Nicht aus dem Kopf gegangen
Frage: Mr. Crowe, für Ihren neuen Film "Vanilla Sky" hat Paul
McCartney den Titelsong geschrieben. Wie haben Sie das fertig gebracht?
Cameron Crowe: Wir haben Paul angerufen und gebeten, sich das bereits
gedrehte Material anzusehen - und vielleicht einen Song zu schreiben. Im
Juni schaute er dann bei uns im Büro vorbei. Ich war höllisch
nervös. Wir hatten vorher keinem Bescheid gesagt. So konnte ich miterleben,
was es heißt, Paul McCartney zu sein. Ich bin mit ihm herumgelaufen
und habe direkt mitbekommen, wie die Leute auf ihn reagieren. Es war bizarr,
wie ein Haufen Freaks. Wir zeigten ihm etwa 40 Minuten des Films, und ein
paar Tage später rief er uns an: Er hatte einen Song geschrieben. Wir
haben beschlossen, ihn am Schluss des Films einzusetzen. Er fasst das Thema
des Films quasi zusammen.
Frage: Haben Sie keine Angst, dass sich die Zuschauer in den verschiedenen
Ebenen Ihres Films verlieren? Er ist ja wie ein Traum in einem Traum.
Crowe: So kann man es interpretieren. Der Film war aber niemals darauf
angelegt, die Leute zu verwirren oder prätentiös zu sein. Wir haben
viele Anhaltspunkte und Wegweiser eingebaut. Alles wird auf die eine oder
andere Art erklärt, auch wenn man beim ersten Mal vielleicht nicht alles
mitkriegt. Ich weiß, er ist eine Herausforderung. Wem alles ein bisschen
zu schnell ging, den bitte ich, dem Film eine zweite Chance zu geben. "Vanilla
Sky" gehört keinem bestimmten Genre an, aber für mich ist es eine
Love-Story. Die Leute sollen, wenn sie aus dem Kino kommen, über den
Film reden wollen. Sie sollen sich fragen: "Wann hat die Realität
aufgehört und der Traum angefangen?"
Frage: "Vanilla Sky" ist ein Remake des spanischen Films "Abre Los
Ojos" von Alejandro Amenábar, der auch "The Others" inszenierte. Es
ist für Sie sehr ungewöhnlich, auf fremdes Material
zurückzugreifen...
Crowe: Das Original ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Zudem war
Alejandros Film äußerst modern, und nach
"Almost Famous" wollte ich etwas
besonders zeitgemäßes machen. Zu diesem Film konnte ich einfach
nicht Nein sagen.
Frage: Von "Almost Famous"
gibt es jetzt einen Director's Cut auf DVD. Waren Sie mit der Kinofassung
nicht zufrieden?
Crowe: Man fragt mich oft, ob das schwache Einspielergebnis des Films
eine Enttäuschung für mich war. Meiner Erfahrung nach freunden
sich die Leute manchmal jedoch erst nach einer gewissen Zeit mit meinen Filmen
an - Beispiels dafür sind "Teen Lover" und "Ich glaub' ich steh im Wald".
Auch "Almost Famous" wurde von vielen Menschen erst später entdeckt.
Immerhin wurde ich für den Film mit dem Drehbuch-Oscar ausgezeichnet,
also wäre ich ein Narr, enttäuscht zu sein. Auf der DVD konnten
wir mehr Material unterbringen, das mir besonders am Herzen lag: ein paar
Szenen von Billy Crudup und Jason Lee und mehr Konzertsequenzen.
Frage: Zurück zu Ihrem neuen Film: Was würden Sie machen,
wenn Sie heute erfahren würden, dass die letzten zehn Jahre Ihres Lebens
nur ein Traum waren: Weiterträumen oder in die Realität
zurückkehren?
Crowe: Es würde mir garantiert das Herz brechen, aber ich würde
mich für das reale Leben entscheiden.
Frage: Würden Sie sich einfrieren lassen, so wie Tom Cruise alias
David in Ihrem Film?
Crowe: Wenn man dabei seine Seele nicht verliert, ja. Aber das ist
ja genau die Frage: Wie viel von meiner Seele und meiner geistigen Reifung
geht dabei verloren? Schließlich bin ich irgendwie mit den Menschen
in meiner Welt verbunden. Aber aus der Sichtweise der Popkultur ist der Gedanke
faszinierend, sein Leben aus beliebigen Bausteinen zusammensetzen zu
können.
Frage: Während der Dreharbeiten wurde aus "Vanilla Sky" ein
großes Geheimnis gemacht - dabei unterscheidet sich der Film gar nicht
so sehr vom Original.
Crowe: Richtig. Unser Film sollte nicht völlig anders, aber auch
nicht werktreu sein. Wir wollten einen Dialog zwischen den beiden Filmen
herstellen. Buchstäblich ist uns das gelungen, als Alejandro ihn zum
ersten Mal gesehen hatte. Anschließend konnten wir uns darüber
unterhalten, warum wir bestimmte Dinge jeweils so und nicht anders gemacht
haben.
Frage: In Deutschland kommen beide Filme zeitgleich in die
Kinos.
Crowe: Es war immer mein Traum, dass sich die Leute beide Filme ansehen
und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen können.
Frage: Welche persönlichen Dinge sind in "Vanilla Sky"
eingeflossen?
Crowe: Ich fand das Thema Gelegenheitssex interessant. Mir gefällt
vor allem die Szene, in der Cameron Diaz und Tom Cruise im Auto sitzen -
und wir sie wie eine Fliege an der Wand belauschen können. Dabei kriegen
wir Dinge mit, die wir vielleicht besser nicht hören sollten. Das zu
schreiben, war eine ziemlich persönliche Sache. Außerdem
beschäftigen mich grundsätzliche Fragen nach dem Leben: Ich wollte,
dass der Film die Zuschauer auf positive Weise aufrüttelt. Ray Bradbury
ist einer meiner Lieblingsautoren. Das Feeling von "Vanilla Sky" sollte an
ihn erinnern.
Frage: Apropos Ray Bradbury: "Vanilla Sky" ist auch ein
Science-Fiction-Film, wird in den USA jedoch als Thriller angepriesen. Haben
Sie die Kontrolle über das Marketing?
Crowe: Nicht wirklich. Ich war andererseits aber auch noch nie in
einem Raum, wo jemand gesagt hätte: "Hey, ich weiß genau, wie
ich deinen Film vermarkten muss." Das funktioniert schon eher andersrum.
Paramount glaubt an den Film und versucht immer noch herauszufinden, wie
sie ihn kommunizieren sollen. Es ist eben ein komplexer Film.
Frage: Im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen haben Sie das World Trade
Center im Film belassen und nicht weg retuschiert.
Crowe: Nach dem schrecklichen Ereignis stellte sich natürlich
auch uns die Frage: herausnehmen oder drin lassen? Andere Filme haben das
Gebäude weggemacht. Mein Gefühl war, dass man als Zuschauer erst
recht danach sucht, wenn man es nicht mehr auf der Leinwand findet. Warum
es also nicht einfach dort belassen, wo es vor einem Jahr, als wir die Szenen
gedreht haben, gestanden hat? Außerdem befindet sich das Gebäude
ja in Davids Kopf. Es ist seine Vorstellung von der Zukunft.
Frage: Was ist Ihr Lieblingstraum?
Crowe: Dass ich meine Schreibblockade überwinde. (lacht) Ich
hatte ihn erst wieder letzte Nacht.
Interview: P. Fischer/A. Feldmann/R. Pfirstinger
copyright Rico Pfirstinger 2002
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