Auf dem Kreuzzug ins Glück. Gespräch mit Regisseur Oskar Roehler zu seinem neuen Film "Agnes und seine Brüder"

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Auf dem Kreuzzug ins Glück

Gespräch mit Regisseur Oskar Roehler zu seinem neuen Film "Agnes und seine Brüder"

 

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Auf dem Kreuzzug ins Glück

Gespräch mit Regisseur Oskar Roehler zu seinem neuen Film "Agnes und seine Brüder"
Von Ulrike Mattern

 
[Image]
 

Ihre Filme haben des Öfteren einen biografischen Hintergrund. Ist das bei ihrem neuen Film auch der Fall?

Ich wollte einen Film machen, von dem ich guten Gewissens behaupten könnte, der hat überhaupt gar nichts mit mir zu tun, sondern zeigt eigentlich nur mehrere Stücke bundesdeutscher Wirklichkeit und wie man sich hier fühlen kann. Dann habe ich plötzlich festgestellt, dass doch eine Menge von mir drin ist. Das ist zwar etwas ausgelagert. Es geht eher um den Vater, der die Wurzel allen Übels ist und mit dem die Leute zum Teil zu kämpfen haben. Aber der ist natürlich einer, der mit der Generation meiner Eltern zu tun hat.

Es ist ein Film, der mit verschiedenen Möglichkeiten spekuliert. Ich wollte eigentlich über Charaktere erzählen, die in unserem Land verwurzelt sind. Aber ich wollte ganz weit weg von der Autobiografie. Ich wollte ein Politikerleben schildern, ein Familienleben und ein Single-Dasein, das ausufert. Dann habe ich mich mit dem Remake-Gedanken eines Fassbinder-Films befasst. Ich wollte ein Mosaik von einer Familie aufzeigen. Aber die Art, wie man diese Leute schildert, hat viel mit einem selber, mit der eigenen Energie zu tun. Erzählen ist eine Sache, mit welcher Energie, mit welcher Temperatur man Leute beschreibt. Und das hat dann natürlich auch wieder mit mir zu tun.

Wie setzt sich das in der Geschichte der drei Brüder um?

Ich habe drei Leute gesehen. Diese Brüder, vor allem Moritz Bleibtreu und Herbert Knaup, wie sie sich in ihren idyllischen Gefängnissen bewegen. Der eine ist Bibliothekar. Der andere hat sich ein Haus gebaut, das wahrscheinlich Unsummen verschlungen hat, aber trotzdem völlig scheußlich und viel zu eng ist. Überhaupt nicht idyllisch, wie er sich das vorstellt. Dann wollte ich gucken, und das war wie eine Versuchanordnung, was passiert mit denen und wie bewegt sich dieses Family life weiter. Wie findet zum Beispiel ein einsamer Spanner, der nach außen Bibliothekar ist, raus aus seinem Privatgefängnis? Welche Möglichkeiten hat so jemand noch? Das ist spannend, wenn du in einem Gefängnis bist, unbeobachtet. Dann versuchst du, ein Loch in die Mauer zu machen. Der Bibliothekar, wenn er schon so geil ist und allen Frauen hinterher giert, macht als Ventil ein Loch in eine Toilettenwand und erleichtert sich, befreit sich auf diese Weise von seinem absoluten Überdruck. Das ist zwar nur ein winziges Loch, und es führt letztendlich zu nichts anderem als zu seinem Rausschmiss. Aber dann ist der Rausschmiss die Initiation. Vielleicht ist das die Art, wie man sich befreien kann, indem man halt rausfliegt aus seinem Job. Du hast als Filmemacher natürlich die Freiheit und auch den Spaß, mit solchen Möglichkeiten zu operieren. Als normaler Mensch guckst du oft über deinen riesigen Gefängniswall, den du dir selber gebaut hast, überhaupt nicht mehr raus. Du kauerst davor wie ein hypnotisiertes Kaninchen in der Ecke und kommst nicht mehr raus. Das ist der Zustand in unserem Land. Wir leben im Prinzip in einer völligen Stagnation. Ich habe als Künstler die Möglichkeit, meine Figuren zumindest - wenn schon nicht mich selber, weil ich als Privatperson natürlich genau wie alle anderen von tausend Ängsten und wahrscheinlich Mauern umgeben bin - da raus zu lassen oder ich kann sie durch ein Labyrinth jagen. Das ist der Spaß an der Sache. Deswegen ist es gar nicht autobiografisch, sondern eher das Gegenteil. Etwas, was man als künstlerischen Versuch bezeichnet. Ich lasse gerne Leute Wege des Lebens beschreiten. Würde ich das nicht machen, wäre das nur Autobiografie. Dann wäre es langweilig.

Warum ist Agnes, die titelgebend ist, im Verhältnis zu den anderen Brüdern eher eine Randfigur?

Der Titel verspricht, dass es um Agnes geht. Vielleicht rührt daher die Enttäuschung. Aber ich wollte den Titel nicht ändern. Ich habe festgestellt, das die Geschichte der anderen mehr hergibt. Film ist Drama, ist Konflikt, Auseinandersetzung, und die Agnes-Figur ist im Prinzip harmonisch angelegt. Ich wüsste gar nicht, ob es ihr gut bekommen wäre, so viel mehr von ihr zu zeigen. Die anderen beiden Figuren waren spannender. Es war für mich die viel größere Herausforderung zu zeigen, wie jemand, der so ist wie der Werner, trotzdem noch sympathisch wirkt. Wir zeigen, dass er trotz der ganzen Abhängigkeit, trotz seines Autoritätscharakters, wahnsinnig an seiner Frau hängt, dass er eigentlich seinen Sohn liebt und dass er nicht so ein Arsch ist, wie man am Anfang denkt. Und Moritz Bleibtreu ist eigentlich auch nicht ein Punk und asozialer Voyeur, sondern hat einen ganz starken inneren Gerechtigkeitssinn und ist jemand, der ganz viel Liebe geben kann. Diese Figuren gaben daher viel mehr her. Agnes war eine Figur, die stark davon lebt, was sie irgendwann mal erlebt hat. Die Begegnung mit ihrer alten Liebe war der elementare Punkt in der Agnes-Geschichte und dass sie mit dem Hans-Jörg gut befreundet ist.

Der Figur der Agnes erinnert an Elvira Weishaupt aus dem Fassinder-Film "Ein Jahr mit 13 Monden"…

Von den Grundkoordinaten war das die Geschichte. Aber es ist eine von drei Geschichten. Ich habe übernommen, dass sie diesen schicksalhaften Personen wieder begegnet und daraus Erkenntnisse über ihr Leben gewinnt, über die Zeit, die vergangen ist. Das bekommt etwas Liebevolles, auf der anderen Seite aber auch Tragisches. Das fand ich klasse an der Geschichte. Aber der Fassbinder-Film ist unglaublich lang, düster und spielt in einer ganz anderen Zeit. Das ist, als wenn man in ein Kellergewölbe hineingeht, in eine dunkle, schwarze Vergangenheit der Bundesrepublik. Das wollte ich nicht machen, weil mein Film in der Gegenwart spielt. Das Drama um die große Liebe hat mich interessiert.

Das Berliner Stadtmagazin TIP feiert Sie als den neuen Fassbinder. Mögen Sie diesen Vergleich?

Über so einen Titel freut man sich natürlich total. Das ist klar. Da hat mich mein Magazin, das mich über so viele Jahre betreut hat, für zwei Wochen zum König ihres Hefts gemacht. Da bin ich schon ganz stolz drauf. Aber ich würde andere eher mit Fassbinder in Zusammenhang bringen als mich selbst. Es gibt andere Regisseure wie beispielsweise Castorf, die eher auf einer Fassbinder-Ebene agieren. Er bringt diese Exzentrik, diese Allüren, dieses Star-Theater immer wieder sehr effektvoll auf die Bühne. Ich finde aber, dass es eine ganz große Ehre ist. Man macht das auch, weil ich mich so extrem vorwage, weil ich versuche, die Wirklichkeit auseinander zu brechen, weil ich es nicht bei dieser Diskretion belasse, mit der viele die Wirklichkeit behandeln. Ich haue dieses Land ein bisschen mit dem Eispickel auf. Ich bin auch grob dabei und unberechenbar und treffe vielleicht nicht immer den richtigen Ton, aber ich will keine Contenance wahren.

In vielen Szenen ist der Film sehr drastisch…

Man muss es mögen. Ich weiß, dass die italienischen Zuschauer (bei der Premiere im September auf dem Filmfestival in Venedig, UM) total begeistert waren. Es war eine super Resonanz. Ich weiß aber auch, dass die Deutschen Befindlichkeiten haben. Wenn es jemandem nicht gefällt, das Herbert Knaup in sein Büro scheißt, mein Gott, dann kann ich es nicht ändern. Mir gefällt's. Ich finde es super. Das ist eine Geschmacksfrage. Aber wahrscheinlich finden Leute, die "Werner beinhart" mögen, dass es die beste Stelle im Film ist. Ich finde so drastische Sachen gut. Mein Gott, das hat Shakespeare auch gemacht. Das haben ganz viele Leute gemacht. Ich frag mich, warum da immer eine Zensur ist, dass man alles immer besonders dezent und diskret haben will, das alles immer alles im grünen Bereich sein soll. Ich verstehe das nicht und ich akzeptiere das überhaupt nicht. Ich finde diese deutschen Filme todlangweilig, die darauf verzichten."

Gibt es deutsche Filme, die Ihnen gefallen?

"Muxmäuschenstill" zum Beispiel - die Leute haben den Film geliebt. Wenn man mir das Drehbuch angeboten hätte, hätte ich den auch gemacht. Er war respektlos, er war witzig und über alle Maßen gemein und bitter. Ich glaube, dass die Zeiten von diesen lahmarschigen Filmen, die versuchen, eine Message rüberzubringen, vorbei sind. Sollen sie ihre Filme mit 20 000 Zuschauern machen, die eigentlich jeder todlangweilig findet, nur ein paar Kritiker finden sie gut. Ich gehöre nicht mehr zu der Partei. Davon habe ich mich komplett verabschiedet. Ich will niemandem gefallen. Ich lege Wert auf einen gewissen Unterhaltungswert, den ein Film haben muss, weil ich mir selber diese drögen Streifen seit Jahren nicht mehr reinziehe. Dieses Programm ist für mich komplett erledigt. Ich liebe mittlerweile Bully-Herbig-Filme. Da habe ich mehr davon. Ich kann mich besser amüsieren. Ich ertappe mich dabei, dass ich lieber in "Mädchen, Mädchen 2" gehe als in einen von diesen wahnsinnig tollen, ernsten, spröden deutschen Filmen. Wobei es auch ganz viele deutsche Filme gibt, die ich toll finde. Wenn sie von Menschen handeln wie bei Andreas Dresen oder Leander Haußmann bin ich sofort dabei.

Die Besetzung einiger Schauspieler war überraschend, Katja Riemann zum Beispiel…

Das war auch mein Trotz, weil ich diese Vorurteile gerne ausräumen will. Das spielte bei der Besetzung mit rein. Gerade bei Katja Riemann fand ich es immer schrecklich. Das ist eine deutsche Mentalität: diese Häme, diese Missgunst. Sich über jemanden lustig machen, wenn er plötzlich abstürzt. Jemand, der jahrelang fünf Millionen Zuschauer ins Kino gezogen hat, auch wenn es nur blöde Komödien waren. Egal, die setzen auch ein Timing und schauspielerische Qualität voraus. Und natürlich Charisma. Warum sollten sonst so viele Leute ins Kino gehen?

"Agnes und seine Brüder" wird intensiv vermarktet. Wie ist ihre Erwartungshaltung?

Ich habe schon absolute Flops produziert: "Suck my dick" zum Beispiel, oder "Gierig", mein zweiter Film. Mit allen anderen war ich eigentlich zufrieden. Es ist klar, dass zum Beispiel ein Film wie "Silvester Countdown" keine breite Zuschauerzahl kriegen kann - so ein punkiger, abgedrehter Film, der dann auch noch ganz klein rauskommt. Dafür war alles sehr zufrieden stellend. Bei der "Unberührbaren" und "Der alte Affe Angst" auch. In diesem Fall sind plötzlich andere Dimension da. Der neue Film wird viel kommerzieller gehandelt. Das kostet alles ein Schweinegeld. Die Leute wollen jetzt Zuschauer sehen. Das hat bei mir vorher nie eine Rolle gespielt. Ich bin wahnsinnig gespannt darauf, ob der Film eine Chance beim Publikum hat. Denn das ist die nächste entscheidende Frage für mich: Ob ich es als Regisseur schaffe, Filme fürs Publikum zu machen. Denn das will ich eigentlich.

Sie verfilmen als Nächstes "Elementarteilchen". Was hat Sie an dem Buch von Michel Houellebecq angesprochen?

Dass mir jemand anderer auf so eine perfekte Art komplett aus der Seele gesprochen hat. Dass jemand, der im Prinzip genau die gleiche Biografie hat wie ich, sich hinsetzt und einen philosophischen Roman über das ausgehende 20. Jahrhundert schreibt. Auf eine Art, wie ich es nie hätte machen können. So wie er die Gesellschaft reflektiert, ist das eine einmalige intellektuelle Leistung. Wie er es auf einen Nenner bringt, was gefühlsmäßig mit unserer Gesellschaft passiert ist.

(der Film wird von Bernd Eichinger und Oliver Berben produziert, die Hauptrollen spielen Franka Potente, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu und Christian Ulmen. Gedreht wird ab Ende April/Anfang Mai 2005, UM)

*nur geborgt, von den "Toten Hosen", danke!

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