Sandrine Veysset: Martha...Martha  (2001)

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Martha...Martha

Frankreich 2001

Regie: Sandrine Veysset

Mit Valérie Donzelli ; Yann Goven ; Lucie Régnier.

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Zur Druck-Version Sandrine Veysset: Martha...Martha  (2001)
Kritik von Ekkehard Knörer

[Image]

In Sandrine Veyssets erstem Film Gibt es zu Weihnachten Schnee? ging es um eine Mutter, die an ihren sieben Kindern  Halt zu finden versucht gegen deren tyrannischen Vater. Victor oder als es zu spät war, ihr zweiter Film, erträumte sich eine denaturalisierte Mutter-Kind-Dyade zwischen einer Prostituierten und einem ihr zuglaufenen kleinen Jungen. In Martha...Martha nun finden wir eine komplette Kleinfamilie vor: Martha, Raymond und das (womöglich aber nicht gemeinsame) Kind Lise. Dieser Familienkern jedoch hat von der ersten Minute an einen Riss, Veysset führt ihn ein über die (Nicht-)Beziehung Marthas zu ihren Eltern, die sie auf rätselhafte, vom Film nie ganz aufgeklärte Weise verkennen. Diese erste Einstellung, zäsuriert von den Schriftzeilen des Vorspanns, ist ein umso stärkerer Setzungs-Moment, als die Eltern Marthas im Rest des Films nicht mehr vorkommen werden.

Martha, ihr Mann, ihre Tochter haben ein Zuhause, aus dem Martha weg will. Sie ist die verkörperte Unruhe, Unrast und man spürt sofort, dass dem durch einen Ortswechsel nicht abzuhelfen sein wird. Der Alltag der drei, sie leben vom Verkauf von Second-Hand-Kleidung auf Flohmärkten, bewegt sich ständig am Rand des Abgrunds. Martha will entkommen, weiß nicht wohin, liebt ihre Tochter und ist doch kaum in der Lage, die Routine des familialen Zusammenlebens aufrechtzuerhalten, Lise auch nur rechtzeitig zur Schule zu bringen. Veysset zeigt und ihre Darstellerin Valérie Donzelli spielt mit großartigem Gespür für die Nuance diesen Riss, den Wahnsinn, den Willen zur Selbstzerstörung, der in Martha von der ersten Sekunde an lauert. Zweimal erzählt sie, vor Lise, die (vermutlich erfundene) Geschichte von der Mutter, die aus dem Fenster springt, ihre beiden Kinder unter dem Arm. Die Frau war sofort tot, sagt Martha. Und die Kinder, fragt Lise. Martha zögert, dann: die sind nach oben geflogen und haben das Fenster zugemacht. Martha schüttet sich aus vor Lachen.

Sandrine Veysset erzählt unspektakuläre Szenen aus dem Alltag dieser Familie. Sie verfolgt sie nach Spanien, wo Marthas Schwester mit ihrem offenkundig reichen Mann lebt, vieles bleibt unausgesprochen zwischen den Schwestern und doch liegt in jedem der Bilder von diesem gespenstischen Ausflug eine kaum erträgliche Spannung. Alle Szenen bestehen nur aus ein paar Einstellungen, Veysset zeigt, was zu zeigen ist, ohne alle symbolische Aufladung, charakterisiert ihre Figuren, die Konstellationen und ihre Verschiebungen am bezeichnenden Detail. Martha...Martha lebt von Auslassungen genauso wie von dem, was gezeigt wird, der Film entwirft so seine eigene Zeit, eine psychologische Plausibilität, die sich keiner schlüssigen Deutbarkeit verdankt, nur der Schlüssigkeit der Oberfläche der Figur und der Bilder. Die Auslassungen stehen so für den angenehmen Verzicht auf Erklärungen, dazu passt der ganz objektive Beobachtungsstil des Films, der ungerührt harmlose Alltagsszenen zeigt und dann auch die Vergewaltigung Marthas, die zur Zäsur führt, zu Marthas Verschwinden. Die Konzentration auf den bis dahin komplett rätselhaft gebliebenen Vater und auf Lise bedeutet so etwas wie eine Atempause, Marthas Abwesenheit bleibt jede Sekunde spürbar, neben die Trauer um den Verlust der Mutter und der Frau tritt jedoch ein Moment der Erleichterung. Vater und Tochter ziehen um, beginnen zögernd ein neues Leben.

Martha wird zurückkehren, doch sie wird nicht dieselbe sein. Das ist nicht Mama, sagt Lise. Ohnehin ist Lise, wenn der Film eine Beobachtungsperspektive hat, diese Perspektive. Ihre Liebe zur Mutter ist unbedingt, man kann kaum anders als, bei aller Ungeduld, diesen Blick zu übernehmen. Einmal träumen wir in den Bildern des Films einen schrecklichen, surrealen Alptraum mit Lise. Ein Wagnis, ohne Frage, aber eine Klärung in jedem Fall darin, dass sich der Film hier auf Lises Seite schlägt. Der Titel scheint genau die von Lise wahrgenommene Spaltung benennen zu wollen, der manische Wahnsinn der "ersten" Martha verwandelt sich in die, wie man befürchtet, suizidale Apathie der zweiten, der als andere zurückgekehrten. Die Familie zieht sich ganz auf sich selbst zurück, in ein einsames Haus in der freien Natur, Raymond hackt Holz, Martha und Lise werden von der Kamera in Naturidyllen eingefangen, von denen man nicht weiß, wie trügerisch sie sind. Dieses letzte Viertel des Films entzieht sich der eindeutigen Wahrnehmung. Kommt Martha hier, in der Stille, in der Natur, zu sich oder verliert sie sich endgültig? Im Bett toben Martha und Lise herum, Martha drückt das Kissen auf Lises Gesicht. Raymond fährt, erwachend, entsetzt dazwischen. Alles steckt in dieser Szene, die totale Verunsicherung über die Figur, Spiel kann in Ernst kippen, nichts tut Veysset, diese Unsicherheit zu zerstreuen. Konsequent und meisterlich die Schlussbilder: Martha beobachtet in tiefer Nacht, wie Martha ins Wasser geht. Das Schlussbild: der Waldsee am Morgen, der Blick auf eine Wasseroberfläche, auf der sich die Morgensonne bricht.

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