Filmkritik Michael Moore: Fahrenheit 9/11 (USA 2004)

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Michael Moore: Fahrenheit 9/11 (USA 2004)

 

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Michael Moore: Fahrenheit 9/11 (USA 2004)
Kritik v
on Thomas Groh

 

Der erste Eindruck beim Sehen: Langeweile. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, dass Moore doch vor allem dafür bekannt ist, "unterhaltsame Film" zu drehen, die dem Zuschauer zudem noch was mit auf den Weg geben. Doch Fahrenheit 9/11, längst zum Skandalfilm mit investigativen Tendenzen stilisiert, entwickelt nicht etwa die allerorts attestierte "neue Ernsthaftigkeit", mit der Moore sein Sujet - in diesem Falle ausschließlich: George W. Bush - aufarbeitet, nein, er verwechselt ernste Miene und seriöse Recherche schlicht mit: Langeweile. Mit einigen Spitzen ins eher debil Humoristische, zugegeben, doch bleibt von der schier nicht enden wollenden Flut an verpixelten Internet-Streams, aufgezoomten Dokumenten, die so authentisch wie falsch sein könnten, Interviewfetzen mit Menschen, die sonst wer sein, die sonst was, im Kontext des ganzen Gesprächs betrachtet, gesagt haben könnten, in der ungeheuren Menge an Verschwörungstheoriepartikeln, die Moore in den Raum pustet, nie aber konsequent auflöst oder gar sinnstiftend zum Bild verwebt, letzten Endes nur ein bleiernes Filmerlebnis in Erinnerung, das zum einen den zwar ebenfalls abenteuerlich argumentierenden, doch zumindest schelmisch-unterhaltsamen Moore aus Bowling for Columbine zurückwünschen, zum anderen ernsthafte Zweifel an dem ganzen Medienzirkus rund um Fahrenheit aufkommen lässt. Dude, where's the beef in all of this?

Moore gehr nicht mehr ganz so manipulativ vor, heißt es. Der Dampfhammer sei der Argumentationslinie gewichen. Ganz im Gegenteil. Einnehmend, einschmeichelnd bietet er seine Thesen dar, evoziert mit leichter Hand Empörung, übergeht aber geflissentlich die Punkte, an denen skeptische Nachfrage nur stören würde. Bestes Beispiel: Die zum Skandalon aufgebauschten legendären "7 Minuten" des 11. Septembers, die Bush weiter im Klassenzimmer einer Grundschule verbrachte, wiewohl ihm sein Berater schon geflüstert hatte, was in New York gerade vonstatten ging. Die Uhrzeit wird eingeblendet, Bushs Gesicht im Zoom, versteinerte Unsicherheit füllt das Bild, Häme und Spott auf der Tonspur, von Moore im sicheren Tonstudio und mit einiger zeitlicher Distanz zum 11.September eingesprochen. Was sich Bush jetzt wohl denke. Ob er wohl häufiger zur Arbeit hätte gehen sollen. Ob er die Terrorwarnungen hätte ernst nehmen sollen. Und warum macht er nichts, warum bleibt er da sitzen. Fast fällt man drauf rein und will "Haderlump" schreien, ist bereit, Bush des Hochverrats zu bezichtigen. Prangermethoden! Was hätte Bush tun sollen? Aus dem Klassenzimmer stürmen - und dann? Irgendwas in das nächstbeste Mikro blöken? Irgendwem den Krieg erklären? Umgehend ab nach New York, quer durchs ganze Land, vor dem WTC Menschen auffangen? Wem wäre damit gedient? Bush macht, was sinnvoll ist, was einem plumpen, zur Hysterie neigenden Propagandisten indes nicht einleuchten kann: Er wartet weitere Informationen ab, der Tatsache sich wohl bewusst, dass aufgeschrecktes Herumeiern niemandem nützt. Eine Szene, in der man Hass zu entwickeln in der Lage ist. Nicht Hass auf Bush, Hass auf Moore, dass er einen nötigt, einen Holzkopf wie Bush gegen ihn zu verteidigen.

So geht der Film weiter: Argumentationen, die zunächst einleuchtend scheinen, bei genauem Hinsehen aber, selbst aufgrund der oft scheinbar erdrückenden Faktenlage, nie so skandalös sind, wie Moore sie uns verkaufen will. Argumentationen, die vielleicht heutzutage und mit kritischer Distanz Sinn ergeben, aber damals - wir sprechen hier hauptsächlich von den Tagen unmittelbar nach dem 11. September -, in diesem Chaos, schlicht nicht Gültigkeit besessen haben müssen. Argumentationen, die immer dann zugunsten der nächsten verlassen werden, wenn der Zuschauer beginnen könnte, sich Fragen zu stellen. Argumentationen, die letzten Endes so verpixelt sind, wie das meiste an footage, das in einer Ästhetik präsentiert wird, die zuvorderst vom eigenen Ursprung und dem der meisten Thesen des Films kündet: dem Internet. Moore wird nicht müde, eine Verschwörungstheorie nach der nächsten aus dem Zylinder zu ziehen, die das Web mit seinen weitverzweigten, nicht selten spinnerten Diskussionsforen zum Thema zu bieten hat. Alles schon mal irgendwo aufgeschnappt, alles irgendwie egal.

Das schmerzt vor allem deshalb, weil einiges mal auf den Tisch zu bringen wichtig wäre. Die Umstände der vermutlich wirklich ergaunerten Präsidentschaft beispielweise, deren Rekapitulation den Beginn des Films und leider auch schon dessen Höhepunkt bildet, hinter dem das dürre Tal der Lethargie droht. Doch statt Analyse bloße Anfeindungen: Fox habe als erstes, trotz anderslautender Meldungen anderer Sender zuvor, Bushs Sieg in Florida und somit dessen föderalen Wahlsieg verkündet - alle Sender seien diesem Beispiel dann im Minutentakt gefolgt. Und dort bei Fox hocke Bushs Halbbruder am zentralen Posten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Dass sich Wahlprognosen ändern können, davon hat Moore offenbar noch nichts gehört. Oder aber er hofft darauf, dass diese Frage dem Zuschauer nicht kommt, wenn er ihm als nächstes um die Ohren haut, dass Schwarze bei der Wahl - wie, das bleibt Moore als Antwort schuldig - benachteiligt gewesen seien. Das zieht immer! Selbstverständlich aber auch kein Wort darüber, dass vielleicht sogar die - im Sinne des Films und seiner Argument, nicht unbedingt im Sinne Moores - vollkommen sinnlose, strategisch hirnverbrannte Kandidatur Naders das Zünglein an der Waage bildete und die Wahl zugunsten Bush entschied. Der Name Nader fällt kein einziges Mal während des Films. Moore hatte Nader im Wahlkampf unterstützt.

Des weiteren ödet Moore mit wahren Frechheiten sein Publikum an. Bushs Rede an die Nation zu Beginn des Golfkriegs unterlegt er mit Bildern aus einem Irak, in dem Hochzeiten gefeiert, Ballspiele von lachenden Kindern gespielt und überall an jeder Ecke in Cafés gesessen wird. Man möchte Saddam Hussein fast schon in die Arme nehmen, so sehr ist Moore darum bemüht, ihn als knuddeligen Onkel und sein Land als vielleicht etwas zu heiß temperiertes, ansonsten aber lässigstes der Welt zu zeichnen. Kein Wort von der finanziellen Unterstützung von Selbstmordattentätern in Israel. Kein Wort von den Hunderttausenden von Menschen, die Hussein verschleppt und getötet hat. Kein Wort vom Genozid an der kurdischen Bevölkerung im Norden des Landes. Kein Wort von Scudraketen auf Israel. Moore verkennt Realitäten mit System und kann nur hoffen, ein Publikum zu finden, dass ihm diese krausen Propagandabrocken dankbar abnimmt.

Auch seine Strategie der Individualisierung findet wieder Anwendung. Immerhin gut eine Handvoll Menschen hat er auftun können, die ihm bereitwillig die Tränen und Zusammenbrüche liefern, die er braucht, um sich der unanfechtbaren guten Seite sicher zu sein. Soldatenmütter, rüstige liberale Seniorinnen, Überlebende des 11. Septembers, Friedensgruppen im Rentenalter - alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird gnadenlos beim Rotz-und-Wasser-Vergießen abgefilmt. Reinste Exploitation, Degradierung von Gefühlen zur Meterware. Ein Unmensch, wer hier noch Argumente ins Feld führen will.

Der Film endet pathetisch. Mit George Orwell und einer Paraphrase aufdessen 1984. Ein Loblied auf die Truppen, auf die Jungs im Irak. Ob sie uns noch vertrauen könnten, diese Söhne unseres Landes. Beinahe hört man Rambos Schlusswort aus seinem zweiten Film, als er sich zum Rächer aller Veteranen aufschwingt. Wie auch schon bei seinem zumindest tendenziell rassistischen Bild von den Saudis, überholt Moore Bush hier mit wehenden Fahnen auf der rechten Spur. Das immerhin hat er mit seinen nur vermeintlich linken Anhängern hierzulande, die seine Filme für ganz eigene Zwecke verwerten, gemein.

Ein wahres Trauerspiel, einen solchen Film hat ein Mann wie Bush nicht verdient.

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