Filmkritik: Arnaud des Pallières: Adieu (F 2004)

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Arnaud des Pallières: Adieu (F 2004)

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Arnaud des Pallières: Adieu (F 2004)
Kritik von Ekkehard Knörer

 

  

Zehn Monate hat Arnaud des Pallières am Schnitt von "Adieu" gearbeitet, Bild und Ton gleichzeitig, das eine und das andere von einander nicht trennbar; hat er nicht am Bild gearbeitet, nicht am Ton, sondern am Bildton. Einzig von diesem Faktum her ist sein Film zu denken. Schon der Beginn, der die Choreografie einer Automontage entwirft, ohne das, was man Originalton nennt, also den Ton, den der Tonmann da (sucht und) findet, wo der Kameramann die Bilder (sucht und) findet, also in der vom Regisseur inszenierten Wirklichkeit. Diese Choreografie ist zunächst auf Einzelteile fixiert, schneidet sie als Montage von fließenden Cuts aneinander, bis ein Auto entstanden ist, durch keiner Hände Arbeit (der Cutter macht seiner Hände Arbeit unsichtbar wie die Bilder die Hände der Arbeiter unsichtbar machen), Maschinen, die eine Maschine zusammenbauen, Schnitt für Schnitt. Dazwischen gestückelt der Vorspann, der Namen nennt, Michael Lonsdale, den Namen, der ein Versprechen aus Kinogeschichte ist, ein Schauspieler, der nur wenige Auftritte haben wird, in diesem Film, seinen ersten sitzend, nur von hinten zu sehen, massig, er wird angekleidet. Am Ende wird er, die Figur, der Vater, der nie spricht, der massige Körper, der sich zurückzieht aus der Welt, beim Sterben zu sehen sein, die Kamera fährt von links nach rechts, unterbrochen durch eine massive Unschärfe im Vordergrund, eine Stimme spricht, wessen Stimme es ist, ist nicht ganz klar, wohl die Stimme eines Toten und der Vater, gespielt von Michael Lonsdale, stirbt, erlischt: Adieu.

Der Vorhang, rot, durchsichtig, ein Bett dahinter, eine Stimme spricht, sie adressiert eine Frau, meine Prinzessin. An einem Fenster ein Mann, der schreibt. Zu hören ist seine Stimme, er blickt über die Stadt, es ist eine Stadt in Algerien, die Kamera schwenkt von seinem Gesicht hinaus in die Unschärfe, die scharf wird, Minarette, die Häuser, der Himmel. Die Stadt, die der Mann verlassen wird. Er wird fliehen, nach Frankreich, er erzählt, mit der Stimme, die eine Frau adressiert, meine Prinzessin, die biblische Geschichte von Jonas, den Gott als Boten nach Niniveh schickte, als letzte Chance vor der Zerstörung. Jonas aber floh, auf, davon, auf dem Schiff, davon erzählt die Stimme des Mannes. Wäre "Adieu" ein Film mit einem Plot, einer Geschichte, die man erzählen kann, wäre dies der eine Strang. Der Mann, der flieht, nach Frankreich. Man kann das aber nur so zusammenfassen, wenn einem Hören und Sehen längst vergangen ist.

Die Musik, die in fast jedes Bild eingelassen ist, ist mehr als Tonspur. Mit dem gleichen Recht wäre von einer Bildspur zu sprechen, die in die Musik eingelassen ist. Das eine verhält sich zum anderen nicht kommentierend, nicht illustrierend, nicht untermalend. Die Bilder werden andere unter der meist ins Sakrale gehenden Musik, die Musik wird eine andere unter den zögerlich ins Narrative sich fügenden Bildern. Ein Vater, seine Söhne, im Fernseher ein Kinderchor. Der weiße LKW, im Vorspann unter Schnitten montiert, auf der Straße, ohne Originalton, dahingleitend, schwebend, über Musik, Musik in Bewegung. Am Ende wird er, ohne dass das nahtlos, illustrierend ineinander aufginge, der Wal sein, in den Jonas gerät, von Gott verlassen, weil er vor Gott geflohen ist, ein allegorischer LKW, aber die Allegorie bewahrt sich den Spielraum, der nicht zwischen Bild und Ton liegt, sondern im Ineinander, das alle semiotischen Eindeutigkeiten auf Abstand hält.

Zur Musik das Gesicht eines Mannes unter Wasser, der vom Besuch bei der Nachbarin erzählt, der er Melonen bringt, die er beim Sex stört. Er ist einer der Söhne des Vaters, der am Ende stirbt, der Bruder des jungen Mannes, der ums Leben gekommen ist. "Adieu", Abschiede über Abschiede. Der Priester, der nicht mehr an Gott glaubt, man sieht und hört ihn seine Predigt proben, man sieht ihn Gottesbeweise vortragen, einen nach dem anderen, bis er nicht mehr weiter weiß, nach Aspirin verlangt. Die heftigste Erschütterung, eine Erschütterung wie in den Filmen von Philippe Grandrieux, ein Bildbeben während des Abschiedsgottesdienstes: Ein Zittern, eine Überblendung, der Schrecken des Tons darin, zu sehen ist ein Kreuz, der Himmel, die Kirche. Die Bilder zeigen nichts, das irgend jemand sieht. Sie zeigen nichts Wirkliches, sie zielen auf die Erschütterung, die sie sind, als Verrückung von Bildton, Tonbild ins auf die Gegenwart einer Wirklichkeit nicht mehr Hinrechenbare.

Vor der Größe solcher Ansprüche ans Kino, das macht die Größe des Films aus, schreckt Arnaud des Pallières nie zurück. Man wird die Ästhetik, zu der sich seine Bild-Ton-Allegorien zusammenschließen, als eine Ästhetik des Sakralen bezeichnen können, sakral noch in der Gottverlassenheit der Welt, die darin entworfen wird. "Adieu" ist ein Film, der mit aller Entschlossenheit das Kino verrückt, an einen Ort, den es noch nicht gab. Er denkt die Welt anders als sie bisher gedacht worden ist, er erschließt dem Zeit- und Bewegungsbild einen neuen Raum. Mit aller Peinlichkeit und allem Pathos, die in dieser Hybris liegen.

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