| Ein Autounfall tötet zwei Frauen. Ihre zurückbleibenden
		    Männer Frank (Filip Peeters) und Paul (Lars Rudolph) ziehen gemeinsam
		    Franks kleine Tochter Lilli auf. 13 Jahre später: Paul und Frank sind
		    zu verkrachten Kleinkriminellen geworden und arbeiten in einem Nachtclub.
		    Lilli (Alice Dwyer) hat ihre ersten Liebeleien, mit denen der jähzornige
		    Frank schwer zurechtkommt. Nachdem Lilli auch noch heimlich Paul verführt
		    und schließlich schwanger ist, gerät der schwarze Pizzafahrer
		    Tommy in Verdacht. Frank dreht durch, knallt ihn ab und landet im
		    Gefängnis. Paul und Lilli flüchten nach Holland, ursprünglich
		    um abtreiben zu lassen. Sie stranden, offiziell als Vater und Tochter, auf
		    einem desolaten Campingplatz am Meer. Als Frank der Ausbruch gelingt, nimmt
		    er die Fährte auf. 
		    Das ist kurz erzählt der Plot eines unglaublichen Films, der
		    durch seinen lakonischen Grundton überzeugt und mit überragenden
		    Darstellern und wunderbaren Dialogen begeistert. Verantwortlich dafür
		    ist, neben dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, Erstlingsregisseur Philipp
		    Stölzl; bislang im Musikvideobereich aktiv, dort innerhalb kürzester
		    Zeit in die Weltklasse aufgestiegen. Es steht zu befürchten, dass
		    Stölzl nicht lange in Deutschland arbeiten wird; zu befürchten
		    deshalb, weil ein Film wie "Baby", der auf radikale Art und Weise
		    hochproblematische Themen nicht etwa in einer klassischen Plotstruktur versteckt,
		    sondern vielmehr verschmilzt und durch seinen trockenen, lakonischen Humor
		    erst zugänglich macht, so in Hollywood schlicht undenkbar wäre.
		    Das fängt an bei der 15-jährigen Lilli, phantastisch von Alice
		    Dwyer gespielt, eine durchtriebene Lolita, manipulativ, rücksichtslos
		    und dabei doch immer menschlich, oszillierend zwischen einer zu jedem Zeitpunkt
		    greifbaren Verletzlichkeit und der destruktiven Energie eines Teenagers,
		    der wissen will, was passiert, wenn man das Unaussprechbare tut. Es geht
		    weiter, über den außer Rand und Band geratenden Frank, eine
		    menschliche Bombe, immer kurz vor der Explosion, aus dem die Gewalt organisch
		    hervorbricht, wie Unkraut, das aus dem Boden schießt. Die Szenen zwischen
		    Filip Peeters und Alice Dwyer gehören zum besten und erfrischendsten,
		    was man seit langem im deutschen Kino sehen durfte. Und von Lars Rudolph
		    weiß man schon lange, wie genau er immer wieder Menschen darstellt,
		    die in ihrer warmherzigen Gutmütigkeit den Schicksalsschlägen des
		    Lebens mitunter hilflos ausgesetzt sind. 
		     
		    Stölzl verschwendet von Anfang an keine Sekunde Zeit, um die
		    Geschichte auf die Bahn zu bringen. Von da an nehmen die Dinge ihren
		    unabänderlichen Lauf, brechen über die Protagonisten herein wie
		    eine Naturgewalt und lassen am Ende Lilli mit ihrem frisch geborenen Baby
		    zwischen holländischen Sanddünen zurück. Auch wenn der Vergleich
		    hinkt, fühlt man sich an die anarchische Kraft eines Oskar Matzerath
		    in der Blechtrommel erinnert; gleichzeitig aber auch an Tarantino oder Rodriguez,
		    gerade was den spielerischen Umgang mit dem Medium Film betrifft. So oder
		    So: Wenn "Baby" keinen Verleih kriegt und ordentlich Kasse macht, fress ich
		    nen Besen.
		     
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