| Der Held des Action-Films ist zumeist eher ein Reaction-Held,
		    wird zum Heros im Kampf gegen das Böse in seinen vielen Gestalten. Geformt
		    ist der Held nach dem Bild seiner Gegner und nach der Persona des Stars,
		    der ihn verkörpert, und ihrer Geschichte. Beides trifft auf Matt Damon,
		    den Helden von "Die Bourne-Identität", in erstaunlichem Maße zu,
		    gerade weil er bisher alles andere war als ein Action-Held (dieser Sachverhalt
		    wiederum taugt, im Symptomverbund mit einer ähnlichen Entwicklung seines
		    besten Freundes Ben Affleck, geradezu als Indikator zur Veränderung
		    des Bildes vom Helden, das sich Hollywood macht. Vielleicht - denn Vin Diesel
		    wäre zugleich die Kontinuierung des Hergebrachten). Damon war, fast
		    zuletzt, Tom Ripley, der fluide Mörder, Meister multipler Identitäten
		    und der Mimikry. Mit multiplen Identitäten bekommt er es auch hier zu
		    tun als einer, der eine sehr spezifische Amnesie erlitten hat (verwandt dem
		    sehr viel instabileren Helden von
		    Memento) und nun auf den Spuren
		    seines Vorlebens zurückfinden will zu sich selbst. Von diesem Selbst
		    jedoch ist mehr da, als er denkt, es fehlt, so recht, nur ein Name, den er
		    - wie eine eiserne Reserve - in einer Schweizer Bank wiederfindet, reichlich
		    inflationiert jedoch in Gestalt einer Handvoll authentischer Pässe.
		    Die Bourne-Identität wäre so eine fast beliebige - holte sie ihn
		    nicht sogleich wieder ein.
		     
		    Der Bourne, den er kennenlernt, ist ein mehrfacher. Gejagt von der
		    CIA zum einen, mit Liquidierungsabsicht. Randvoll aber zum anderen mit dem,
		    was ein CIA-Mensch Verhaltenssoftware nennt: zum unlöschbaren Instinkt
		    getriebene Programme, die ihn zur Überlebensmaschine im zunehmend
		    feindlichen Umfeld machen. Ich ist ein anderer, ein Fremder, der umso
		    unheimlicher ist, als er sich verselbständigt und darwinistisch
		    erfolgreicher ist als jeder Gedanke, den der sich selbst verloren gegangene
		    Bourne, den eigenen Instinkten immer hinterher, entwickeln kann. Schlagend
		    die Szene, in der Bourne, sich - aus dem Schlaf sozusagen ohne Übergang
		    ins Bewusstsein hochschreckend - selbst virtuos und brutal zu verteidigen
		    versteht, sich als Martial-Arts-Könner wenn nicht wider Willen, so doch
		    wider eigenes Wissen erweist. Der neue Bourne ist tatsächlich Re-Bourne,
		    er hat den Drill nicht vergessen und die anerzogenen Instinkte, als
		    Tötungsmaschine aber taugt er nicht. Mit der Amnesie bekommt er, so
		    scheint es, Moral zurückerstattet. Es ist aber, leider vielleicht, eher
		    umgekehrt: In dem Moment, in dem er, ausgebildet zur Killermaschine, sich
		    als unfähig zum Mord erweist seine Skrupel entdeckt, muss er, der alte
		    Bourne sterben (und toter kann man kaum sein als er zu Beginn des Films ist),
		    um als neuer Bourne die Sünden des alten wiedergutmachen zu können.
		    Das Mordprogramm wendet sich - jetzt ist plötzlich Blade Runner gar
		    nicht fern - gegen seine Schöpfer, Rebellion gegen den "Vater"
		    inklusive.
		     
		    Dennoch ist das Erschrecken nicht gering: die Vergangenheit steckt,
		    weder vergessbar noch verdrängbar, drin im neuen Bourne als der alte
		    und nur als Killer kann er überleben. Bourne ist, unter anderem, die
		    Maschine, die zu Bewusstsein gelangt und damit zum Entsetzen über sich
		    selbst. Bourne ist eine Meditation über das Tier im Menschen, das Tier
		    aber ist zweite Natur, Killerinstinkt als Lernerfolg. Könnte der Held
		    über sich nachdenken, käme er dazu, wäre er ein gebrochener;
		    so löscht er sich aus, indem er er selbst bleibt (und eigentlich wäre
		    "er" und "sich" immerzu in Anführungszeichen zu setzen). Er beseitigt
		    sich mit den eigenen Mitteln, programmiert sich um bei laufendem Betrieb.
		    Die Frau, die ihm dabei hilft, ist nichts anderes als ein Symbol der
		    Richtungsänderung, des guten Willens, der so unversehens Raum gegriffen
		    hat im Killer. Nicht minder das Auto, das es mit Paris aufnimmt, in einer
		    der schönsten Verfolgungsjagden der letzten Jahre. Und beide sind Doug
		    Liman, der Independent-Regisseur, der es mit Hollywood aufnimmt als Agent
		    der Erdverbundenheit im Bond-Genre (die Geschichten, die man liest, über
		    die Spontaneität des Drehens, über Widerstand gegen ein neues,
		    glattes Drehbuch, passen dazu. Sind sie nicht wahr, so sind sie bestens
		    erfunden). Matt Damon ist - ausgestattet mit allen Agentenfertigkeiten -
		    der Anti-Bond, weil er (wenngleich: auch sehr britisch) Mini fährt und
		    sich in Franka Potente verliebt, das Anti-Bond-Girl mit Slacker-Appeal. Dieser
		    Film ist nicht nur sympathisch, sondern ein Ernst zu nehmender Gegenentwurf
		    zur Hollywood-Slickness der letzten Jahre, und Doug Liman vielleicht ein
		    würdiger Nachfolger John Frankenheimers.
		     
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