Scherpunkt Asien: Ashutosh Gowariker: Lagaan (Indien 2001)

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Lagaan

Regie: Ashutosh Gowariker

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Ashutosh Gowariker: Lagaan - Once Upon a Time In India (Indien 2001)
Kritik von Ekkehard Knörer

[Image]
zum Indien-Schwerpunkt

Lagaan ist der erste Bollywood-Film, der es regulär in die amerikanischen und deutschen Kinos schafft, wenn auch, in Deutschland, vorläufig mit Ach und Krach und nur einer Kopie. Die Oscar-Nominierung mag geholfen haben, vor allem aber gibt es einen guten Grund zur Hoffnung, dass der Film als Türöffner auf den westlichen Markt funktionieren könnte: er ist ein atemberaubendes Meisterwerk, nicht nur nach den Maßstäben Bollywoods, sondern auch und gerade nach denen des internationalen Unterhaltungskinos.

Erzählt wird eine im Grunde simple Geschichte. Sie spielt im Indien des Jahres 1893, die Bauern des Dorfes Champaner leiden unter den unbarmherzigen Steuerforderungen (in Naturalien, also ein Zehnt: das bezeichnet das Wort lagaan) der britischen Kolonialmacht. Deren Vertreter Captain Russel, mit einem Hang zum Wohlleben wie zum Sadismus, demütigt erst den einheimischen Anführer, mit ihm die Bauern, deren lagaan nach einem Jahr der Dürre noch einmal angehoben werden soll. Zum Anführer des Widerstands gegen diese Forderung wird Bhuvan (Superstar Aamir Khan), der eine absurde Wette Russels akzeptiert: gewinnt das indische Auswahlteam im Cricket gegen die Engländer, wird der Zehnt auf Jahre hinaus erlassen. Bei einer Niederlage aber soll er verdreifacht werden.

LagaanIm eigenen, aber besetzten Land also sollen die Dorfbewohner das Spiel der Besatzer spielen, noch die einzig mögliche Form des Widerstands wird ihnen von der sich selbstverständlich unverwundbar dünkenden Kolonialmacht aufgezwunden. Nicht nur deshalb hat Bhuvan im Dorf gegen alle erdenklichen Widerstände zu kämpfen, aber nach und nach bringt er auch die widerspenstigsten Charaktere auf seine Seite. Das funktioniert nach dem bewährten Muster der Helden-Aventiure, von den Rittern der Tafelrunde über den Zauberer von Oz bis zu den Sieben Samurai: Individuen mit jeweiligen Stärken und Schwächen werden zum Team, zur Gemeinschaft geformt und verschworen. Die Figuren werden dabei nicht psychologisierend, sondern typisierend individualisiert, genau über die Mischung aus Schwäche und Stärke oder gar die Erkenntnis, dass die scheinbare Schwäche die wahre Stärke ist.

So klug wie schlicht verhandelt Lagaan hier die Fragen, die sich aller politische Widerstand zu stellen hat: vor allem die nach den Ein- und Ausschlussmechanismen, die die eigene Identität regulieren. Das indische Cricket-Team ist die utopische Gemeinschaft, nach der es klingt. Religionszugehörigkeit spielt - im Blick auf das gemeinsame Ziel - so wenig eine Rolle wie das indische Kastensystem. Im pathetischsten Moment des Films gelingt Bhuvan die Integration des Krüppels, des Unberührbaren, er verbindet sie mit einer flammenden Botschaft an Dorfbewohner und Publikum. Selbst der Verräter in den eigenen Reihen erweist sich - nach einem Moment, in dem Lynchjustiz droht - als integrierbar. Bhuvan ist der Lenin der (zugegeben: nicht im Ernst revolutionären) Bewegung, dem zuallererst der Sieg über den Widerstand auf indischer Seite gelingt, Voraussetzung für den erfolgreichen Kampf im Cricket-Spiel.

Lagaan verhandelt all das im Medium der unverschämtesten Form [Image]von Unterhaltungskino, die die Welt je gesehen hat, eben im Bollywoodfilm. Es gibt dabei durchaus Vorbilder, insbesondere das Werk des tamilischen Regisseurs Mani Ratnam, der in den 90er Jahren eine ganze Serie (Roja, Dil Se, Bombay) höchst beeindruckender Polit-Musicals - vielleicht sollte man einfach Politicals sagen - vorgelegt hat. Dabei ist Lagaan an filmischer Raffinesse (nicht an Schauwerten) den Werken Ratnams durchaus unterlegen, die Montage ist - mit einer Ausnahme - wenig aufregend, die Kamera bewegt sich konventionell bis bieder. Das aber ist ohne Bedeutung: Schwung und Spielfreude, ein unerhörtes narratives Geschick, exzellente Darsteller auf der indischen wie der englischen Seite, ja, der perfekte Sinn für die passende Mischung aus Ernst, Pathos, Ironie, Naivität, Sentiment und Humor, die Bollywood im Falle des Gelingens so einzigartig macht, sorgen dafür, dass einen der Film fesselt und bannt, vom Sitz reißt und zu Tränen rührt, das alles abwechselnd und im unvermerkten gleitenden Übergang.

Das Verhältnis von Indien und England wird dabei thematisch in einer Doppelgestalt: einerseits als harter Konflikt, als brutale Demütigung durch die Besatzungsmacht. Hier erfolgt die Auflösung, ganz märchenhaft natürlich, durch das mehr als eine Stunde des ganzen Films einnehmende Cricketspiel. Andererseits als die Geschichte einer Annäherung: Elizabeth, die Schwester von Captain Russell verliebt sich in Bhuvan, schlägt sich auf die Seite der Einheimischen, wird zur Trainerin des Cricket-Teams. Bhuvan findet sich so unversehens wieder im Liebesdreieck zwischen Elizabeth und Gauri, der Dorfschönen, die ihn liebt, deren Liebe er zu ignorieren vorgibt. Es steckt in der Konstellation eine seltsam verdrehte Version des Pocahontas-Motivs, der Liebe also zwischen der sanften Variante des Eroberers und der Einheimischen - hier aber mit vertauschten Geschlechterrollen.

Ausagiert wird das Dreieck in jenem Formprinzip, das Bollywood dem Rest der Welt voraushat: den Tanzszenen. Diese sind im Ernst zu nehmenden Fall, um den es sich hier handelt, keineswegs, wie der erste Blick vermeinen könnte, den selbständigen Schaueinlagen des Hollywood-Musicals unmittelbar verwandt, sondern bei aller Eigenständigkeit der Form (und oft auch des Drehteams) aufs engste verstrickt in die Konstellationen der Geschichte. In mehr oder weniger allegorischer Weise werden die Konflikte ausformuliert, Entwicklungen antizipiert, Möglichkeiten durchgespielt. Der Tanz, die Musik erweisen sich als subtiles und ausgereiftes Vokabular der Darstellung, das, jenseits der ohnehin nicht sehr strengen Verpflichtung auf Realismus, den Film mit einer zusätzlichen Ebene des Möglichkeitssinns ausstattet. Darüber hinaus bereiten diese Szenen, in aller Regel die Höhepunkte jeden Bollywood-Films, in ihren ausgefeilten, gelegentlich aber durchaus komischen Choreografien natürlich eine ungeheure Lust des Zuschauens und Zuhörens.

LagaanIn der gelungensten der Einlagen unternimmt Lagaan die traumhafte Vermischung der Sphären. Im Dreierreigen wechseln Bhuvan, Gauri und Elizabeth den sozialen Ort, Gauri taucht im Palast der Briten auf, Elizabeth im indischen Dorf, Bhuvan stets dazwischen, sinnverwirrend hin- und hergerissen zunächst zwischen den Frauen. Der indische Tanz steht gegen den britischen, jedoch lösen sich die klaren Unterschiede auf, im Trick sind alle drei wie Geisterwesen mal gemeinsam im Bild, verschwinden, erscheinen wieder. In dieser Szene wird der Liebeskonflikt ausbuchstabiert, aber nicht als Melodrama, sondern als raffinierte Montage des Hin und Her, des Wechsels, der - hier, noch nicht im eigentlichen Narrativ - auf der einen Seite arretiert wird.

Ihre Vollendung erfährt diese Einlage in der Musik. Virtuos bedient sich A.R. Rahman - der sein amerikanisches Pendant Hans Zimmer (beide komponieren auf starkem perkussivem Fundament, beide arbeiten geschickt mit Ethno-Einflüssen) bei weitem überragt - des westlichen wie des indischen Musikvokabulars: das Musical steht gegen den indischen Gesangsstil, perfekt spielt Rahman beides gegen- und ineinander. Geschickt arbeitet er mit Leitmotiven, die den Film zusätzlich strukturieren, Politik in Liebe hinübergleiten lassen und wieder zurück. Nicht zuletzt das Cricket-Match in seinen Auf- und Abschwüngen lebt von Rahmans Musik. Und dass es auch den komplett regelunkundigen Betrachter für die unglaubliche Dauer einer guten Stunde zu fesseln versteht, und zwar nach mehr als zwei einhalb Stunden Vorgeschichte, das beweist in nuce noch einmal die Stärke dieses Films.

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