Jump Cut Theaterfilme
__________________
Magazin für Film & Kritik

Impressum

 

 
 
 
 
 

 

 

..
.

Theaterfilme 11: Wanja auf der 42. Straße (Vanya on 42nd Street, Louis Malle, USA 1994)
 
Von Stefanie Diekmann
  
 

 
Wiedersehen mit Wallace Shawn, Wiedersehen mit André Gregory, der am Ende, wenn im Abspann den Gesichtern der Darsteller deren Bühnen- und Eigennamen zugeordnet werden, als „André Gregory - Himself“ figuriert. Er als er selbst: Man könnte das im Rahmen dieses Films, dessen Credits sonst nur Auftritte als Wania, als Sonia, als Yelena, als Astrov, etc. kennen, für eine Ausnahmerolle halten, dabei handelt es sich um eine, die hier fast allen Akteuren aufgegeben ist. Wallace Shawn zum Beispiel spielt Onkel Wania, aber außerdem spielt er Wallace Shawn, der Onkel Wania spielt, oder Wallace, der sich darauf vorbereitet, Wania zu spielen, oder Wallace, der von der ersten Rolle zur zweiten übergeht, besser: die eine und die andere überblendet. In Vanya on 42nd Street verschränken sich verschiedene Performances, und sicher haben die Schauspieler hier mehr vorzustellen als nur die Charaktere aus einem Drama Anton Cechovs.

Was sie vorzustellen haben? Zunächst (und eigentlich bis in das letzte Bild) eine Idee von Unmittelbarkeit, von Nähe, dazu eine gewisse Nonchalance. Man erscheint in Straßenkleidung, man trinkt Kaffee, raucht eine Zigarette, um schließlich ein Gespräch zu beginnen, von dem erst nach ein oder zwei Minuten klar wird, dass es bereits einer anderen Situation angehört, das heißt: Teil des Dramentextes ist, und dass die Akteure die Sphäre des Parergonalen unmerklich verlassen haben. Vanya on 42nd Street ist kein Film der markierten Wechsel oder der plötzlichen Zäsurierungen; statt dessen pflegt man eine Dramaturgie der behutsamen Veränderung, der Verzögerung und der verhaltenen Bewegungen, die nicht darauf angelegt sind, die Abstand zwischen theatraler und außertheatraler Welt präzise zu vermessen.

Überhaupt wäre es schwierig, dem, was Theater heißt, hier eine Grenze zu bezeichnen, erstens, weil man sich nach einer kurzen Eingangssequenz (Schauspieler, die von der Kamera in der Menge aufgegriffen werden) für den Rest des Films in den geschlossenen Raum des Theatersaals begibt; zweitens, weil dieser Raum selbst nicht parzelliert ist und die vertrauten Einteilungen – eine Bühne, auf der agiert wird, ein anderer Ort, der den Zuschauern reserviert ist – in diesem Fall nicht vorhanden sind. Die Decke sei undicht, heißt es, die Bühne unbetretbar, weshalb nun im Zuschauerraum gespielt wird, der in ein kaum ausgeleuchtetes Halbdunkel getaucht bleibt, so dass alles: Abstände, Anordnungen, Demarkationen, Übergänge, nicht anders als undeutlich erscheinen kann. Wo beginnt die Sphäre des Theaters? Wo endet sie? Wie ist sie selbst aufgeteilt? Kein Film über das Theater, der nicht früher oder später mit solchen Fragen zu tun bekäme; bei Malle besteht die Antwort darauf zunächst in der mise-en-scène von Unübersichtlichkeit.

Inmitten der Unübersichtlichkeit errichtet er kleine Inseln: ein Tisch, ein Lehnstuhl, eine Lampe, oder: ein Tisch, eine Bank, ein paar Stühle, ein Stapel Bücher, dazu ausreichend Licht, um die Mienen der Schauspieler studieren zu können, während sie sich in diesen spärlichen Bühnenbildern einrichten, vorsichtig, als wollten sie sie bald wieder verlassen. Am Rande der Inseln, manchmal für einen Moment in den Blick gerückt, die meiste Zeit aber unsichtbar, der Regisseur, die Kostümbildnerin, die beiden Gäste, die zum Zuschauen gekommen sind und nun einer Inszenierung beiwohnen, die dem allgemeinen Publikum zwar noch nicht präsentiert worden ist, aber auch nicht mehr weit von diesem Zeitpunkt entfernt. Was Malle ins Bild setzt, ist nicht die Probe als Prozess, ein Szenario der Unterbrechungen, Wiederholungen, Stockungen, Störungen, etc. – es ist die Probe als Schauspiel der Intimität, absoluter Intimität, wie sie vielleicht unter keinen anderen Bedingungen mehr versprochen werden kann.

Keine Kulissen, aber ein Interieur, kein Illusionismus, aber ein Phantasma von Privatheit, Einblick, etc. – alles, was das Theater der Kammerspiele und Innenansichten von jeher in Aussicht gestellt hat, aber hier noch einmal besser, noch einmal exklusiver, da so wenigen vorbehalten und außerdem, könnte man meinen, für den Blick von außen noch nicht ganz gerüstet. Zwei Dinge machen den Besuch dieser (jeder?) Probe zu einem besonderen Ereignis: zum einen die Fiktion des Privilegiums (Zugang erhalten, sehen, was sonst kaum jemand zu sehen bekommt), zum anderen die Vorstellung, was hier gezeigt wird, befinde sich, wenn nicht im Stadium des Unfertigen, so doch nach wie vor in dem einer gewissen Schutzlosigkeit. Nicht (nicht mehr länger) die Inszenierung im Prozess ihrer Entstehung, sondern die Inszenierung ohne Make-up, ungeschminktes Theater, wenn man so will, und wann hätte man schon Gelegenheit, es in solcher Verfassung in Augenschein zu nehmen.

Natürlich ist das Unfertige hier Ornament. Nichts bekommt dieser Inszenierung besser als der Gestus des Vorläufigen und des Verletzlichen, das nach einer besonders dezenten Annäherung verlangt. Anstatt eine Theateraufführung am Blick der Kamera auszurichten (im Fernsehen kann man sich gelegentlich ansehen, was dabei herauskommt), inszeniert Malle eine Kamera, die zur Betrachtung einer Inszenierung gleichsam vorgelassen wird, die anwesend sein darf, aber nicht stören, nicht interferieren, das Spiel nicht durcheinanderbringen, die Aufmerksamkeit nicht von den Schauspielern abziehen und auf keinen Fall irgend etwas tun, das der mise-en-scène von Cechovs „Onkel Wania“ entgegenarbeiten würde: All das scheinen, implizit oder selbstverständlich, die Konditionen ihrer Anwesenheit zu sein, und man kann sagen, dass sie in Vanya on 42nd Street respektiert werden. Kein Antagonismus hier, auch keine Transgression. Stattdessen etwas wie eine freundschaftliche Expedition, die den filmischen Blick so nah an die Szene heranführt, wie ihr im Theater kein Zuschauer kommt.

 


 

zur Theaterfilm-Startseite

 
 
 
Globe Theatre

 

 

 

.

.