Edgar Reitz: Mahlzeiten (1967)

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Regie: Edgar Reitz
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Edgar Reitz: Mahlzeiten (1967)
Kritik von Ekkehard Knörer

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„Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ So lautete der letzte Satz des erst verhöhnten, dann berühmten, mittlerweile wieder berüchtigten Oberhausener Manifests, mit dem eine junge Generation von damals noch weitgehend unbekannten deutschen Filmemachern das heimische Kino revolutionieren wollte. Wie es der Zufall will, ist das fast genau vierzig Jahre her. Die Generation des deutschen Autorenfilms, die auf Oberhausen folgte, steht längst nicht mehr im besten Ruf, übrig geblieben sind wenige der 26 Unterzeichner, Alexander Kluge vor allem und Edgar Reitz, der eine probt seit geraumer Zeit die Revolution in Permanenz im Fernsehen, der andere hat mit seiner doppelten „Heimat“ seine ganz eigene Nische gefunden, der Startschuss für eine dritte Serie ist soeben gefallen.

Die Retrospektive der diesjährigen Berlinale widmet sich den Umwälzungen der 60er Jahre, im Leben wie im Kino, in den verschiedensten Facetten. Der Neue Deutsche Film ist eine davon, es laufen heute weitgehend vergessene Werke von Herbert Vesely oder Hansjürgen Pohland, einige Filme von Alexander Kluge und auch Edgar Reitz’ einstmals mit dem Silbernen Löwen von Venedig in der Reihe Debütfilm ausgezeichneter Erstling „Mahlzeiten“. Eine seltsame, eine seltsam fremde Welt ist es, mit der einen der Film konfrontiert. Reitz’ Herkunft vom experimentalen Kurzfilm, dessen Heimat das Festival von Oberhausen gerade gewesen ist, ist von der ersten Minute an offenkundig. Verblüffend frisch und erkennbar an Frankreich, Godard und Truffaut geschult, ist die Erzählsprache des Films. Die Handkamera bewegt sich um die Figuren wie man es heute wieder aus den Dogma-Filmen kennt, die Erzählung ist sprunghaft, es gibt spielerische Elemente wie die Einblendung der Namen der Neugeborenen mitten ins Illusionsbild.

Von heute nur noch schwer begreiflichem Ernst aber sind die Dialoge, die sich um die großen Sinnfragen drehen, geradezu unentzifferbar ist der Off-Kommentar, der einerseits für den erzählerischen Zusammenhalt sorgt, andererseits aber so überzogen bedeutungsschwanger daherkommt, dass man oft nicht weiß, ob das nun freiwillig komisch ist oder nicht. (Gut ist es in einem solchen Fall, hinterher den Filmemacher selbst befragen zu können, der auf die vorsichtige Publikumsnachfrage versichert, es handle sich ganz entschieden um ein ironisches Sprechen.) Die Geschichte des Films ist vergleichsweise simpel: Es begegnen sich auf dem Hamburger Werftgelände die Fotografin Elisabeth, der Medizinstudent Paul, ein paar Schnitte weiter sind sie verheiratet, das erste Kind ist unterwegs. Erste Krisen bahnen sich an, in geradezu serieller Produktion kommt dennoch ein Kind nach dem anderen zur Welt.

Paul gibt sein Studium auf, verschwindet auf der Suche nach sich selbst, kehrt wieder zurück, Elisabeth ist wieder schwanger. Lange bevorzugt der Film ihre Perspektive - wenngleich er die wundersame Leichtigkeit, mit der sie neben ihren zuletzt fünf Kindern ein eher Bohemienne-haftes Leben zu führen in der Lage ist, nicht weiter erklärt -, dann aber lässt er sich recht ausführlich auf Pauls Scheitern als Arzneimittelwerbevertreter ein. Immer wieder bewegt sich „Mahlzeiten“ weg von der reinen Erzählung, hin zum Diskursiven, Parabelhaften, Über-Individuellen, verfremdet das Geschehen durch kontrapunktischen Musikeinsatz, durch herbe Schnitte, durch von den Figuren abschweifende Handkamera, durch den Off-Kommentar. Die stärkste Szene ist dann jedoch eine des konzentrierten Draufhaltens: mit grotesker Entschlossenheit begeht Paul Selbstmord, indem er, auf freiem Feld, die Abgase ins Innere seines Käfers leitet.

Im Filmmuseum folgt kurz darauf ein Gespräch zwischen Edgar Reitz und dem Filmkritiker-Veteran Peter W. Jansen. Man spricht über die Aufbrüche der 60er Jahre. Reitz erzählt vom chinesischen Restaurant, in dem die Gruppe der Aufrührer - unter Anleitung Alexander Kluges - das Oberhausener Manifest entwarf. Er gibt einen Eindruck von der erstickenden Situation, die die jungen Filmemacher im Deutschland der 50er und 60er Jahre vorfanden. Bezeichnend die Anekdote, dass sein erster Kurzfilm auf weggeworfenem Filmmaterial von Billy Wilders zeitgleich gedrehtem „Eins, zwei, drei“ entstand. Und plötzlich ist, obwohl Reitz genau das vermeiden wollte, viel Nostalgie im Raum. Er erzählt vom Zerfall der Gruppe der filmbesessenen, in dieser Besessenheit lange eng verbundenen Filmemacher, der Anfang der siebziger Jahre mit den ersten größeren Erfolgen einsetzt. Und er beklagt, dass unserer Kultur und den Filmemachern der Sinn abhanden gekommen ist, dass die aktuellen Filme melancholische Bestandsaufnahmen unglücklicher Zeitumstände sind. Er klagt über das Publikum, das sich dem Schwierigen nicht stellen will, über die Institutionen, die nicht genug für die allgemeine Filmbildung unternehmen.

Dann verlässt man das Filmmuseum, geht hinüber zum Berlinale-Palast, vorbei an den Fenstern des Hyatt-Restaurants. An der Bar sitzt, ins Gespräch vertieft, Alexander Kluge, das lebendigste der Gespenster des Neuen Deutschen Films.

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