Dänische Version der heiligen Familie
Blut ist dicker als Wasser. Das fragile Beziehungsnetz in einer
dänischen Familie zerreißt abrupt durch den Tod der Mutter. Um
Kleine Missgeschicke, wie der Titel des Films ironisch suggeriert,
handelt es sich dabei in Folge weniger.
Nicht mehr ganz taufrisch aus dem diesjährigen Wettbewerbsprogramm
der Berlinale erreicht uns das Kinodebüt der 1965 geborenen dänischen
Regisseurin Annette K. Olesen. Ein weiterer Film zum Thema Familienwerte
aus der skandinavischen Bilderschmiede. Produziert von Ib Tardini, der mit
Italienisch für Anfänger von Lone Scherfig bei den
Filmfestspielen in Berlin im Jahr 2000 im Wettbewerb war. Als Produktionsfirma
von Kleine Missgeschicke firmiert Zentropa, Anfang der 90er-Jahre
unter anderem von Regisseur Lars von Trier, dem Übervater der
Dogma-JüngerInnen, gegründet.
Von den organisatorischen (Filmfamilien-) Banden zu den Blutsverwandten
im Kopenhagen der Gegenwart: Der Unfalltod von Mutter Maria bringt die heile
Welt der jüngsten Tochter Marianne aus dem Lot. Obwohl die 29-Jährige
ihr eigenes Leben lebt, verbringt sie in Ermangelung sozialer Kontakte ihre
freie Zeit mit den Eltern. Erschüttert durch den Verlust der Mutter,
klammert sie sich zunehmend an den Vater. John, nach über 40-jähriger
Ehe an ein Leben zu zweit gewöhnt, genießt die vertraute Nähe
der jüngsten Tochter. Auf der Beerdigung von Maria treffen sich nach
langer Zeit alle wieder: die älteren Geschwister Eva, schwarzes Schaf
der Familie, und Tom, ein gestresster Geschäftsmann, sowie Johns Bruder
Søren, der kurze Zeit später erfährt, dass seine Frau fremdgeht.
Der Familiensegen hängt allerorten schief, und da fehlt es noch, dass
die überkandidelte Eva den Vater verdächtigt, Nesthäkchen
Marianne mehr Zuneigung entgegenzubringen als angebracht ist.
Annette Olesen meidet den Schnickschnack á la Dogma - wackelnde
Digitalkamera, grobkörnige Bilder, krassen Realismus. Sie dreht
konventionell im faden Ambiente der Großstadt, die man als solche nicht
identifiziert, und stützt sich auf Darsteller, die nach der vom britischen
Regisseur Mike Leigh entwickelten Improvisationsmethode Drehbuch und Schauspiel
gemeinsam mit ihr und den Autoren erarbeiteten. Durch die intensive
Auseinandersetzung mit Charakteren und Dialogen erreicht das Team eine
Authentizität im Spiel, die den Zuschauer zum Sympathisanten macht und
dem Film einen quasi dokumentarischen Stil gibt.
Statt die heilige Familie hoch leben zu lassen, sabotiert Kleine
Missgeschicke idealisierte Vorstellungen von der Keimzelle des Staates.
Seine Familie kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Aber Filme, in denen
ihre Unverträglichkeiten und Entgleisungen ohne Schmusekurs humorvoll
seziert werden, zum Glück schon.
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