Filmkritik Tony Scott: Man on Fire (USA 2004)

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Tony Scott: Man on Fire (USA 2004)

 

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Tony Scott: Man on Fire (USA 2004)
Kritik v
on Stefan Höltgen

 

Entführung in der/die Medienwelt

"Kidnapping als Gegenstand unternehmerischer Innovation", untersucht der Wirtschaftswissenschaftler Franz Liebl. Seine These: Das Kidnapping besteht aus zwei gegensätzlichen wirtschaftlichen Komponenten: Einer Angst- und einer Lustkomponente. Die Angstkomponente zeigt sich am deutlichsten - nämlich darin, dass aus dem Trauma der Entführung Kapital geschlagen wird. Die Lustkomponente beruht Liebl zufolge vor allem auf dem Faktor des "Micro-Star"-Systems, wonach der Entführte zumindest für eine gewisse Zeit, manchmal aber auch nachhaltig das öffentliche Interesse und die damit verbundene Berühmtheit für sich verbuchen kann.

Was aber, wenn Kidnapping zur Alltäglichkeit wird? Wenn so viele Menschen in einem kurzen Zeitraum entführt werden, dass der (prominente) Einzelfall zum statistischen Element wird? Wenn das "Marketing-Konzept Kidnapping" in die Alltäglichkeit diffundiert und der Entführte nur noch einen geringen Anteil an der Kapitalakkumulation des Entführers bedeutet? Dann steht die Entwertung von Leben als solchem und sogar als Kapitalie bevor. Tony Scott bebildert genau diesen Fall und die beiden von Liebl beschriebenen Komponenten in seinem aktuellen Film, der Neuadaption des Quinell-Romans "Man on Fire".

In Mexiko, so beginnt der Film, ist Kidnapping ein gewaltiges Geschäft. Es wird kontrolliert und organisiert von einer Art Industrie, die eng mit Ganovenkreisen und der Polizei zusammenarbeitet. Dieser Entführungsindustrie gegenüber steht eine Entführungsverhütungsindustrie, die Sicherheitssysteme, ein Informatiosnetzwerk, eine eigene Abteilung des Polizeisystems und natürlich bestens ausgebildete Personenschützer anbietet. Zu letzteren zählt auch Creasy (Denzel Washington), ein ausgebrannter CIA-Agent, der von seinem Freund Rayburn (Christopher Walken) nach Mexiko City gebracht wird, um dort als Bodyguard der kleinen Pita (Dakota Fanning), Tochter eines Großindustriellen, zu arbeiten. Creasy ist zunächst darauf bedacht, emotionalen Abstand zu seinem Auftraggeber zu gewinnen. Nach einer Weile taut er jedoch auf und beginnt eine Freundschaft zu dem kleinen Mädchen, ja, ersetzt schließlich deren dauernd abwesenden Vater. Die Logik des Entführungsthrillers schreibt es vor: Im Moment größter emotionaler Nähe wird Pita auf offener Straße entführt und Creasy beim Versuch ihrer Rettung zusammengeschossen. Er erholt sich nur mühsam von seinen Verwundungen und steht nun auch noch unter Anklage, zwei Polizisten (die bei der Entführung anwesend und beteiligt waren) erschossen zu haben. Creasy, noch verwundet, verlässt das Krankenhaus und sucht die Eltern des Mädchens auf. Die haben mittlerweile eine geplatzte Lösegeldübergabe hinter sich und die Nachricht vom Tod der kleinen Pita erhalten. Creasy schwört, in das System der Entführer einzudringen und den Tod zu rächen - koste es, was es wolle.

Tony Scott hat sich bei seiner "Man on Fire"-Adaption eigentlich nur wenig an den moralischen und juristischen Regeln über Justiz und Selbstjustiz orientiert. Dadurch, dass die mexikanische Polizei und deren korrupte Beamte in den Entführungswirtschaftskreislauf integriert sind, ist er gezwungen, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Zur Seite steht ihm dabei eine der wenigen "ehrlichen" Figuren des Films, die Journalistin Mariana (Rachel Ticotin), die Creasy in die quidproquo-Philosophie einweiht: "Ich bekomme eine Story - du bekommst Insiderinformationen." Im korrupten System ist sie der fleischgewordene Interdiskurs zwischen den Systemen. Creasy arbeitet sich mit ihrer Hilfe bis in die engsten Kreise des Entführerringes vor - was eigentlich eine Kreisbewegung ist, wie der Film pointiert darstellt.

Erstaunlich ist, wie "Man on Fire" seine Diskurse über die Ökonomie von Geld, Liebe, Medien und Rache in Bilder übersetzt: Schon in den ersten Einstellungen wird der Zuschauer mit extremen und scheinbar sinnlosen Close-ups auf "Dinge" konfrontiert. Und während der zweieinhalb Stunden des Films schafft es der Blick immer nur für wenige Momente, sich den Groß- und Detaileinstellungen zu entreißen. Die Dialektik von Liebe (als einem Phänomen der Nähe von Körpern) und Entführung (als dem gegensätzlichen Phänomen der Distanzierung sich liebender Körper) wird so aufs eindringlichste bebildert.

Aber auf welche Weise wird Creasy es schaffen, die Entfernung aufzulösen und die Nähe wieder herzustellen - also den Entführungsfall zunächst symbolisch und dann real zu lösen? Mit Hilfe der Medien. Dauernd fokussiert der Kamerablick Zeitungen, inszeniert Telefongespräche, Faxübertragungen und Radiomitteilungen - zeigt aber vor allem Fernsehbilder: "Das Echtzeit-Bild simuliert räumliche Nähe bei realer Ferne - simuliert Intimität bei realer Öffentlichkeit der Fernseh-Institution - simuliert Öffentlichkeit bei realer Privatheit der Betrachter-Situation." (Götz Großklaus) Die Echtzeitmedien sind Creasys Wegmarken und Leuchtfeuer zu den Entführern. Durch sie ist er schon bei ihnen (oder sie bei ihm), bevor er sie erreicht hat.

In "Man on Fire" funktioniert der mediale Affektübertrag, weil vor der "Entfernung" des geliebten Körpers die reale und nicht nur die mediale Nähe stand. Diese Nähe ist im Stande das Bilanz-System "Your life for her life" in Gang zu setzen. Und hier schafft es der Film durch den Einsatz ausgeklügelter Ästhetiken (vor allem in Mise-en-Scène und Montage) Wut, Trauer und Vergeltungswünsche auf den Zuschauer zu übertragen. Als sich am Ende die Kameralinse endlich von den Details löst und den Zuschauerblick auf eine Landschafts-Totale freigibt, werden auch die aufgestauten Emotionen der Protagonisten und Zuschauer befreit. Tränen der Erleichterung: Die reale Distanz schrumpft zusehends, als Pita auf Creasy zuläuft. Doch der Weg, den der Film bis dahin beschritten hat, zeichnet ihn als Fiktion aus. Weder die Angst- noch die Lust-Komponente aus Liebls Marketing-Theorie haben Bestand: Am System hat sich nichts geändert; Entführungen bleiben ein lukratives Geschäft und dass der "Micro-Star" seinen Ruhm wird auskosten (können), hat der Film schon von Beginn an in Frage gestellt.

Man on Fire (USA 2004)

Regie: Tony Scott

Buch: A.J. Quinnell, Brian Helgeland; Kamera: Paul Cameron; Schnitt: Christian Wagner; Musik: Harry Gregson-Williams

Darsteller: Denzel Washington, Dakota Fanning, Marc Anthony, Radha Mitchell, Christopher Walken u. a.

Länge: 146 Minuten; Verleih: 20th Century Fox

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