Monday, August 02, 2004

Julien Green: Leviathan

Roman (1929)

Mit Entsetzen zugesehen (ein Lesen als Zusehen), wie Angèle ihr Gesicht enthüllt. Nicht weiterlesen wollen. Entstellt ist sie von Guéret, dem sie in Hass verbunden ist, in Liebe, in Wahrheit: in einem ganz unerklärten Gefühl. Julien Green experimentiert in Bindungen, deren Plausibilität nirgends geschrieben steht. Mit der Plausibilität dieser Mischtriebe aus Begehren, Abscheu, Selbsthass steht und fällt das Mitleiden mit den Figuren (aber wer sagt, dass man mit ihnen mitleiden sollte). Guéret, der seine Frau, sein biederes Leben verabscheut und in der Hure Angèle etwas wie eine Erlöserin sieht. Madame Londe, Besitzerin eines Restaurants, eifrige Beobachterin der höchst banalen Geheimnisse ihrer Gäste, führt Angèle diesen zu, aus Spionagegründen. Guéret, der zum Gast wird, verspricht sich Angèle, die er nicht bekommt. Die er vergewaltigt, die er beinahe tötet, die er auf immer entstellt. Er flieht, er tötet, grundlos, einen alten Mann, er kehrt zurück. Weitere Zentralfigur: Madame Grosgeorge, verheiratet mit einem fühllosen Mann, der sich Geliebte hält nach Belieben, darunter Angèle. Alles kreist um Angèle, den Engel, der leidet und nicht weiß warum. Leid, als äußerstes, trifft alle Figuren, als Schicksal, als Verhängnis. Auswege gibt es nicht. Sie treiben aufeinander zu, um sich zu verletzen. Eine Idee von Erlösung scheint auf nur im Punkt der tiefsten Verzweiflung, der ein Jenseits wäre, von dem aus alles möglich scheint. Nichts aber erfüllt sich hier. Angèle will verzweifelt Guéret retten, Madame Londe wird blind, taub, eilt dem Tod entgegen. Madame Grosgeorge sieht in Guéret etwas wie einen Stellvertreter, für einen Moment, dann verrät sie ihn, aus Eifersucht. Freilich ist das alles zu leichtfertig formuliert: auf die einfachen Nenner, Verzweiflung, Eifersucht, Liebe, Hass ist das alles nicht zu bringen. Es ist immer alles zugleich, in abstoßender Mischung. Das Elend des Leviathan, das Elend einer Welt ohne jede Rettung ist kaum zu ertragen. Guéret, der Held, der Anti-Held, verschwindet zwischendurch ganz aus dem Bild und auch am Ende: keiner weiß, was aus ihm wird. Verlassen ist er, verlassen sind alle, von guten Geistern, von Gott, einander die Hölle.

3 Comments:

roland said...

jaja, das hat sich mir auch alles so eingefressen. dunkelstprosa.

hab ich meiner mutter mal zum geburtstag geschenkt, bisschen fehl am platz dafuer

9:49 AM  
Ekkehard Knoerer said...

Ich kenn ja Deine Mutter nicht - aber meine hätte ein solches Geschenk als zugleich typisch und unverschämt begriffen. Zu Recht. Und dann hätte ich ihr erklärt, dass Green doch auch ein Katholik war, ein konvertierter sogar. Das hilft natürlich nichts, denn so ein finsterster Weltverneinungs- und Erlösungsbedürftigkeitskatholizismus hat mit dem Ringelpiez mit Singen und Anfassen, der bei uns die Sonntagsmesse war, ja herzlich wenig zu tun.

12:02 AM  
roland said...

ich hab mir da auch im nachhinein so ein halbbewusstes ätschi und gegenhalten dann hineinkonstruiert.

4:35 AM  

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