| Der Film beginnt mit einem Gewehr, einem Schuß, einem
		    Mörder, dem Polizisten, der sich auf Spurensuche begibt. Der Blick des
		    Täters durch das Zielrohr wird kurz darauf wiederholt, ohne Zielrohr,
		    aber es ist derselbe Blick, unrealistisch der Entfernung wegen, ein Blick,
		    den der, der ihn den Schnitt- und Kamerakonventionen zufolge, werfen muß,
		    überhaupt nicht werfen kann. Aber es ist derselbe Blick. Der ihn wirft
		    ist Harry Callahan, Dirty Harry, der Jäger, der sich auf die Spur seiner
		    Beute begeben hat, einer Beute, die selbst Jäger ist und, logischerweise,
		    immer wieder, und einmal mit höchster masochistischer Raffinesse die
		    Rollen vertauscht, selber auf den Jäger anlegt. Die Symmetrie zwischen
		    den beiden wird in den ersten Bildern des Films etabliert, sie bleibt das
		    eigentliche Thema des Films, motivisch unterstrichen durch das hier zum erstenmal
		    einsetzende, in seiner Süßlichkeit kontrapunktische Jagd-Leitmotiv
		    von Lalo Schifrins Musik. Das ist die Exposition. 
		     
		     Jagd ist Thema und Struktur des Films, alles weitere erklärt
		    sich daraus. Spannung produziert sich hier nicht als Aufklärung eines
		    Falles, sondern als Vorbereitung von Begegnungen zwischen Jäger und
		    Gejagtem, aus den Momenten des Anschleichens, den Abbrüchen im Verpassen,
		    Verfehlen, Verwechseln. Psychologie tut nichts zur Sache. Man weiß
		    nicht, was Callahan antreibt (die Sache mit dem Tod seiner Frau bleibt so
		    lapidar wie unklar), sowenig wie man weiß, was Scorpio antreibt. Sichtbar
		    ist nur der Haß, der bei beiden so ähnlich ist, auf dieselben
		    Gruppen, Minderheiten bei beiden, und in Scorpios noch extremerem Fall: Frauen,
		    Kinder, Priester, also, in gewisser Weise: die Friedfertigen. Das Geld als
		    Motiv für Scorpios Taten wird von einer an Wahnsinn grenzenden sadistischen
		    Bösartigkeit stets maßlos überschossen, der Haß ist
		    so grenzenlos und so beliebig, daß eine Erklärung unmöglich
		    ist. Scorpio ist ein Terrorist, aber keiner der Prinzipien hat, gegen
		    Ungerechtigkeit kämpft, sondern das Prinzip Terrorismus selber, in
		    gesellschaftlicher Allgegenwärtigkeit. Er ist nicht zu lokalisieren,
		    am deutlichsten in der schikanös-sadistischen Geldübergabe-Jagd,
		    er ist überall und nirgends, sieht alles, ohne gesehen zu werden, ist
		    die Stimme, die aus dem ortlosen Nichts einer öffentlichen Telefonzelle
		    dringt, eine Stimme, die man hört, als wäre man selbst dem Wahnsinn
		    nahe. Und wenn er gestellt ist, einmal auf dem Dach (die Höhe, der
		    Überblick ist das Komplementärbild zur Allgegenwart), dann in der
		    grandiosen Szene im Stadion, in der er auf der buchstäblichsten Lichtung
		    in die Enge getrieben ist, dann gelingt es ihm, wie durch ein Wunder wieder
		    aufzutauchen, wieder freizukommen. Vielleicht täuscht die Ähnlichkeit
		    zu den Strukturen des Westerns, die schon wegen Eastwood sehr nahe liegt,
		    vielleicht ist Scorpio eher Michael Myers, das Nicht-Totzukriegende an den
		    Bedrohungen, die immer wiederkehrend aus dem Nichts kommen. 
		     
		    Freilich ist das ideologisch Beunruhigende eher die Überblendung
		    der Genres, der Gesetzesbrecher als Monster, als das undomestizierbar und
		    unzivilisierbar Böse, der Gesetzesvertreter als gnadenloser Killer,
		    die Stadt als Wildnis, als Raum, in dem an jeder Ecke die Bedrohung hervorbrechen
		    kann - und hervorbricht. Es ist das paranoide Bild der Stadt, das kunstvoll
		    erzeugt wird: vom Schnitt, von den Kamerablickwinkeln, von ihren Perspektiven,
		    die allzu oft die Callahans sind, es ist just diese - immer wieder brutale
		    Bestätigung findende - Paranoia, die die Mittel, zu denen der zweifellos
		    ambivalente Protagonist greift, beinahe als angemessen erscheinen
		    läßt. 
		     
		    Die Stadt ist dabei nicht einfach nur Wildnis, sondern gerade:
		    Zivilisation im Zustand ihres Rückfalls an Wildnis. Callahan versucht
		    mit den Mitteln und mit dem Gesetz der Wildnis diese auszutreiben, und genau
		    das ist unmöglich und wird zugleich als durchaus effizient dargestellt.
		    Man beauftragt ihn immer wieder, er wird immer wieder alles Augenmaß,
		    Recht und Gesetz für die härteren Mittel der Austreibung aufgeben.
		    Er wird zum Bürgermeister gerufen, in das Gebäude, in dem er es
		    nicht aushält. Das Rathaus ist der typisch amerikanische,
		    neo-klassizistische Architektur gewordene Selbstbetrug von der
		    unerschütterlichen Tradition und Unverrückbarkeit der (in Wahrheit
		    so jungen) Institutionen, eine Art Gebäude, die in noch jedem amerikansichen
		    Justiz- und Gerichtsfilm auftaucht. An diesem Ort, gegen den Callahans
		    Institutionenskepsis angebracht erscheint, bekommt er seine Aufträge,
		    wie gesagt, immer wieder. 
		     
		    Das einzige, was man tut: man versucht ihn zu zähmen durch den
		    Sidekick, der nicht nur mexikanischer Abstammung ist (Chico, der archtypische
		    Junge, gegen den archtypischen Mann) sondern auch Soziologie studiert hat.
		    Ohne daß nun Buchwissen denunziert wird in Konfrontation mit den wirklichen
		    Verhältnissen, wird Callahan durch seinen Kompagnon aufgewertet. Chico
		    ist (infame Konstruktion) die Projektionsfigur gerade für den liberalen
		    Zuschauer, deren Achtung für den Cop, der sich um die dreckigen Jobs
		    kümmert, im Laufe der Zusammenarbeit durchaus steigt. Er nimmt sich
		    selbst, verwundet, aus der Schußbahn und fällt zurück an
		    den Schutzraum der Zivilisation, die Universität, die Beziehung zu seiner
		    Freundin, aber die Trennung der Wege bedeutet nicht Ablehnung Callahans.
		    Dieser geht nach dem Besuch am Krankenbett mit Chicos Freundin in einer
		    grandiosen Sequenz, beobachtet von der Kamera, die außen mit
		    hinunterfährt und Stiege für Stiege näherzoomt, das Treppenhaus
		    hinunter. In der Tür ist die Kamera auf seinem Gesicht, er erzählt,
		    just in diesem Moment, vom Tod seiner Frau. Das ist nicht der Abstieg in
		    psychologische Tiefen (in dieser Hinsicht könnte der Unterschied zu
		    BETROGEN gar nicht größer sein), sondern das ist die Produktion
		    von Einsamkeit, vom endgültigen Abschied von den Gesetzen der
		    Menschlichkeit, die Aufgabe des überraschend gewonnenen Freundes. Aber
		    eines sollte klar sein: so filmt man keine Figur, die man denunzieren will.
		    
		     
		    Das Ende findet, sehr konsequent, am Schnittpunkt von Natur und
		    Zivilisation statt. Der Steinbruch als Schauplatz ist allegorischer Ort des
		    Übergangs von 'Natur' und kultureller Nutzung. Callahan hat Scorpio
		    tatsächlich ausgetrieben aus dem Inneren der Stadt, und daß das
		    nur eine sehr zeitweilige Befreiung sein wird, dürfte klar sein, noch
		    bevor die erste Forsetzung gedreht wird. Er tut noch den letzten Schritt,
		    tötet das Monster, das täuschend friedlich vom Wasser davongetrieben
		    wird. Fortsetzung folgt.
		     
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