Filmfest Lünen 2002

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 Filmfest Lünen
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Das Zeitalter der Bewegungsfreiheit

Das 13. Kinofest Lünen blieb auch nach dem Umzug ins Multiplex Cineworld ein herzlich unkompliziertes Erlebnis
Bericht von Christoph Elles

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Die klaustrophobischen Anfälle bleiben aus. Der Sauerstoffanteil der Luft liegt deutlich über zwei Prozent. Und man kann sogar in seine Tasche greifen, ohne mindestens drei Umstehende zu verletzen. Das alles ist neu beim Kinofest Lünen. Das jährliche Festival für deutsche Filme ist umgezogen vom engen, stickigen, überaus charmanten Schachtelkino Lichtburg ins neu gebaute Multiplex Cineworld.

Hier lächeln Kartenabreißer und Popcornverkäuferinnen wie überall, es herrscht Corporate Identity und ein Hauch von Neonlicht. Wer aufgrund dessen gleich den Untergang der Kinokultur ausruft, kann nur unheilbarer Romantiker sein oder nicht ganz bei Trost. Denn in Lünen beginnt mit dem 13. Kinofest neben dem Zeitalter der Bewegungsfreiheit auch jenes der guten Bild- und Tonqualität sowie der bequemen Kinosessel. Das hat viel für sich, Lichtburg hin oder her.

Atmosphäre, sagt Mitorganisatorin Ute Teigler gleich zur Eröffnung, hänge ohnehin nicht von Räumen ab, sondern von Menschen. Und was die betrifft, bleibt das Kinofest Lünen wirklich einzigartig herzlich, kommunikativ und unkompliziert. Wo trifft man sonst Nicolette Krebitz um zwei Uhr nachts im Stadtbad zum Spontan-Interview? Übrigens im Anschluss an die traditionelle Schwimmstaffel, zu der jeder prominente und nicht-prominente Teilnehmer das berühmte Kinofest-Handtuch geschenkt bekommt. Man stelle sich ähnliches mal bei der Berlinale vor. Lustig, oder?

Nicolette Krebitz schwimmt übrigens nicht mit, doch ihr Regiedebüt „Jeans“ gewinnt den Filmpreis der Stadt Lünen. Man gönnt der sympathischen Schauspielerin den Erfolg, zumal sie ihre Vision eines „echten“ deutschen Films mit viel Leidenschaft und Intelligenz vertritt. Statt verquaste Drehbuchzeilen aufzusagen, improvisieren die Schauspieler in „Jeans“ ihre Dialoge, einer hauchdünnen Plotlinie folgend, die von der Suche nach Liebe, Wärme und Sex handelt. „Ich will die Menschen zeigen, wie sie sind“, sagt Krebitz im Interview. „Man sieht sonst immer nur, wie sie sein wollen.“

Der Versuch ist aller Ehren wert, zumal gerade in deutschen Filmen oft die Drehbuchseiten lauter knistern als das Popcorn im Saal. Doch das Experiment „Jeans“ scheitert auf ganzer Linie, der Film wirkt wie eine Aneinanderreihung von Improvisationsübungen. Die Menschen, wie sie sind, sieht man selten, dafür Marc Hosemann, Oscar Melzer, Jana Pallaske, Benno Fürmann und andere bei eitlen Posen und gezwungenen Spielchen eigens für die Kamera. Krebitz findet manchmal starke Bilder, aber die verhüllen kaum die inhaltliche Einöde. „Kartoffelschälen ist interessanter“, meint während des Films ein Zuschauer, und das trifft die Sache ganz gut.

Auf der Suche nach dem Echten, Teil 1: Kinowelten und schwäbische Dörfer

Andere Beiträge des Festivals sind erfolgreicher auf der Suche nach dem „Echten“, zum Beispiel die zwei Dokumentarfilme im Wettbewerb. Der eine, Douglas Wolfspergers „Bellaria - So lange wir leben“ (der hinter „Jeans“ in der Publikumsgunst auf Platz zwei landete), begleitet eine kleine Schar Wiener Senioren, die Tag für Tag ein altes Kino besuchen, in dem nur Heile-Welt-Filme aus der Blütezeit der Ufa zu sehen sind. Der andere, Konstantin Faigles „Out of Edeka“, spielt in und mit der vermeintlich heilen Welt eines kleinen Gemischtwarenladens in der schwäbischen Provinz.

Das Geschäft gehörte Faigles Eltern, er ist dort groß geworden und kehrt mit der Kamera zurück, um den langsamen Tod des kleinen Ladens zu dokumentieren. Ein bisschen wehmütig klingt Faigles Stimme aus dem Off, während die Kamera die Lebensmittelregale erforscht und in Räume vordringt, in denen alte Kleidungsstücke und Karnevalsutensilien lagern, die in ihrer Scheußlichkeit gegen heute geltendes Menschenrecht verstoßen. Mit jeder dieser skurrilen Szenen, jeder Kamerafahrt, jedem schnoddrig dahingeschwäbelten Satz lehrt Faigle, der den Laden liebt, uns, den Laden zu lieben.

Und als wir das gerade fröhlich tun wollen und sich gleichzeitig die kritische Stimme im Kopf fragt, ob hier nicht jemand seine Kindheit verklärt, packt Faigle den Hammer aus. Wir erfahren von den dunklen Seiten des Ladenlebens, als der Vater zu viel trank und die Mutter schlug, als Sohn Konstantin dem Druck der Eltern nicht mehr gewachsen war und einige Wochen in der Psychiatrie verbrachte. Wir erfahren von Grausamkeit und Dummheit in Faigles schwäbischem Nest, das jedes Dorf Deutschlands sein könnte.

Faigle, der mit diesem Film unerhört viel von sich selbst und seiner Familie preisgibt, erzählt zwar vom Leben im Laden, doch er hat immer die Welt im Blick. Der Edeka-Pressesprecher, der umständlich erklärt, warum kleine Kaschemmen sich für die große Marktkette nicht mehr rentieren, berichtet, ohne es zu wollen, von einem großen Verlust: Die Identität der Gesellschaft und ihrer Individuen verliert sich in endlosen Supermarkt-Gängen, wird auf komplizierten Selbstbedienungswaagen für zu leicht befunden.

„Out of Edeka“, wohl einer der skurrilsten Filme der letzten Jahre, macht wütend und traurig, paart Verachtung mit Respekt, Trübsal mit Hoffnung, und ist immer wieder brüllend komisch. Vor allem, wenn Faigle, alle Regeln des Dokumentarfilms missachtend, seltsame Eingebungen und Tagträume zu Bildern werden lässt. Er steht als Torero im Feld und singt ein spanisches Volkslied oder fährt als Riesenbaby durch den Laden. Wenn alle Zuschauer diesen schrägen Humor teilten, wäre „Out of Edeka“ vielleicht Festivalsieger. Und ein würdiger allemal.

Hier geht's weiter:

Auf der Suche nach dem Echten, Teil 2: Boxer, Hacker, Killer

 

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