Christine Jeffs: Rain  (Neuseeland 2002)

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Christine Jeffs: Rain  (Neuseeland 2002)

 

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Christine Jeffs: Rain  (Neuseeland 2002)
Kritik v
on Ulrike Mattern

 [Image]

Am dunklen Ende der Welt

Kindheit ist erwachsen werden auf Probe. Die Welt, auf die Größe der Familie zusammengeschrumpft, dehnt sich aus. Der Innenraum stülpt sich nach außen. Neue Erfahrungen durchbrechen gewohnte Rituale. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, spielen Eltern mit ihren Kindern auf langen Autofahrten zur Zerstreuung. Über Vermutungen, die mit „warm“ oder „kalt“ quittiert werden, erraten sie den Gegenstand.

Mit einer ähnlichen Liedzeile eröffnet „Rain“, der am 20. Februar startende Film der neuseeländischen Regisseurin Christine Jeffs: „You don’t know what I want/You don’t know what’s going on/You can’t see what I can.“ Zu der melancholischen Frauenstimme, begleitet von langsamen Gitarrenklängen, schwimmt ein Mädchen auf dem Rücken im dunklen Wasser, Beine und Arme weit ausgebreitet. Der Gesang geht in die erste Einblendung von einem Strand über. Die Natur, die Farben, das Licht - alles ist in Braun getaucht. Dieser Landstrich in Neuseeland - dem „grünen Ende der Welt“, wie gewinnend in den Broschüren des Fremdenverkehrsamts geworben wird - versinkt aus der Perspektive der Kamera im Morast. Bei Ebbe staken Segelboote wie hilflose Vögel im Schlamm.

Eine Stimme aus dem Off erzählt von ihrer Familie und dem gemeinsamen Sommerurlaub am Strand. Der dunklen Sand- und Meerlandschaft nähern wir uns aus der Perspektive der 13-jährigen Janey. Sie verbringt mit ihrer Mutter Kate, ihrem Vater Ed und dem fünfjährigen Bruder Jim den Sommer am Strand. Eine Halbinsel mit Hafen. Ein Ferienbungalow am Wasser. Die Mutter sitzt gelangweilt im Sonnenstuhl. Der Vater mäht gleichmütig den Rasen. Sie trinken viel Bourbon mit Eis und Zitrone, flirten auf Partys am Abend und schwimmen mit den Gästen besoffen im Meer. Es wird wenig geredet.

Janey und Jim sind sich selbst überlassen. Räkeln sich in den braunen Korbsesseln auf der Terrasse. Schauen den Eltern zu. Ein Teenager im geblümten Bikini. Ein schmaler Junge mit Sommersprossen. Einmal wirbelt Jim mit einem schwarzen Umhang über den Hügel. Ein kleiner Batman. Selbstvergessen planscht er mit seiner zu großen Taucherbrille im flachen Wasser am Strand. Aufmerksam beobachtet Janey die Erwachsenen. Schiebt sich auf den Partys durchs Gedränge. Gelassen trabt der kleine Bruder hinter der großen Schwester her.

An einem schwülen Sommertag hält sich die Familie auf dem Boot des Fotografen Cady auf. Die Erwachsenen trinken. Die Kinder schwimmen im Meer. Cady fotografiert. Die Familie, die Mutter und viel später die Tochter - allein. „Ich will meine Seele sehen.“ Janey sieht etwas, das sie nicht sehen soll. Die Mutter beginnt beiläufig eine Affäre mit dem Fotografen. Ihre Tochter imitiert sie. Trägt ihr Kleid, küsst den gleichaltrigen Nachbarsjungen, setzt ihre kindlichen Reize bewusst bei Cady ein. Leichthin agiert Janey als Doublette der Mutter, erschreckend durchtrieben in der Sicherheit der Wahl ihrer Waffen.

Janey spielt mit dem spürbaren Unbehagen der Mutter. Vermittelt in Andeutungen, dass sie weiß, was los ist. Kate ignoriert diese Anspielungen. Janey wird direkter. Bittet, nein, fordert den Fotografen auf, Bilder von ihr zu machen. Präsentiert sich im Kleid der Mutter. Die Erwachsenen lassen die Dinge geschehen. Lächeln über das altkluge Kind. Sie polieren den Rahmen, der ihnen aus der Hand gleitet. Das Kind weitet die Welt. Es überschreitet ihre Grenze. Seine kleine Hand streicht über eine beharrte Männerbrust. Danach steht Janey unter der Dusche im Garten. Die Welt schrumpft wieder zusammen. Das Drama bleibt in der Familie.

Das Spielfilmdebüt von Christine Jeffs (ihr erster Kurzfilm „Stroke“ wurde 1994 in Cannes in der Reihe „Un certain regard“ aufgeführt) entstand nach der gleichnamigen Novelle der neuseeländischen Autorin Kirsty Gunn. Die Regisseurin adaptierte den Text (in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Regentage“ im Berliner Taschenbuch Verlag erschienen) für die Leinwand. Anders als in dem schmalen Bändchen der in London lebenden Autorin wird bei Jeffs die 13-jährige Janey zur aktiv handelnden Verführerin.

Auf grobkörnigem 16mm-Filmmaterial gedreht, von der neuseeländischen Filmstiftung mit einem Budget von rund 700 000 Euro finanziert, entfaltet die visuell meisterlich umgesetzte Story einen atmosphärischen Sog, der sich sowohl durch die beiläufige, der tragischen Entwicklung entgegenspielende Filmmusik als auch mittels der unbeteiligten Stimme der Protagonistin aus dem Off verdichtet.

Entgegen des poppigen, manchmal überkandidelten Retro-Looks der in den 70er Jahren angesiedelten Filme wählt Christine Jeffs einen sepiafarbenen Schonbezug wie einen Ölfilm als Grundton, der andere Farben kräftig hervorbringt: den grünen Rasen, den rostigbraunen Rasenmäher, die roten Haare von Jim, die Blumen auf dem Bikini von Janey. Mag dieser Stil auch aus der Begrenzung finanzieller Mittel resultieren, in seiner gedeckten Linie trägt er zur rätselhaften Schönheit des Films bei.

Ein weiterer Glücksfall sind die Schauspieler. Sarah Peirse („Heavenly Creatures“) verkörpert Kate mit einer rastlosen, lasziven Sinnlichkeit, die in der brütenden Hitze des Sommers schweißtreibend wirkt. In ihrer Androgynität erinnert sie an die amerikanische Schauspielerin Sigourney Weaver in „Alien - Resurrection“ oder als Ehefrau in einer ähnlichen Konstellation in „Der Eissturm“.

Die beiden Kontrahenten um die Gunst von Kate - Ed und Cady - werden von Alistair Browning und Marton Csokas gespielt. Beide Darsteller sind mit dem Peter-Jackson-Film „Herr der Ringe“ zur Zeit im Kino. „Rain“ forderte mehr Subtilität von ihnen: Browning nähert sich behutsam seiner Frau, wird von ihr aber in seinem Begehren abgewiesen. Mit dem Eis in der Hand kann er nur die beiden Kinder beglücken. Csokas erotische Anziehung auf Kate und Janey resultiert aus seiner Aura als Fotograf und Abenteurer. Gemischt mit Gedankenlosigkeit ergibt sich ein gefährlicher Cocktail. Die kleine Verführerin wird von der 15-jährigen Alicia Fulford-Wierzbicki gespielt, die als Beste Nachwuchsschauspielerin einen von drei New Zealand Film Awards für „Rain“ erhielt. Geradezu hinreißend: Aaron Murphy als Janeys niedlicher Bruder Jim.

„Cinema of Unease“, Kino der Unruhe, Kino des Unbehagens, nannte der Schauspieler Sam Neill seinen Film über Neuseeland für die Reihe „100 Jahre Filmgeschichte“ vom Britischen Filminstitut. „Wenn das Kino unser Wesen widerspiegelt, dann sind wir eine zutiefst verstörte Nation.“ Nach Ansicht von Sam Neill entwickelt der neuseeländische Film erst seit Ende der 70er-Jahren ein eigenständiges Profil. Die Wahrnehmung der überwältigenden Schönheit des Landes verschiebt sich zu Gunsten einer radikalen Sicht auf soziale Defizite. Ihre Thematisierung verändert parallel den Blick auf die Landschaft. Sie erscheint bedrohlich statt idyllisch. Einsamkeit, Gewalt, Wahnsinn betten sich zwischen grüne Hügeln und moosbedeckte Regenwälder.

In „Rain“ ist das Unbehagen allgegenwärtig. Jeffs beherrscht die spannungsgeladenen Gesten in diesem Summerblues an der neuseeländischen Küste. Gefährlich ruhig, in den akzentuierten Bildern einer düsteren Landschaft, erzählt sie die Chronik eines angekündigten Todes. Wer begehrt, zahlt einen Preis. Das Kind, das erwachsen werden will, dehnt die Welt und das, was sie zusammenhält. In dieser Dehnung zerreißt es den schützenden Raum, der die Familie umgibt. „Ich sehe was, was du nicht siehst.“ Im ahnungslosen Kinderreim liegen Erkenntnis und Erschrecken nahe beieinander.

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