Die Illusion gehört zum Liebesfilm wie das Abblenden nach
dem Happy End. Was anschließend geschieht, fällt in ein anderes
Genre. Vor sieben Jahren setzte ein Kollektiv von dänischen Regisseuren
der Traumwelt mit ihrem falschen Pathos und ihrer Oberflächlichkeit
etwas entgegen. Die im Dogma-Manifest von 1995 geforderte Reduzierung der
Technik machte nicht nur die Handkamera, sondern auch Kritik am Blendwerk
bürgerlichen Glücks salonfähig.
Der Dogma-Film Kira von Regisseur Ole Christian Madsen
steht radikalen Produktionen wie Das Fest und Idioten
näher als dem unbeschwerten Italienisch für Anfänger
oder dem ironischen Mifune. Der Film blickt hinter die spiegelglatte
Fassade eines gut situierten Paares. Der Ehemann Mads hat alles unter Kontrolle:
seinen Beruf, seine Kinder, seine Affäre. Aber mit seiner Frau Kira
stimmt etwas nicht. Nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie kommt sie nach
Hause zurück. Ob Mama normal sei, wollen die Kinder wissen, oder ob
sie sich peinlich verhalten werde. Alles wird gut, verspricht der Vater.
Aber Kira funktioniert nicht wie erwartet. Immer wieder fällt sie wegen
ihres sprunghaften Verhaltens auf. Sie belästigt die Nachbarn mit lauter
Musik, verstört ihre Kinder mit ihren Eskapaden und überfordert
ihren Mann mit unstetem Verhalten.
Die Kamera bleibt dicht an den Gesichtern. Sie zeichnet die Anspannung
in Kira, die Verzweiflung von Mads, die irritierten Blicke der Menschen auf.
Der dänische Regisseur bedient sich des technischen Minimalismus, um
mit zwei in ihren Rollen aufgehenden Darstellern (Stine Stengade als
manisch-depressive Kira und Lars Mikkelsen als überforderter Mads) die
Szenen einer Ehe als intimes Kammerspiel aufzuführen. Der disziplinierende
Rahmen der im Dogma-Manifest formulierten Regeln legt sich wie eine Schablone
über die Handlung, aus der Überflüssiges ausgestanzt
wird.
Kira gibt keine Antwort auf die Frage, warum Frauen
verrückt werden. Emotionale Unbeständigkeit und Depressionen sind
Phänomene, denen Ärzte mit der Verschreibung von Beruhigungsmitteln
begegnen. Den Ursachen seelischer Leiden nähert man sich nicht im Beharren
auf Anpassung. Mads scheitert an der Erwartung, dass Kira nach ihrer Behandlung
in der Psychiatrie so sein wird wie vorher. Eine Perspektive für die
Beziehung ergibt sich, als er seine Position auf dem schmalen Grat zwischen
Normalität und Wahnsinn neu definiert.
Als Liebesgeschichte schürt dieser Film keine Illusionen. Aber
er gibt dem Paar die Hoffnung, dass der schmerzhafte Abschied vom Wunsch
nach ewigem Glück und die Trauer über diesen Verlust ein Anfang
sein können.
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