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Jump Cut Filmkritik
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Magazin für Film & Kritik

 
Lukas Moodysson: Lilja 4-ever (Schweden/Dänemark 2002)

 

VÖ: 30.06.2004, Sunfilm Entertainment

Regie: Lukas Moodysson

Darsteller:

Oksana Akinshina, Artyom Bogucharsky, Lyubov Agapova, Liliya Shinkaryova, Elina Benenson, Pavel Ponomaryov, u.a.

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Lukas Moodysson: Lilja 4-ever (Schweden/Dänemark 2002)

Mit den beiden bezaubernden Filmen Raus aus Amal und Zusammen! spielte sich der schwedische Regisseur Lukas Moodysson in den vergangenen Jahren in die Herzen von Arthousepublikum und Filmkritik. Sein dritter Film, Lilja 4-Ever, der im Winter 2003 ins Kino kam und die tragischen Umstände, unter denen die Titelfigur, ein russisches Mädchen, in die Hände eines Kinderprostitutionsrings gerät, schildert, wurde dabei, trotz des weitgehend positiven Medienechos, als Bruch in seiner Filmografie wahrgenommen, die sich zuvor durch einen beschaulich-poetischen Realismus auszeichnete, in diesem Falle allerdings unnachgiebig die Behaglichkeit des Zuschauers ins Visier nimmt.

Liljas Abstieg wird minutiös und oft genug emphatisch schmerzhaft für den Zuschauer inszeniert, ohne dabei in allzu voyeuristische Spekulationen zu verfallen. Steht zu Beginn noch - den Rahmen, der eine Szene, die im chronologischen Verlauf erst wesentlich später stattfindet, vorwegnimmt, mal beiseite genommen - ein recht fideles Mädchen in gesicherten, vielleicht sogar für russische Verhältnisse einigermaßen wohlhabenden Verhältnissen, ist Lilja zum Ende ein körperliches wie psychisches Wrack, das von einer Reihe den Gesetzen der Tragik folgenden Verquickungen systematisch zugrunde gerichtet wurde.

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Wie auch in seinen anderen Filmen nutzt Moodysson dabei eine an Dogmafilme angelehnte Kameraarbeit, um das Geschehen zu authentifizieren und Distanz zu vermindern. Einige besonders emphatische Szenen sind dabei sogar direkt aus Liljas Subjektiven gefilmt, etwa eine aneinandermontierte Collage aus nackten Freieroberkörpern, die sich über Lilja hermachen. Auch Musik nimmt dabei wieder eine besondere Rolle ein: Waren es früher noch sanfte, verträumte Gitarrenpopsongs, die das Geschehen untermalten, bekommt man hier nun gleich in der ersten Sekunde Rammstein-Getöse um die Ohren gehauen, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen: Es ist dem Filmemacher um Ernstes zu tun.

Lilja 4-Ever unterscheidet sich eigentlich nur auf emphatischer Ebene von den anderen Filmen seines Regisseurs, schließt aber ansonsten nahtlos an diese an. Wie in den Vorgängern wird auch hier die tieftraurige Geschichte eines Mädchen erzählt, das durch die Bedingungen, unter denen es lebt, erdrückt zu werden droht. Dies scheint, so könnte man nach drei Filmen Bilanz ziehen, das vordergründigste Motiv Moodyssons zu sein. Doch während Raus aus Amal und Zusammen! noch vielfältige Anknüpfungspunkte boten, um den Zuschauer, trotz aller Traurigkeiten, mit einem Gefühl der Leichtigkeit zu entlassen, die es ihm erlaubt, das an sich Schreckliche einer provinziellen Situation, wie sie im ersten Film etabliert wurde, oder eines zwar vorgeblich an humanen Werten orientierten, letztendlich aber den Einzelnen übergehenden Sozio-Experimentierfelds, wie der zweite es schildert, zu übersehen, zerrt Lilja 4-Ever mit jeder Minute mehr an den Nerven der Zuschauer, um sie emotional aufgelöst aus dem Film zu entlassen, was ihm, wenn man sich Medienecho und das Murmeln der Kinogänger in den diversen Internetforen vergegenwärtigt, in den meisten Fällen auch gelungen ist.

Gescholten wurde der Film zum Zeitpunkt seiner Kinoauswertung vor allem für einige Szenen, in denen der tote Volodya, ein kleiner, verarmter Junge, mit dem sich Lilja anfreundet und der im Laufe des Films infolge eines Drogenmißbrauchs ums Leben kommt, mit Puttenflügelchen wieder in Liljas Leben tritt und ihr als Schutzengel allerlei Ratschläge erteilt. Ungebührlicher Kitsch, hieß es, und unnötiger Aufbruch des ansonsten naturalistisch inszenierten Filmgefüges und der behaupteten Wiedergabe von sozialer Wirklichkeit. Ganz im Gegenteil liegt in diesen Szenen aber ein für den Film nicht unmaßgeblicher melancholischer Schmerz, der in dieser Ausformulierung sein Thema, bzw. seine Zentralfigur und deren Gedankenwelt absolut ernst nimmt. Mehrmals sehen wir Lilja im Vorfeld dieser Szenen als einen diffus religiösen Menschen, der in Krisensituationen in alten, kitschigen Religionsbildlein nach Trost und Hilfe sucht. Dass in den Bilderwelten eines solchen jungen und entsprechend unbedarften Menschen auch Puttenreinkarnationen verstorbener Freunde stattfinden, ist letztlich nur naheliegend und folgt, in dieser Darstellung, dem zugrunde liegenden Konzept des Films einer absoluten Subjektivierung der Geschehnisse. Der Kitsch dieser Momente ist nicht der Kitsch des Films, sondern der nachvollziehbare Alltagskitsch des portraitierten Menschen, ohne dass dieser despektierlich ausgestellt würde. Dieses Konzept mag nicht immer aufgehen und wird in manchen Szenen bestimmt auch überstrapaziert, doch zeigt sich hier eine Sensibilität Moodyssons, die als zumindest erstaunlich wagemutig anzusehen ist und entschieden zur Qualität des Films beiträgt.

Sunfilm Entertainment hat dem Film eine qualitativ erfreulich hochwertige DVD für die hiesige Auswertung zur Seite gestellt: Bild und Ton sind für einen Film dieses Alters erwartungsgemäß tadellos, wobei die deutsche Synchronisation nur bedingt zu empfehlen ist und atmosphärisch einige Abstriche zu verzeichnen sind. Sehr umfangreich ist das Bonusmaterial ausgefallen, das man gleich samt und sonders auf eine zweite DVD verfrachtet hat: Neben obligatorischen Dreingaben wie Trailer und Fotogalerie finden sich hier zwei Spots von Unicef und der Diakonie gegen Mädchenhandel und Kinderprostitution. Als hauptsächlich von Interesse gestaltet sich ein mit 90 Minuten Dauer recht umfangreiches Interview des Guardian mit dem Regisseur während des British Film Festivals, das komplett deutsch untertitelt vorliegt. Hier gibt Moodysson ausführlich über seine Arbeitsweise, seine Absichten und Ansichten und über die recht komplizierte Produktion des Films - der Film wurde komplett auf Russisch gedreht, der Austausch zwischen Regisseur und Darstellern musste mittels Dolmetscher bewerkstelligt werden - Auskunft. Dass er dabei einige Unsicherheiten an den Tag legt, macht ihn als Menschen sympathisch, dass er dabei hier und da auch einige tendenziell krude Ansichten zum Besten gibt, eher weniger. Dass er symbolträchtig mit Palästinenserschal um den Hals auf die Bühne tritt ist eine allenfalls peinliche Solidaritätsgeste von ohnehin eher dubiosem ideologischen Hintergrund. Etwas schade ist zudem auch, dass die Publikumsfragen gegen Ende offenbar nur über das Bühnenmikrofon aufgenommen wurden und so oft nicht mehr zu verstehen und erst über die Antworten des Regisseurs zu rekonstruieren sind. Die Qualität dieser Edition bleibt davon natürlich unbelassen: Ganz klare Empfehlung.

Technische Details

Bild: 1,85:1 (16:9 anamorph)
Ton: Russisch/Schwedisch (DD 5.1., Dolby Surround), Deutsch (DD 5.1., Dolby Surround, DTS)
Untertitel: Deutsch
Regionalcode: 2/PAL
Laufzeit: ca. 104 Minuten

Zusatzmaterial:

Unicef-Spot mit Robbie Williams, Diakonie-Spot, Guardian-Interview mit Lukas Moodysson, Fotogalerie, Trailer (alle Extras auf einer zweiten DVD)