltfremde Science-Fiction-Autor, geistert auch durch diesen letzten Roman. Und wiederum sind die Passagen, in denen er seine allzu allegorischen, allzu didaktischen Stories ausbreiten darf, die enervierendsten. Ungeduldig überfliegt man sie, in der - immer berechtigten - Hoffnung, dass danach wieder komische, funkelnde, lakonisch formulierte Absätze kommen.

Denkmäler der besten Art sind es, die Vonnegut errichtet: traurig-komische Darstellungen von Menschen, die er liebt oder hasst, die ganze Verwandtschaft, Bruder, Tante, Vater, Onkel, alle werden in Anekdoten, Äußerungen, charakteristischem Verhalten geschildert. Mal gnadenlos, mal liebevoll, aber immer wird Vonneguts einzigartiges Talent sichtbar, die Realität ganz unter der Hand geschichtenförmig werden zu lassen, und die Geschichten dann treffend und unterhaltsam. Das mindert nicht den Ernst, der stets die Kehrseite aller bitteren Komik bleibt. Oft ist das Lachen bester karnevalistischer Natur (im Bachtinschen Sinne), es wird die Welt der Reichen, Eingebildeten, vom Schicksal Bevorteilten auf den Kopf und in Frage gestellt durch die Konfrontation mit dem, was ihnen zuwider ist: Fürze, Stürze, Lapsi, Peinlichkeiten. Die Integration des Biografischen und der Science Fiction ist Vonnegut allerdings früher besser gelungen, die Partikel unterschiedlicher Herkunft und Machart treiben in Timequake eher wie kleine Eisschollen nebeneinander her, verbunden nur durch die Weltsicht des Autors. Die Sci-Fi-Prämisse von Timequake, die den reinen Genre-Roman bereits hatte scheitern lassen, trägt noch nicht einmal die im jetzigen Amalgam übriggebliebenen Sprengstücke um Kilgore Trout und die American Academy of Arts and Letters (kulturpessimistisch genug geschildert als mehr oder weniger aufgegebener Ort am Nordende Manhattans). Das Zeitbeben ist eine Horrorvorstellung, als Plotvorgabe kann sie aber nicht taugen, jedenfalls nicht für einen so quecksilbrigen Autor wie Kurt Vonnegut. Obwohl dies also, alles in allem, ein von Perfektion denkbar weit entferntes Buch ist, kann man die Lektüre rundweg empfehlen.

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