| Eine Szene am Strand von Portugal: ein junger Mann bittet eine
		    junge Frau um eine Zigarette, sie kommen ins Gespräch. Irgendetwas aber
		    stimmt nicht. Die junge Frau wirkt unruhig, blickt immer wieder ins Leere.
		    Plötzlich springt sie auf, geht grußlos davon. Auch ihre Eltern
		    sitzen am Strand, lesend, und doch ist vom ersten Moment an klar: sie sind
		    keine Touristen. Jeannes Eltern sind Terroristen (ohne dass ein einziges
		    Mal das Wort RAF fallen müsste), seit vielen Jahren auf der Flucht,
		    Jeanne ist die Geisel dieser Situation, hin- und hergerissen zwischen
		    Solidarität und Rebellion. "Die innere Sicherheit" ist ein Film über
		    diese Situation, die eine Konstellation erzeugt: die Kleinfamilie unter
		    Hochdruck. 
		     
		    Der Film ist außerordentlich klug darin, ganz und gar die
		    Perspektive des Tunnelblicks zu übernehmen, zu dem die Familie gezwungen
		    ist, ständig auf der Hut, immer in Angst vor Denunziation. Diese Angst
		    verkörpern die Darsteller mit brillantem Understatement: die Hysterie
		    steckt als stumme, um ein Haar ausdruckslose Daueranspannung in jeder Bewegung,
		    in jedem Blick, mit dem die Umwelt mit zwangssemiotischer Aufmerksamkeit
		    gemustert wird, ja, in jedem Wort, das man spricht. Petzold verdichtet diese
		    Konstellation immer wieder zu Einstellungen: die drei stehen mit ihrem Auto
		    (das ohnehin die ambivalente Metapher für Flucht und Geborgenheit, engsten
		    Raum und Bewegung abgibt) an einer Kreuzung, dunkle Wagen nähern sich
		    von allen Seiten. Hans, der Vater, steigt aus, hebt die Hände, will
		    sich ergeben. Nichts geschieht, die Autos fahren einfach weiter. Diese Szene
		    ist fast nicht realistisch, die Konstellation ist hier an eine Grenze getrieben,
		    an der die Repräsentation beinahe völlig abstrakt wird, Allegorie
		    der (begründeten) Paranoia.
		     
		    "Die innere Sicherheit" ist ein sehr strenger Film, der auf alles
		    Überflüssige mit Entschiedenheit verzichtet, der viele Umstände
		    unerklärt lässt, Menschen auftauchen lässt, von denen man
		    buchstäblich nichts erfährt (Interessant daran, dass sich Christian
		    Petzold für alle seine Figuren Vorgeschichten ausdenkt, sie so also
		    abrundet und erklärt und erweitert: Er scheint das zu tun, um dann im
		    Film alles weglassen zu können. Von diesen psychologischen Schlacken
		    ist in seinen kargen, geradezu asketischen Einstellungs-Miniaturen nichts
		    mehr übrig). Petzold erlaubt sich und dem Zuschauer keinen Moment der
		    Entspannung, des Aufatmens, der Komik. Jede Szene, jedes Wort, jede Geste
		    scheint das Ganze in sich zu tragen, das Gesamtbild ergibt sich aus dieser
		    Kette von nur unterschiedlich beleuchteten Hologrammen. 
		     
		    Jeanne, das ist der die Konstellation verschärfende, ins vage
		    Gegenlicht einer Alternative stellende Plot des Films, wagt den Ausbruch,
		    flieht für Momente den durch familiale Liebes- und Hassverhältnisse
		    noch einmal gesteigerten Gruppendruck - und kann ihm doch keine Sekunde
		    entkommen. Die Liebe zu Heinrich, dem jungen Mann, den sie in Portugal
		    kennengelernt hat, ist von Anfang an durchkreuzt von ihrer Unmöglichkeit.
		    Umgekehrt trägt Jeanne die Sehnsucht nach dem Ausbruch, die natürlich
		    auch eine nach Normalität ist, mitten hinein in die nur mit
		    äußerster Disziplin zu stabilisierende Ausnahmesituation in Permanenz.
		    Jeanne ist für Hans und Klara, bei aller Liebe, der Feind im eigenen
		    Haus: der Zweifel, den man nicht beseitigen kann. Der Traum von Normalität,
		    den man sich verbieten muss. 
		     
		    Die Auflösung der Verstrickung erfolgt am Ende, ganz
		    überzeugend, unpsychologisch, dramatisch, brutal und enigmatisch. Das
		    Schlussbild verspricht Abbruch und Neubeginn zugleich, Abschied und Freiheit,
		    ein offenes Ende par excellence, das aber, vor jeder konkreten Fantasie eines
		    Weiter, einer neuen Konstellation und auch vor aller Trauer abgeblendet
		    wird.
		     
		        
		    
		    Die DVD-Extras bestreiten Regisseur Christian Petzold und Barbara
		    Auer, die Darstellerin von Klara. Im Interview mit den beiden erfährt
		    man von Spannungen zwischen Auer und ihrer Film-Tochter Julia Hummer,
		    aber auch viel über die Herangehensweise von Petzold. Sehr instruktiv
		    ist der direkte Audio-Kommentar von Petzold und Auer, den man  im
		    Menü als Tonspur unter den ganzen Film legen kann.
		     
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