Schwerpunkt Hongkong: Shaw-Brothers-Filme im Forum der Berlinale

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Shaw-Brothers-Filme im Forum der Berlinale
Von Ekkehard Knörer

 
hier ein ausführlicher Text von -MAERZ- zu Chor Yuen und seinem Film Intimate Confessions of a Chinese Courtesan

Intimate Confessions of a Chinese Courtesan

zur Hongkong-Seite

Die Filmindustrien Asiens hat man im Westen über Jahrzehnte kaum wahrgenommen. Das gilt für die japanischen Studioproduktionen beinahe ebenso wie für Indien und die in Bombay produzierten Bollywood-Dancicals, die in weiten Teilen Asiens seit langem überaus erfolgreich sind - und darüber hinaus eine sehr eigene, von Hollywood beeinflusste und die Einflüsse zugleich ins Indische transformierende Ästhetik entwickelt haben. Die Entdeckung Bollywoods hat, nicht zuletzt der Erfolge wegen, die die Filme bei den in England und den USA lebenden NRIs (non resident Indians) feiern, begonnen. Etwas, aber nicht grundsätzlich anders ist die Lage in Sachen Hongkong. Seit den späten 80er-Jahren haben die Martial-Arts- und Action-Produktionen eines John Woo oder Tsui Hark im Westen eine beträchtliche Fangemeinde - über die Geschichte des Hongkong-Kinos freilich ist auch Kennern bisher wenig bekannt. Dafür gibt es eine einfache, im Grunde kaum zu fassende Ursache. Das größte Studio Hongkongs hat seinen immensen Schatz von vorwiegend in den 60er und 70er Jahren entstandenen, zum Teil legendären Filmen - insgesamt nicht weniger als rund 800 Stück - bis vor kurzem äußerst rigide unter Verschluss gehalten. Es gab keinerlei kommerzielle Auswertung, im Kino nicht und nicht auf Video oder DVD. Man stelle sich vor, schreibt Richard Corliss im Time Magazine, die gesamte Hollywoodproduktion der entsprechenden Zeit, von Bonnie & Clyde bis zum Paten, von 2001 bis zum Weißen Hai, wäre bis vor ein oder zwei Jahren nur noch vom Hörensagen - oder bestenfalls in Form von Bootlegs in miserabler Qualität - bekannt gewesen.

Genau so aber verhielt es sich mit den Produktionen der Shaw Brothers - so der Name dieses Studios, das in Wahrheit ein frühes Medien-Konglomerat gewesen ist, über Jahrzehnte der Besitzer von Kinoketten und Vergnügungsparks mit Standbeinen in Singapur (wo im übrigen seit den 30er Jahren eine Reihe von indischen Regisseuren in Anlehnung an den Bollywood-Stil für die Shaws malayische Filme inszenierten) und eben Hongkong, mit einer ungeheuren Blütezeit in den 60er und 70er Jahren. Mit dem - wiederum: höchst erfolgreichen - Einstieg ins kommerzielle Fernsehen in den späten 70er Jahren begann allerdings der rasche Niedergang der Filmproduktion, die ein Jahrzehnt lang, zwischen 1983 und 1995, gänzlich eingestellt wurde. Zuvor übrigens hatten die Shaws noch einige Ko-Produktionen veranstaltet, unter anderem mit den gleichfalls legendären Hammer-Studios - das berühmteste dieser Projekte ist freilich Ridley Scotts mit Shaw-Geld entstandener Film Blade Runner. Die Wiederaufnahme der Kino-Produktion begann, kaum zu glauben, unter der Ägide des seit den 20er Jahren neben seinem (1985 verstorbenen) Bruder Runme Shaw den Konzern leitenden Sir Run Run Shaw, der sich, mittlerweile 93jährig, im Jahr 2000 nach langem Zögern entschloss, sämtliche von den Shaw-Brothers produzierten Filme für vergleichsweise wenig Geld - nämlich 85 Millionen Dollar - zu veräußern. Der Käufer war ein malayischer Medien-Mogul, rasch wurde eigens eine Firma mit den Namen "Celestial" gegründet, die sich daran gemacht hat, in bester Qualität digital überarbeitete neue Kopien der alten Originale herzustellen, die seit Dezember letzten Jahres auch in rascher Folge als DVDs auf den Markt kommen. In Deutschland sind unter dem Titel "Shaw-Tribute" drei dieser neuen - neben zwei nicht überarbeiteten, aber recht ordentlichen - Filmkopien nun erstmals bei der Berlinale zu sehen: Im Grunde präsentiert das Forum damit eine veritable filmhistorische Sensation.

Das ist keine Übertreibung, denn diese Serie von Shaw-Brothers-Filmen kann auch dazu dienen, die im Westen noch immer vorherrschende Auffassung zurechtzurücken, das kommerzielle Hongkong-Kino bestehe im wesentlichen aus Action-, Martial-Arts- und wuxia-Produktionen auf der einen und mit dem westlichen Humor oftmals nicht sehr kompatiblen Komödien auf der anderen Seite. Tatsächlich haben die frühen Meister des Schwertkampf- und Martial-Art-Kinos - Chang Cheh und King Hu sind als erste zu nennen - die Erfolgsserie des Schwertkampf-Genres mit ihren Shaw-Brothers-Filmen begründet, einer von ihnen, Come Drink With Me von King Hu, ist nun auch in der Tribute-Reihe zu sehen. Daneben aber haben die Shaws Filme der unterschiedlichsten Genres produziert, eine Auswahl stellt die kleine Hommage des Berlinale-Forums vor.

The Kingdom and the Beauty

So ist der älteste der gezeigten Filme, The Kingdom and the Beauty (Regie: Li Hans-hsiang), ein Opernfilm - gespielt wird allerdings keine der streng kodierten Peking-Opern, sondern eine der ursprünglich aus der Provinz stammenden, von simplen Melodien bestimmte huangmei-Opern. Verlegt ist sie fast vollständig in die Filmkulissen einer in den Shaw-Studios nachgebauten fernen Ming-zeitlichen Vergangenheit. In wunderbar satten, aber nie zu bunten Kompositionen strahlen die Farben nach der Restauration von der Leinwand. Die Geschichte ist einfach und in ihrer Struktur oft erzählt (im Grunde hat Jeff Laus jüngste, auch auf der Berlinale gezeigte Komödie "A Chines Odyssey 2002 einen ähnlichen Plot): der junge Kaiser entwischt aus dem Palast, entflieht neugierig in die ihm unbekannte Provinz und verliebt sich in ein Mädchen aus dem Volk. Es kommt, auf sein Drängen, zur Liebesnacht, die Folgen haben wird - dann aber fängt den Kaiser eine Abordnung des Palasts wieder ein. Er muss zurück und wird an eine Adlige verheiratet. Die Frau, die nun sein Kind gebiert (davon weiß er freilich nichts), hat er sehr schnell vergessen, er tröstet sich im Kreise williger Kurtisanen.

Auffällig an diesem von vielen Musiknummern und Auftritten durchzogenen Film ist das Maß, das er einhält. Nichts zu sehen vom Überschwang etwa der Bollywood-Form - gleitend die Übergänge vom gesprochenen zum gesungenen Text, auch narrativ bleiben die musikalischen Einlagen - die als solche deshalb gar nicht erscheinen - in das Gesamt der recht langsam voranschreitenden, auf äußerst angenehme Weise auch musikalisch eher gleichförmig plätschernden als sich überstürzenden Ereignisse eingebunden. Und obgleich das Geschehen vom tändelnd Komödiantischen bald ins Melodramatische, ja, auch nicht umschlägt, sondern gleichfalls eher gleitet, verzichtet der Film auf allen Überschwang der Darstellung. Dazu passt eine weitere doppelte Begrenzung: seltsam gestaucht ist zum einen das von den Shaw-Brothers entwickelte Shawscope-Format, das ansonsten, wie es sich gehört, die ganze Breite der Leinwand nutzt. Auf Begrenzung aus sind, zum anderen, die Szenerien. Ob in den Wandelgängen des kaiserlichen Palasts oder im Innenhof des Wein-Salons, in dem die vom Kaiser verehrte Schöne wohnt; ob in der freien Natur oder auf der Straße des kleinen Dorfes in der Provinz: stets wird der Blick gehegt von Zäunen oder Büschen, Bäumen oder Gattern im mittleren Hintergrund, die sich dem freien Ausblick in den Weg stellen und zugleich die Szenerien zur Kulissen-Bühne formieren. Natürlich ist dies zunächst den Bedingungen des Studio-Drehs geschuldet - das ohnehin nicht allzu üppige Budget steckt vor allem in den liebevollen Kostümen und Bauten, jedoch: diese Geschlossenheit wird rasch zur Form der Darstellung. Es kommt dazu, dass sich Mittel- und Hintergründe noch auf andere Weise durchdringen: der Film ist voller Gemälde, die, der Tradition gemäß, idealisierte Fantasielandschaften zeigen. Die offenkundig gemalten Natur-Hintergründe, die sich hinter den Hegungen der Zäune ahnen lassen, sind ihnen artverwandt - was oftmals beinahe dazu führt, dass die Wände, die das Geschehen umstellen und in sich konzentrieren zu einer einzigen, ineinander übergehenden Wand zusammenzufließen scheinen. Wiederum eine Bewegung des Gleitens und der Begrenzung zugleich.

Hongkong Nocturne

Zum Beweis, dass es auch anders geht, gerät das Breitwand-Musical Hongkong Nocturne (Regie: Inoue Umetsugu), dem man seine Entstehungszeit - 1966 - in jedem der poppig bunten Bilder ansieht. Ein alternder Zauberer verdankt seine Engagments in den Varieté-Etablissements der Stadt nur noch seinen drei zauberhaften, auf der Bühne tanzenden Töchtern Ting Ting, Tsui Tsui und Chuen Chuen. Die Zeit ist Jetzt, darauf legt der Film mit allerlei Accessoires einigen Wert, der Ort ist Hongkong - das machen die beeindruckenden, mit dem Geschehen selbst freilich nur als Lokalisierungs-Shots verbundenen Stadt-Totalen in regelmäßigen Abständen klar. Die Beziehung von Vater und Töchtern erzählt "Hongkong Nocturne" in Rondo-Form: Weil der Vater all sein den Töchtern zustehendes Geld an eine Frau verschleudert, die nichts anderes vorhat als ihn auszunehmen, kommt es zur Trennung. Die Töchter gehen ihrer Wege, der Vater verschwindet den ganzen langen Mittelteil aus dem Film. Es sind moralische Geschichten, die sich entfalten, modellhaft an einer der Frauen nach der anderen, Liebesgeschichten, natürlich. Genauer gesagt: Ein ums andere Mal geht es ums Spannungsverhältnis von Kunst und Liebe, von Karriere und Ehe - und das erweist sich, erstaunlich genug, als kaum auflösbarer Konflikt. Hinaus läuft es in keinem einzigen der Fälle auf Vereinbarkeit, die eine gibt die Karriere auf, um Hausfrau und Mutter zu werden (das Schicksal, das durchgehend auf die Kunst setzt, hat etwas dagegen), die andere trennt sich, weil er weiß, dass es nicht funktionieren kann, von dem Mann, mit dem sie auf der Bühne wie im Leben bestens harmoniert. Und die dritte wird sich aus der Obhut ihres strengen Ballett-Lehrers zurück ins (mit dem moralisch kurierten Vater zuletzt versöhnte) Schwestern-Trio begeben, mit dessen Showbühnen-Triumph der Film dann endet.

Keineswegs hält sich, zur Überraschung des Betrachters, Hongkong Nocturne, durchweg an den leichten Ton, der zunächst angeschlagen wird. Die Lehrjahre der drei Frauen halten manch Melodramatisches bereit, auf das der Film - wenngleich in Grenzen - sich einzulassen bereit ist. Die Musiknummern ballen sich am Anfang und am Ende, zunächst noch in ins Bizarre schillernden Fantasie- und Traumkulissen, in die sanft hinübergeblendet wird: getanzt und gesungen wird einmal vor antiken Säulentrümmern und in einer Hymne auf die Frau steigt, von Schleiern umflattert, eine der Heldinnen nackt aus dem Schaumbad. Der Höhepunkt: ein nebelumwalltes Schiff, unterwegs nach nirgendwo, gelöst aus allen narrativen Kontexten. Viele der weiteren musikalischen Einlagen - viel Rock und Boogie und jedenfalls: höchst zeitgenössische und natürlich tanzbare Klänge - fügen sich beinahe nahtlos ins Geschehen, das stets mehr ist als bloßer Vorwand für die Musik.

Intimate Confessions of a Chinese Courtesan

Ein anderer Fall, ein ganz anderer, ist der Skandalfilm Intimate Confessions of a Chinese Courtesan (Regie: Chu Yuan), dessen Titel bestenfalls eine leise Ahnung erlaubt, was folgen wird. Im Prolog wird man Zeuge der Entdeckung einer Leiche. Wer den Mann getötet hat und mit welchem Grund: davon erzählt die erste Hälfte des Films, der, nach diesem Anfang, zum immer gewalttätigeren Revenge-Flick gerät. Die Mörderin ist die Kurtisane Ah Nui, die, das bekommen wir zu sehen, ins Bordell gezwungen wird, das von der in allen Kampfkünsten und psychoterroristischen Feinheiten bewanderten, Frauen und nicht Männern zugeneigten Schönheit Chun-I geleitet wird. Ah Nui wehrt sich anfangs mit natürlich nicht zureichenden Leibeskräften gegen ihre Zurichtung zur Kurtisane, ein erfolgloser Fluchtversuch, bei dem ihr männlicher Helfer ums Leben kommt, belehrt sie jedoch eines besseren. Sie wird zum Schein gefügig - und sinnt zugleich auf Rache an den vier Männern, an die sie für viel Geld verschachert wird. Die erste Leiche wird nicht die letzte sein. Schwertkampfkunst und Wirework, ausgesuchte Tötungsarten und Wortduelle mit dem ermittelnden Gesetzeshüter folgen. Dies alles, der Drastik mancher Bilder zum Trotz, keineswegs als Trash inszeniert, sondern mit Sorgfalt und Liebe zu den Kulissen - wie etwa einer Sado-Maso-Sex- und Folterkammer -, mit einigem Können in den sich im Verlauf häufenden Kampfszenen. Unübertrefflich ist die letzte Schlacht zwischen Ah Nui und Chun-I. Man muss sie gesehen haben, um zu glauben, was geschieht. So viel ist sicher: Ein wüste Schneisen durch alle Klischees schlagendes Sexploitation- und Rache-Meisterwerk, dessen Klasse Quentin Tarantino mit seinem für dieses Jahr angekündigten Kill Bill erst mal erreichen muss.

Hinweis: Hier ein ausführlicher Text von -MAERZ- zu Chor Yuen und seinem Film Intimate Confessions of a Chinese Courtesan

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